„bAV made in UK“ oder warum ein Blick über Kanal durchaus lohnen kann

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Christian Nuschele, Head of Distribution bei Standard Life.

Wer einen Blick auf den Altersvorsorgemarkt in Großbritannien wirft, stellt fest, dass sich dort zum Teil enorme Lücken auftun. Doch bei der betrieblichen Altersversorgung (bAV) hat das Vereinigte Königreich in den vergangenen Jahren stark aufgeholt – und rangiert im internationalen Vergleich vor Deutschland. Von Christian Nuschele, Standard Life.

Vor allem für weniger Betuchte gibt es im Vereinigten Königreich (UK) eine Beratungslücke in der Anlageberatung. Das stellte die britische Finanzaufsicht Financial Conduct Authority (FCA) in ihrer letzten Evaluation im Dezember 2020 erst wieder fest, als sie die Auswirkungen des seit Januar 2013 geltenden „Retail Distribution Review (RDR)“ und des damit einhergehenden Provisionsverbots in Großbritannien untersuchte.

Das liegt zum einen daran, dass sich die Banken seit dem Beginn von RDR weitgehend aus der Beratung zur Altersvorsorge verabschiedet haben. Aber auch daran, dass es deutlich weniger unabhängige Makler gibt und diese sich stärker auf vermögende Kunden konzentrieren, die willens und in der Lage sind, für professionelle Beratung ein Honorar zu zahlen.

Doch unabhängig von den Lücken in der britischen Vorsorgeberatung durch Banken und Makler – oder vielleicht gerade auch deswegen: Staatliche und betriebliche Altersvorsorge in UK sind in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden. Sie sind ein Grund dafür, dass es auf dem britischen Markt zwar erwiesenermaßen eine Beratungslücke, aber nicht unbedingt eine Vorsorgelücke gibt.

Laut des Mercer CFA Institute Global Pension Index 2022, den der globale Pensions- und Investmentberater Mercer seit 15 Jahren für 44 Rentensysteme in aller Welt erstellt, liegt Großbritannien aktuell auf Rang 10 – und damit sieben Plätze vor Deutschland. Im Vergleich zu 2021 hat sich Großbritannien gegenüber Deutschland damit weiter verbessert.

Schon im Vorjahr hatte Mercer diesen Abstand auf die umfassende Rentenreform in UK zurückgeführt.

Langer Weg zur „Work place pension“

Um zu verstehen, woher die gute Einschätzung stammt, lohnt ein Blick auf die Geschichte und Entstehung der betrieblichen Altersvorsorge, der sogenannten „work place pension“, auf der Insel.

Vor nunmehr bald 21 Jahren, im Jahr 2002, wurde die „Pensions Commission“ als parteiübergreifendes Gremium zur Überprüfung der Renten im Vereinigten Königreich eingesetzt. Das erste Gesetz, das die Kommission auf den Weg brachte, war das Rentengesetz von 2004 („Pensions Act“). Es aktualisierte die Regulierung, setzte die Rentenregulierungsbehörde ein und lockerte die strengen Mindestfinanzierungsanforderungen für Renten.

Es folgten in den Jahren 2007 und 2008 zwei Rentengesetze: 2007 wurde die staatliche Rente grundlegend aktualisiert sowie das Renteneintrittsalter angeglichen und angehoben. Das zweite Gesetz führte im Jahr 2008 dann die automatische Einschreibung („auto enrolment“) in die betriebliche Altersversorgung, also eine verpflichtende bAV, ein. Mit dem National Employment Savings Trust („Nest“) wurde zudem ein öffentlicher Wettbewerber geschaffen, der als kostengünstiger und effizienter Fondsmanager fungieren soll.

Einfacher Zugang sorgt für hohe Akzeptanz

Seit Einführung des neuen Modells im Jahr 2008 zahlen sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer Beiträge in das System ein: Seit April 2019 sind das mindestens 3 Prozent des Bruttoeinkommens durch den Arbeitgeber und 5 Prozent durch den Arbeitnehmer, sofern dieser sich von der betrieblichen Altersversorgung nicht per „opt out“ befreien lässt.

Nicht zuletzt wegen des einfachen Zugangs für Angestellte und des opt-out-Verfahrens erfreut sich auto enrolment relativ großer Beliebtheit bei Arbeitnehmern und Produktanbietern. Trotzdem können auto enrolment und work place pension nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Großteil der Briten mit der Planung der eigenen Altersvorsorge überfordert ist.

Laut einer Untersuchung unserer Konzernmutter Phoenix zahlen 30,8 Millionen Arbeitnehmer in Großbritannien über 25 Jahre in die betriebliche Altersversorgung über einen „defined contribution“-Pensionsplan ein, also ein System mit vorgegebenen regelmäßigen Rentenbeiträgen. Doch nur 14 Prozent von ihnen gehen davon aus, mit diesen Zahlungen ihren bisherigen Lebensstandard im Alter auch halten zu können. Es besteht also weiterhin Bedarf für zusätzliche private oder betriebliche Altersvorsorge.

Wird „auto enrolment“ auf Geringverdiener ausgeweitet?

Nicht zuletzt aufgrund solcher Erkenntnisse haben sich deshalb einige größere Vorsorgegesellschaften dafür ausgesprochen, auto enrolment auch auf jüngere Angestellte, Teilzeitarbeitskräfte und Geringverdiener (Verdienst unter 6.240 britische Pfund pro Jahr) auszuweiten.

Aktuell müssen Arbeitgeber alle Mitarbeiter in das Rentensystem aufnehmen, die zwischen 22 Jahren und dem staatlichen Rentenalter alt sind und mindestens 10.000 GBP pro Jahr verdienen. Arbeitnehmer, die unter 10.000 GBP, aber über 520 GBP pro Monat verdienen, können sich freiwillig in einer work place pension aufnehmen lassen. Der Arbeitgeber muss dann seinen Teil dazu leisten. Das staatliche Rentenalter liegt derzeit noch bei 65 Jahren. Es soll aber zwischen 2037 und 2039 – und damit früher als geplant – auf 68 Jahre angehoben werden.

Wegen der hohen Akzeptanz ist es denkbar, dass das System des auto enrolment noch einmal auf die oben genannten Geringverdiener ausgeweitet und die Durchdringung damit weiter gesteigert wird.

Nicht nur nach Holland, Schweden und Norwegen schauen

Wenn in Deutschland über eine Reform der Altersvorsorge, das Ende von Riester und einen kapitalgedeckten Staatsfonds diskutiert wird, werden immer wieder die Vorbilder Niederlande, Schweden und Norwegen genannt. Wenn es um eine bessere, einfache und standardisierte bAV mit einem hohen Durchdringungsgrad geht, sollten wir meiner Meinung nach auch mal einen Blick über den Kanal werfen.

Bei all der gerechtfertigten Kritik an den negativen Auswirkungen des Provisionsverbots in Großbritannien: Dort ist ein System der betrieblichen Altersversorgung entstanden, das breit anerkannt ist und bei vielen Menschen zur Schließung der Vorsorgelücke beigetragen hat. Dass dies durchaus ein Vorbild für Deutschland sein kann, zeigen die aktuellen politischen Diskussionen um eine Reform der bAV.

Der Autor Christian Nuschele ist Head of Distribution bei Standard Life

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