Die Vorweihnachtszeit ist das Warten auf die frohe Botschaft. Im übertragenen Sinne warten wir auch schon lange auf die freudige Botschaft, dass die Politik uns von vielen Problemen erlöst. Nur abwarten macht aber nicht glücklich. Wo es geht, sollten wir uns selbst kümmern, uns selbst erlösen.
Der nostalgische Blick zurück in die gute alte transatlantische Zeit bringt nichts
In unserem Land haben wir richtig gute Zeiten mit einem weltweit einmaligen Massenwohlstand in Frieden, Freiheit und Sicherheit erlebt.
Doch haben sich die Rahmenbedingungen eingetrübt. Amerika hält nicht mehr bedingungslos die schützende Hand über Europa und Deutschland. Für Washington sind wir geopolitisch und wirtschaftlich nicht mehr bedeutend. Hier spricht die neue amerikanische Sicherheitsstrategie eine klare Sprache. Wenn es sich für die USA lohnt, dann macht sie auch schmutzige Deals mit Russland, egal, ob es den Interessen Europas schadet. Und die alte transatlantische Liebe würde selbst bei einem demokratischen Präsidenten ab 2029 nicht wieder aufgewärmt. Der Ton mag dann zwar freundlicher werden, doch ist es wie bei Weihnachtsgeschenken: Was nutzt die schönste Verpackung, wenn der Inhalt eine hässliche Krawatte ist.
Als Nationalstaat spielt man heute im großen Welt-Theater keine Hauptrolle mehr. Daher ist Europa grundsätzlich eine gute Sache. Man muss diesen europäischen Auftrag aber auch erfüllen. Doch 27 EU-Staaten unter einen Hut zu bringen, ist bislang die Quadratur des Kreises, vor allem angesichts des Einstimmigkeitsprinzips. Und mit der Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gewinnt Europa im Kampf gegen die Alpha-Länder keinen Blumentopf. Selbst der Wiederaufbau der militärischen Abschreckung verläuft europäisch wenig koordiniert. Und so hat Amerika Respekt vor dem starken China, aber nicht vor dem schwachen Europa. Mit China kann Trump nicht den Molli machen, mit Europa schon.
Europäische Überregulierung und Innovationsunfreundlichkeit führen eben zu weniger Wirtschaftskraft. Aber warum sollten die vielen Bürokraten in Brüssel Bürokratie abschaffen, die ihnen die Existenzberechtigung sichert? Lässt die Katze das Mausen?
Es gibt auch zu viele laut tönende Sirenen, die ihr Geld mit dem Geschäftsmodell „Empörung“ verdienen. Es ist zu ihrer eigennützigen, persönlich frohen Botschaft geworden. Das gilt z.B. für KI. Dort heißt es „Vogel friss oder stirb“. Wer hier heute den Zug verpasst, wird morgen auch keine ethischen Standards setzen können. Gegen Moral ist nichts zu sagen, aber sie darf nicht zum wirtschaftlichen Masochismus werden. In der heutigen Welt können sich Unternehmen unter allen Wirtschafts-Landschaften international die blühendsten aussuchen. Und so ist der Anteil Kontinentaleuropas an der weltweiten Wirtschaftsleistung von 25 Prozent 1990 mittlerweile auf etwa 15 Prozent gesunken. Wer wirtschaftlich nichts zu bieten hat, darf sich nicht wundern, wenn man zum Fußabtreter der Welt wird.
Ich dachte, mit der neuen Bundesregierung ginge mir die Munition an politischer Kritik aus
Das Grundproblem in Deutschland ist, dass wir nicht mehr wachsen. Es wäre ein Weihnachtswunder, wenn aufgrund tausender Firmenpleiten, einer Industrieproduktion auf dem Niveau von 2019, einer seit 15 Jahren stagnierenden Produktivität, eines sinkenden Exportanteils bei Autos und Maschinen (unsere Kernkompetenz), der weltweit mit höchsten Energiekosten und folglich des Exodus von Firmen inklusive Jobs ins Ausland Vegetation stattfände. Ohnehin gehen viele Leistungsträger von sich aus, weil ihnen für ihre Leistung zu wenig Gegenleistung geboten.
