Betriebliche Altersversorgung: Ein Tropfen auf den heißen Stein

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Bildagentur PantherMedia / Rawpixel
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Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz wollte die Politik 2018 die betriebliche Altersvorsorge deutlich pushen. Geglückt ist das nur halbwegs. Gleichwohl entwickelt sich die bAV zum zentralen Wachstumsfeld in der Lebensversicherung. Auch, weil immer mehr Arbeitgeber auf die bAV als strategischen Eckpfeiler zur Personalbindung und Mitarbeitergewinnung setzen. Dennoch bleibt noch viel zu tun.

Seniorinnen und Senioren bekommen monatlich 1.543 Euro Rente in Deutschland, im Schnitt. Wenn sie 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Das geht aus einer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vorliegenden Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine schriftliche Frage des Linken-Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch hervor. Dabei gibt es laut RND einen deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern. So erhalten Männer im Schnitt 1.637 Euro, Frauen hingegen nur 1.323 Euro. Die Deutsche Rentenversicherung betont, dass die Daten nur die von der Rentenversicherung ausgezahlten Netto-Altersrenten zeigen. Im Einzelfall würde vielen Menschen im Alter ein höherer Betrag zum Leben zur Verfügung stehen, da oft zusätzliche Ansprüche über eine Beamtenversorgung, eine private Altersvorsorge oder Zahlungen aus einer berufsständischen Versicherung erworben worden sind. Was die vom RND veröffentlichen Daten aber deutlich zeigen: 1.543 Euro allein reichen für ein auskömmliches Leben im Alter längst nicht mehr aus.

Die betriebliche Altersversorgung (bAV) als zentralen Altersversorgungsbaustein neben der gesetzlichen Rente zu etablieren, das war vor dem Hintergrund einer der zentralen Gedanken, den die Politik mit der Einführung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) zum 1. Januar 2018 verfolgt hatte. Und die Erwartungen, die die Versicherer seinerzeit an das BRSG geknüpft hatten, waren hoch. Fünfeinhalb Jahre später hat sich eine gewisse Ernüchterung in der Branche breit gemacht. Einerseits bestätigten alle im Rahmen der Recherche zu diesem Beitrag befragten Versicherer und Vertriebe, dass das Thema Betriebsrente durch das Gesetz deutlich stärker in den Fokus gerückt wurde.

Fabian von Löbbecke / Foto: HDI

„Das BRSG hat viel bewirkt. Betriebliche Altersversorgung (bAV) ist vielleicht nicht immer einfacher, aber dafür selbstverständlicher geworden. Der verpflichtende Arbeitgeberzuschuss hat einen neuen Mindeststandard gesetzt und damit die bAV eindeutig gestärkt. Und auch das Sozialpartnermodell hat wichtige Diskussionen um Garantien und Tarifautonomien in der bAV in Gang gesetzt. Kurz gesagt, das BRSG war ein erster guter Wurf“, sagt etwa Fabian von Löbbecke, Vorstandsvorsitzender der HDI Pensionsmanagement AG und im Vorstand der HDI Lebensversicherung verantwortlich für den Bereich Neugeschäft und Produktmanagement Leben.

Andererseits sieht der Vorstand noch deutlichen Nachbesserungsbedarf, allem voran in der Vereinfachung und Harmonisierung des Regelwerks. „Die Komplexität und die damit einhergehenden Haftungsrisiken schreckt noch immer so manche Arbeitgeberin und manchen Arbeitgeber davon ab über das Mindestmaß hinauszugehen.“ Vor dem Hintergrund fordert von Löbbecke von der Politik, die Komplexität in der bAV zu reduzieren. Zum einen sei eine Vereinheitlichung des steuer- und sozialversicherungsfreien Dotierungsrahmens für versicherungsförmige Durchführungswege auf acht Prozent der Beitragsbemessungsgrenze West notwendig. Zudem müssten die Mindestgarantien abgesenkt werden, zugunsten einer höheren Kapitalmarktorientierung in der Anwartschafts- aber auch in der Rentenphase. Darüber hinaus müssten auch die Übertragungsmöglichkeiten von Anwartschaften einer rückgedeckten Unterstützungskasse erleichtert werden.

