Heute ist bei uns zu Gast Fabian van Lancker. Er ist Geschäftsführer der FB Research GmbH. Hallo Herr van Lancker.
Fabian van Lancker: Vielen, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich auf das Gespräch.
Herr van Lancker, wo steht die deutsche Versicherungswirtschaft heute in Bezug auf die Digitalisierung? Könnten Sie das kurz zusammenfassen?
Fabian van Lancker: Kurz wird schwierig, aber ich bemühe mich, das in ein paar Sätzen zusammenzufassen. Ich glaube, es gibt drei wesentliche Aspekte: Erstens der Kostendruck der letzten Jahre, der dazu geführt hat, dass Versicherer ihre Services effizienter gestalten müssen. Zweitens der Druck großer Vertriebsorganisationen, die sagen: Ich möchte digitalere Prozesse, um auch für Makler guten Service bieten zu können. Und drittens der Kundenwunsch, der immer mehr dahin geht: Ich möchte ein Kundenportal, ich möchte meine Post digital bekommen. Alle drei Bewegungen führen dazu, dass sich die Branche in den letzten Jahren sehr stark bewegt hat.
Und wo sind jetzt die wesentlichen Baustellen? Sie sind ja noch nicht ganz am Ziel, wenn ich das richtig verstehe.
Fabian van Lancker: Das ist richtig. Ich glaube, das Schwierige ist immer die „letzte Meile“. Die sind wir schon ganz gut gemeinsam gegangen. Das Problem ist, dass viele Legacy-Systeme, also alte Serveranlagen bei den Versicherern, immer noch modernisiert werden müssen. Ich kann vorne beim Kundenerlebnis und beim Maklererlebnis vieles digitalisieren, aber den wirklichen Nutzen hebe ich erst, wenn auch das Backend sauber aufgestellt ist. Ich glaube, das ist weiterhin die größte Herausforderung: dort modern zu werden.
Was sind Legacy-Systeme?
Fabian van Lancker: Das sind die alten Versicherungssysteme, bei denen Verträge, die vor 30 oder 40 Jahren begonnen wurden, heute noch laufen. Sie basieren auf Infrastrukturen, die es heute gar nicht mehr zu kaufen gibt. Und die Entwickler – ich sage mal – haben im Durchschnitt ein Alter von über 40 Jahren.
Okay, aber das ist schon digitalisiert und nicht nur auf Papier – nur die Transformation ist schwierig?
Fabian van Lancker: Ja, das ist richtig. Aber die Schnittstellen zu modernen Systemen sind teilweise nicht vorhanden oder lassen sich nur schwer realisieren. Von daher braucht es eine moderne Infrastruktur.
Sie hatten gerade gesagt, dass gerade in der Kundenkommunikation schon vieles digital läuft. Aber trotzdem wird bisher nur ein Teil des Neugeschäfts auch tatsächlich digital abgewickelt. Warum ist das so schwierig?
Fabian van Lancker: Erst mal muss ich sagen: Das stört uns als Software-Dienstleister auch – wir lieben digitales Geschäft. Die Versicherer sagen ebenfalls, dass sie es digital haben wollen. Der größte Grund ist aber, dass die Provision für das Geschäft gezahlt wird – egal, wie es ankommt: zerknittert im Briefumschlag, per Fax, per E-Mail oder digital. Solange das der Fall ist, hat der Vertrieb wenig Motivation, sich zu ändern. Da haben die Versicherer den größten Hebel, indem sie steuernd eingreifen.
Und welche Rolle spielt KI, also künstliche Intelligenz, heutzutage schon in der Versicherungswirtschaft – und wo geht die Reise hin?
Fabian van Lancker: Ich glaube, an vielen Stellen – gerade in der Texterkennung, im Dokumentenmanagement, bei kleinen repetitiven Prozessen – hilft KI heute schon. Teilweise sogar seit zwei oder drei Jahren. Im Berateralltag, etwa bei der Datenerhebung, Datenauswertung und in Kampagnen, kann KI ebenfalls unterstützen. Ich glaube aber weiterhin an die persönliche Beratung. Kein Kunde steht morgens auf und sagt: Heute schließe ich eine BU (Berufsunfähigkeitsversicherung) ab und setzt sich an eine KI mit der Aufforderung: Verkaufe mir eine BU. Das ist nach wie vor erklärungsbedürftig – auch durch die Regulatorik. Deshalb sehe ich hier eine klare Grenze. In den Serviceprozessen hingegen ist KI heute schon alltäglich im Einsatz.
Ihr Unternehmen, FB Research, ist ja ein Softwareunternehmen, beschäftigt sich aber auch mit Tarifvergleichen und Ratings. Da denkt man als Laie: Das lässt sich doch bestens rein digital abwickeln. Wie lange brauchen Sie noch Menschen für Ihre Ratings?
Fabian van Lancker: Ich glaube: sehr lange. Denn – ich weiß nicht, wie häufig Sie Bedingungswerke lesen – das meiste steht ja zwischen den Zeilen und muss interpretiert werden. Und genau das ist für KI nach wie vor schwierig. Gerade weil AVBs (Allgemeine Versicherungsbedingungen) keine regulierten Dokumente sind. Jeder Versicherer kann Format und Aufbau frei gestalten. Solange das so ist und der Gesetzgeber den Versicherern maximale Freiheit lässt, wird es Menschen brauchen. Auch wir setzen seit fünf, sechs Jahren auf Texterkennung. Wenn Bausteine gleich sind oder sich nur marginal verändert haben oder einfach von Seite 2 auf Seite 15 gerutscht sind – das erkennen wir bereits mit KI. Dennoch: Ich glaube weiterhin, dass wir Menschen brauchen. Vielleicht zwei bis drei Prozent weniger. Aber solange das Wichtigste zwischen den Zeilen steht, wird uns keine KI ersetzen.
Okay, Herr van Lancker – vielen Dank.
Fabian van Lancker: Vielen Dank.