Fokus Altersvorsorge: „Eine Grundsicherung wird den Staat wesentlich teurer kommen“

Foto: Petra Homeier / IVFP
„Wenn man wieder die „Goldrand- Lösung sucht, wird es sehr aufwändig.“

Die Fokusgruppe Altersvorsorge arbeitet im Auftrag der Bundesregierung an einer Reform der privaten Altersvorsorge und will bis Sommer einen Fahrplan vorlegen. Das Institut für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP) hat zur Reform sein eigenes Konzeptpapier zur Zukunft der privaten Altersvorsorge vorgelegt. Cash. sprach mit IVFP-Geschäftsführer Prof. Michael Hauer über die Vorschläge und die Chancen einer Umsetzung.

Prof. Hauer, wie zukunftsfähig ist das deutsche Altersvorsorgesystem in seiner jetzigen Form?
Hauer: Zukunftsfähig ist es auf jeden Fall. Gleichwohl muss man sich die Frage stellen, ob es effizient und nachvollziehbar ist. Die Einführung der Riester-Rente von der Rot-Grünen-Regierung vor etwas mehr als 20 Jahren und nunmehr die geplante Einstellung genau dieser Förderung durch Rot-Grün-Gelb lassen keinen „roten“ Faden erkennen.

Die Bundesregierung hat die sogenannte „Fokusgruppe Altersvorsorge“ gebildet. Dort geht es neben der gesetzlichen Rente auch um eine Reform der privaten Altersvorsorge. Bis Sommer 2023 will die Gruppe Ergebnisse vorlegen. Was erwarten Sie von der Arbeitsgruppe?
Hauer: Die Fokusgruppe hat den Auftrag, sich um die private Altersvorsorge zu kümmern. Die gesetzliche Rente und damit zusammenhängend die Aktienrente stehen nicht auf der Agenda dieser Fokusgruppe. Sie haben jedoch recht, man kann die beiden Themen nicht zu 100 Prozent voneinander trennen, also auch die Fokusgruppe für die private Altersvorsorge sollten die geplanten Maßnahmen der gesetzlichen Rente im Blick haben und umgekehrt. Was den Teilnehmerkreis betrifft, habe ich auch so meine Zweifel, ob es hier zu einer Einigung kommen kann, da die Interessen zu unterschiedlich sind. Oftmals kommt es zu einem Kompromiss, der nicht unbedingt das optimale Ergebnis darstellt.

Warum haben Sie gerade jetzt ihr Konzeptpapier zur Zukunft der privaten Altersvorsorge in Deutschland vorgestellt?
Hauer: Da die Fokusgruppe auf Wunsch der Regierung bis Sommer 2023 Vorschläge liefern soll, ist aus unserer Sicht aktuell der richtige Zeitpunkt, unsere Ideen und Anregungen einzubringen. Vor ein paar Monaten wäre es zu früh gewesen und in einem halben Jahr zu spät. Natürlich hoffen wir, dass die Fokusgruppe und dann die Regierung, die aus unserer Sicht sehr vernünftigen Vorschläge aufgreift.

Wie sind die Reaktionen auf die Reformvorschläge ausgefallen?
Hauer: Überraschenderweise von allen Seiten sehr positiv. Dies ist deshalb so bemerkenswert, da es erfahrungsgemäß immer den einen oder anderen Interessensvertreter gibt, der kritische Anmerkungen hat. Scheinbar ist es uns gelungen, eine einfache, pragmatische und offensichtlich gute Lösung ins Spiel zu bringen.