Wenn deutsche Politik so weitermacht, wird nicht nur der Herbst der Reformen ausgeblieben sein, sondern im „Merz-en“ der Bauer ebenso die Rösslein nicht einspannen. Es klingt abgedroschen, aber sozial ist, was Arbeitsplätze schafft. Diese Wahrheit ist den Menschen durchaus zuzumuten. Nur billige Worte, wonach wir gegenüber Amerika und China aufholen könnten, kommen Deutschland mittlerweile teuer zu stehen.
Statt sich jedoch dieses Wachstumsproblems mit Reformen anzunehmen, geht es immer mehr um Sozialneid und Klassenkampf. Und das jetzt auch in der Rentendiskussion, wo es um die Kopplung des Renteneintritts an die Beitragsjahre geht. Dabei wird der immer kleiner werdende Renten-Kuchen aber nur neuverteilt, enorm verkompliziert und löst neue Verteilungskämpfe aus, ohne die strukturellen Probleme Demografie, Fachkräftemangel und Finanzierungslücke zu lösen. Dagegen braucht Deutschland Anreize für das Weiterarbeiten, nicht für das Aufhören.
Wenn politische Ideologie einer vernünftigen Altersvorsorge mit Aktien im Wege steht
Überhaupt, warum hat man wie andere, übrigens nicht marktradikale Länder wie Schweden, kapitalgedeckte Altersvorsorgesysteme bislang staatlich nicht gefördert?
Zur Erinnerung: Trotz Finanz-, Schulden-, Banken- und Euro-Krisen, trotz Pandemie und Krieg hat der DAX seit Ende 1987 bis heute eine durchschnittliche Rendite von ca. 8,7 Prozent p.a. erzielt, davon etwa 2,8 Prozent Dividendenrendite. Bei monatlichen Einzahlungen von 50 Euro wären daraus mit Zinseszinseffekt bis heute knapp 138.000 Euro geworden. Die durchschnittliche Jahresrendite vom MSCI World Index liegt in den letzten 45 Jahren sogar bei knapp 11 Prozent. Das ist deutlich mehr als die durchschnittliche deutsche Inflationsrate von etwa 2,2 Prozent.
Der staatlich geförderte Kapitalaufbau mit Aktien hätte eine massive Stabilisierung der Alterssicherung bedeutet. Vor diesem Hintergrund ist das, was uns die Bundesregierung in Aussicht stellt, leider kein großer Wurf. Im Gegenteil, jetzt wird diskutiert, ob diejenigen, die ihre Altersvorsorge mit Konsumverzicht selbst aufbauen und dem Staat damit später weniger oder gar nicht auf der Tasche liegen, auch noch mit Sozialabgaben belegt werden.
Und bei Immobilien – auch eine Form der Altersvorsorge – gibt es politische Kräfte, die älteren Menschen zumindest eine Mitschuld an der Wohnungsnot geben, da sie in angeblich zu großen Verhältnissen leben und so Familien Wohnraum stehlen. Hallo, sie haben dafür ihr Leben lang geschuftet, sich ihre Finanzierung teilweise vom Munde abgespart und fallen später dem Staat auch nicht zur Last. Will man hier dennoch der Enteignung das Wort reden? Der Gau am Bau geht nicht auf das Konto älterer Menschen, sondern auf das der Politik, die das Bauen viel zu teuer gemacht hat.
Politik sollte grundsätzlich aufhören, Staats- und Planwirtschaft als das rettende Ufer zu betrachten. Es ist die offene See, in der man ersäuft. Die 100-prozentigen Pleiten, die Pannen und das Pech der sozialistischen Seefahrt lügen nicht.
Wir können gerne weiter hoffnungsvoll an den Makrokosmos, die frohe Botschaft der Politik glauben. In der Zwischenzeit jedoch sollten wir unseren eigenen Mikrokosmos optimieren, uns selbst froh machen, uns selbst erlösen.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725











