Wer länger am Markt ist, weiß, dass keine Hausse linear verläuft. Nach jedem steilen Anstieg folgt eine Phase der Konsolidierung – technisch, nicht zwingend fundamental bedingt. Märkte atmen, Anleger nehmen Gewinne mit und algorithmische Handelsstrategien verstärken die Bewegungen. Doch die entscheidende Frage lautet nicht, warum der Kurs kurzfristig fällt, sondern ob sich an den fundamentalen Gründen für den Aufwärtstrend etwas geändert hat. Und genau das ist nicht der Fall.
Fundamentale Lage: Solide wie lange nicht
Sowohl Gold als auch Silber stehen auf einem breiten Fundament. Die Zinsen haben in vielen Industrieländern zwar einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, doch die Realzinsen – also die inflationsbereinigten Renditen – bleiben niedrig oder negativ. Genau das ist historisch der wichtigste Treiber für Edelmetalle.
Hinzu kommt eine Schuldenblase von epochalem Ausmaß. Die weltweite Staatsverschuldung liegt laut IWF bei rund 235% des Welt-BIP. In den USA verschlingt der Schuldendienst mittlerweile über eine Billion Dollar pro Jahr – und die Zinsausgaben wachsen schneller als das Steueraufkommen. Eine klassische Falle, aus der nur zwei Wege führen: Entweder über hohe Inflation oder über fortgesetzte Monetarisierung der Schulden, also Gelddrucken durch die Notenbanken und eine eventuelle Einführung einer Yield-Curve-Control. Beide Szenarien bedeuten langfristig Rückenwind für Edelmetalle.
Gold profitiert zudem von einer strukturell neuen Nachfragequelle. Die Notenbanken der Schwellenländer – allen voran China, Indien, die Türkei und Polen – kaufen so viel Gold wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie diversifizieren aus dem Dollar heraus, der nach geopolitischen Spannungen und Sanktionen nicht mehr als uneingeschränktes Weltreservegeld gilt.
Silber wiederum erlebt eine Renaissance auf der industriellen Seite. Die Energiewende und der Technologiesektor verschlingen das Metall in Rekordmengen. Laut World Silver Survey 2025 übersteigt die industrielle Nachfrage inzwischen 680 Millionen Unzen pro Jahr – mehr als jemals zuvor. Photovoltaik, Elektromobilität und Medizintechnik sind strukturelle Wachstumstreiber, die den Verbrauch stetig steigen lassen, während das Angebot stagniert. Silber ist bereits im fünften Jahr in Folge in einem Produktionsdefizit.
Realpreise und Kaufkraftvergleich
Viele Anleger unterschätzen, wie günstig Edelmetalle trotz nominaler Rekorde immer noch sind. Betrachtet man die inflationsbereinigten Preise, liegt Gold je nach Berechnungsmethode auf dem aktuellen Niveau nicht weit über seinen historischen Hochs von 1980 oder 2011. Silber liegt sogar noch massiv darunter. Das Hoch von 50 Dollar im Jahr 1980 entspräche inflationsbereinigt deutlich über 180 Dollar.
Diese Relationen zeigen, dass der jüngste Preisanstieg weniger eine „Blase“ war als vielmehr eine Anpassung an den Währungsverfall. Edelmetalle steigen nicht, weil sie selbst produktiver werden, sondern weil das Papiergeld an Kaufkraft verliert. Die stark gestiegene Geldmenge seit der Pandemie, die anhaltenden Haushaltsdefizite und die expansive Fiskalpolitik vieler Staaten sprechen dafür, dass dieser Trend noch nicht vorbei ist.
Technische Korrektur oder Trendwende?
Der aktuelle Rückgang ist aus markttechnischer Sicht eine gesunde Bereinigung. Nach einem Anstieg beider Edelmetalle von über 50 Prozent in weniger als zwölf Monaten war eine Verschnaufpause überfällig. Charttechnisch ist der Bereich zwischen 3.850 und 4.000 US-Dollar im Gold sowie zwischen 47 und 49 Dollar im Silber eine starke Unterstützungszone. Solange diese hält, bleibt der Aufwärtstrend intakt.
Entscheidend ist, dass es keine fundamentale Trendwende gibt. Weder steigen die Realzinsen signifikant, noch kehrt Vertrauen in die Fiskaldisziplin der Staaten zurück. Im Gegenteil: Die politischen Systeme haben sich an permanente Defizite gewöhnt. Kein westliches Land kann oder will seine Schulden noch real abbauen – nur entwerten.
Psychologie der Anleger
Das heutige Marktumfeld erinnert an viele vergangene Edelmetallzyklen, bei denen auf starke Anstiege kurze, scharfe Rücksetzer folgten. Sie testeten den Glauben der Anleger, bevor der nächste Aufschwung begann. Solche Phasen trennen kurzfristige Spekulanten von langfristigen Investoren. Wer das große Bild sieht, erkennt, dass Gold und Silber ihre Rolle im Finanzsystem gerade neu definieren.
Beide Metalle sind kein Investment „gegen“ etwas, sondern „für“ etwas: für reale Werte in einer Welt der „Papier-Versprechen“. Rücksetzer bieten daher eher Gelegenheit zur Positionspflege als Grund zur Panik.
Fazit – niemand hat eine Kristallkugel, aber…
Ob Gold und Silber ihre Hochpunkte schon gesehen haben? Niemand hat eine Kristallkugel, aber wahrscheinlich nicht. Was wir derzeit erleben, ist eine technische Atempause, keine fundamentale Wende. Die Schuldenlawine, die expansive Geldpolitik und der strukturelle Druck auf Papierwährungen sprechen weiter für steigende Edelmetallpreise.
Gold bleibt der monetäre Stabilitätsanker, Silber die dynamische Kraft des industriellen Wandels. Beide zusammen sind mehr als nur „sichere Häfen“. Sie sind Spiegel einer Zeit, in der das Vertrauen in Geld schwindet – und das Bewusstsein für echten Wert wieder wächst.
Wer den Lärm der Märkte ignoriert und den Zyklus analysiert, wird wahrscheinlich für sich selbst zu dem Schluss kommen: Die Rallye läuft noch und ist nicht zu Ende. Sie hat nur kurz Luft geholt.
Autor Tim Bröning ist Geschäftsführender Gesellschafter Bröning Investment & Consulting www.broening-investment.de, und u.a. Beirat bei Fonds Finanz.