Auch beim bAV-Marktführer, der Allianz Lebensversicherung, fällt die Zwischenbilanz nüchtern aus, insbesondere im Hinblick auf die viel diskutierten Sozialpartnermodelle. „Die Regelungen, Anforderungen und Auswirkungen sind insgesamt neu und komplex, sodass die Tarifvertragsparteien entsprechend Zeit gebraucht haben, um sich damit zu beschäftigen, eine Umsetzung abzuwägen und am Ende zu entsprechenden Einigungen zu kommen. Seit 2022 sind die ersten beiden Modelle auf dem Markt, über weitere Sozialpartnermodelle in anderen Branchen wird derzeit nachgedacht, die Ergebnisse dieser Überlegungen und weitere mögliche Umsetzungen bleiben abzuwarten“, sagt Heinke Conrads, die im Vorstand der Allianz Lebensversicherung das Ressort Firmenkunden verantwortet.

Heinke Conrads / Foto: Allianz Lebensversicherung

Nach Angaben von Conrads laufen aktuell intensive Gespräche zwischen Bundesfinanzministerium, Bundesarbeitsministerium, den Versicherern und Sozialpartnern über Vereinfachungen und Erweiterungen des Modells, etwa der Wegfall der Einschlägigkeitserfordernis für Tarifverträge oder die Einbeziehung nichttarifgebundenerer Arbeitnehmer in ein Sozialpartnermodell. Dennoch: „Insgesamt sehen wir auf dem Weg zum Ziel einer deutlichen stärkeren Verbreitung der bAV noch keinen durchschlagenden Fortschritt. Dies hängt sicher auch mit der nicht geringer werdenden Komplexität der bAV-Regulierung zusammen. Der Gesetzgeber täte gut daran, die Komplexität zu reduzieren, statt weiter zu erhöhen“, so Conrads.

Auch abseits des Sozialpartnermodells zeigen die Gesellschaften von den BRSG-Effekten nur halbwegs begeistert. Wie Conrads und von Löbbecke sieht Alte Leipziger Lebensversicherungs-Vertriebsleiter Matthias Sattler in den Prozessen und Regelungen ein zentrales Hindernis. Diese sollten vereinfacht werden, damit die Hürde für Unternehmen sinkt, eine bAV einzurichten. Ein möglicher Weg wäre, Dokumentations- und Nachweispflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer zu vereinfachen, um eine volldigitale Einführung und Verwaltung der bAV zu ermöglichen.

„Das BRSG hat leider kaum etwas daran geändert, dass immer noch in vielen Unternehmen in Deutschland die bAV-Angebote ungenutzt bleiben, obwohl Regelungen für die Umwandlung von Entgelt in Altersversorgung fast überall etabliert sind. Aus unserer Sicht müssten die Rahmenbedingungen für die bAV vonseiten der Politik überarbeitet werden, um sie noch attraktiver zu machen. Insbesondere sollten Leitplanken für die Höhe der erforderlichen Beitragsgarantie gesetzt werden und reine Beitragszusagen sollten auch im Rahmen der Direktversicherung außerhalb von Tarifverträgen ermöglicht werden. Dadurch lässt sich die Anlage in der bAV chancenorientierter ausrichten“, sagt der Vertriebsexperte.

Regina Stubel, bAV-Expertin bei der Signal Iduna Lebensversicherung bringt es auf den Punkt: „Erste Umsetzungsimpulse aus den Betriebsrentenstärkungsgesetz sind spürbar. Ein Selbstläufer sei die bAV nach wie vor nicht.“ Gemessen an der Versorgungssituation vieler Arbeitnehmer im Alter bleibe es ein Tropfen auf den heißen Stein.

„Gemessen an Vorsorgesituation vieler Arbeitnehmer bleibt es ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Ein Blick auf die Zahlen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zeugt von der weiter steigenden Relevanz des bAV-Geschäfts. Ende 2022 lag der Vertragsbestand in der betrieblichen Altersvorsorge bei über 16,6 Millionen Verträgen. Immerhin ein Fünftel aller Lebensversicherungsbeiträge stammen inzwischen aus der bAV. Im Jahr 2000 waren es gerade einmal 12,5 Prozent. Allerdings hat der Zuwachs in der bAV laut GDV in den letzten Jahren nicht mehr mit dem Beschäftigungswachstum mitgehalten: die Verbreitungsquote unter den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten lag nach Angaben des GDV 2021 bei knapp 54 Prozent.

Dr. Igor Radovic, Direktor Produkt- und Vertriebsmanagement bei Canada Life zeigt sich mit der Durchdringungsquote allerdings nicht glücklich: „Weiterhin besitzen 46 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten – Auszubildende herausgerechnet – immer noch keine bAV.“ Vor allem bei den kleinen und mittleren Unternehmen gebe es Luft nach oben. Das scheint auch für die Bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gelten, sich auf reduzierte Beitragsgarantien in Kombination mit chancenorientierten Anlagen einzulassen. Denn eine 100-Prozent Bruttobeitragsgarantie im Rahmen einer Beitragszusage ist nach der Garantiezinssenkung zum 1. Januar 2022 längst nicht mehr darstellbar.

„Selbst bei langen Laufzeiten und niedrigen Kosten reichen die Sparbeträge unter Berücksichtigung des aktuellen Höchstrechnungszinses von 0,25 Prozent nicht mehr aus, um die Bereitstellung der vollen Beitragssumme garantieren zu können. Versicherungsförmige Garantien waren noch nie so teuer wie heute. Wer in Zukunft weiterhin auf volle Garantien setzen möchte, muss im Gegenzug auf kapitalmarktbasierte Renditechancen verzichten“, sagt von Löbbecke deutlich und rechnet vor: „Wird die Beitragsgarantie auf 80 Prozent reduziert, steigt die Wahrscheinlichkeit einer signifikant höheren Ablaufleistung nach eigenen Berechnungen um 82 Prozent.“

„Marktbedingt hat sich eine 80-Prozent-Garantie als häufigste Variante etabliert.“

Nach Angaben von Allianz Vorständin Conrads liegt das Niveau der Beitragsgarantie in der Allianz Leben deutlich unter 70 Prozent, obwohl bis zu 90 Prozent angeboten würden. „Dieser Trend ist auch in der bAV angekommen“, sagt Conrads. Auch bei der Alte Leipziger zeigt die Entwicklung hin zu weniger Garantien und höherem Aktieninvestments. „Wir sehen aktuell die Zeit für Hybridprodukte gekommen, die möglichst viel Flexibilität in der Kapitalanlage bieten“, sagt Sattler. Doch nicht jeder Arbeitgeber mag in der bAV auf möglichst hohe Sicherheiten verzichten.

„Wir haben festgestellt, dass sich auch gut fünf Jahre nach Einführung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes an der Einstellung zu Garantien nicht grundlegend etwas geändert hat. „Die meisten Menschen in Deutschland wollen Garantien, weil sie Sicherheit wünschen“, sagt Stubel. Dr. Sebastian Grabmaier, Vorstandsvorsitzender von Jung, DMS & Cie. bestätigt die Einschätzung. „Aus Daten unserer eigenen Vorsorge-Plattform Plug-Insurance und von unseren Vertragspartnern wissen wir, dass überwiegend die vom jeweiligen Produktgeber höchste Garantievariante vermittelt wird.“ Marktbedingt habe sich eine 80-Prozent-Garantie als häufigste Variante etabliert.

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