Sie möchten unter anderem aus der Riester-Rente eine Zulagen-Rente machen: Wie funktioniert das?
Hauer: Das IVFP schlägt die Übernahme der vorhandenen Zulagensystematik in vereinfachter Form für ein Nachfolgemodell der Riester-Förderung vor. Das IVFP verwendet dafür den Arbeitstitel „Zulagenrente“. Bei der „Zulagenrente“ soll jeder Bürger unterhalb eines Bruttoeinkommens von etwa 43.000 Euro die Grund- und Kinderzulage erhalten, und zwar ohne einen Mindesteigenbetrag – lediglich ein Vertragsabschluss muss vorliegen. Damit fällt auch die aufwändige und komplizierte Unterscheidung von unmittelbarer und mittelbarer Förderbarkeit weg. Zahlt der Bürger freiwillig in die Zulagenrente ein, wird dies nochmals mit 50 Cent pro eingezahltem Euro gefördert, das heißt, man benötigt keinen Abgleich durch das Finanzamt mehr. Die Leistungen aus der Zulagenrente sollen einkommensteuerfrei bleiben. Die sozial schwachen Bürgerinnen und Bürger erhalten zunächst eine Zulage ohne Auflage vom Staat und die daraus resultierende Leistung steuerfrei.

Glauben sie, dass das Finanzministerium die erforderlichen Mittel hierfür bereitstellt?
Hauer: Die Zulagenförderung ist bereits seit 2002 vorhanden und somit sind in der Vergangenheit auch Mittel dafür eingeplant worden. Der Gesetzgeber muss sich hier die Frage stellen, wie viel er aufwänden muss, wenn die Menschen im Alter keine zusätzliche private Altersvorsorge haben. Dies wird dem Staat in Form von Grundsicherung und sonstigen sozialen Leistungen wesentlich teurer kommen.

Sie sagen, dass die Einführung eines Standardproduktes schnell umsetzbar wäre. Doch das Zulagensystem zu überarbeiten, bedeutet, die politischen Akteure an einen Tisch zu bekommen. Die Erfahrungen zeigen, dass diese Prozesse stets langwierig sind.
Hauer: Standardprodukte wie etwa Fondspolicen, die gewisse Strategien beinhalten, gibt es doch jetzt schon. Hier reichen bereits fünf Anlagestrategien, die durch ETF-Pakete umgesetzt werden können. Und digitale Anwendungen, um das Anlegerprofil zu bestimmen, damit der Interessent die für ihn passende Anlagestrategie ermitteln kann, sind ebenfalls schon im Einsatz – sogar unter Berücksichtigung von ESG-Kriterien. Ein Beispiel dafür ist der „Anlegerprofilfinder“, der von unserem Institut entwickelt wurde und kostenfrei unter www.fairadvisor.net aufgerufen werden kann. Aber Sie haben recht: Wenn man – wie es den Deutschen nachgesagt wird – wieder beginnt, die „Goldrandlösung“ zu suchen, dann wird es sehr aufwändig. Daher meine Bitte an alle Akteure, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und pragmatische Lösungen zu suchen. Die Überarbeitung des Zulagensystems dürfte gemäß unseren Vorschlägen relativ einfach sein, da wir leicht umsetzbare Vereinfachungen vorschlagen.

Die Riester-Rente gilt in ihrer jetzigen Form als gescheitert. Haben Sie eine Erklärung, warum der Staat eine Riester-Reform nicht vorangetrieben hat?
Hauer: Da müsste man die Politiker fragen – für mich ist das absolut nicht nachvollziehbar. Ein Aspekt scheint mir zu sein, dass sich die SPD gefühlt von allen in der Ära Gerhard Schröder eingeführten Maßnahmen, verabschieden will. Ansonsten hätte Olaf Scholz als zuständiger Finanzminister bis 2021 es mit minimalem Einsatz in der Hand gehabt, etwa die Beitragsgarantie zu senken. Sowohl der GDV als auch wir haben dies in seiner Amtszeit mehrfach gefordert. Keine Reaktion ist auch eine Antwort. Ein zweiter Aspekt ist für mich, dass die Versicherungsunternehmen und der GDV die ständige Kritik an der Riester-Rente offensichtlich zu wenig ernst genommen haben. Wie hätte es sonst so weit kommen können, eine durchaus sinnvolle Lösung, die mit wenigen Maßnahmen hätte reformiert werden können, ins „Aus“ zu schießen.

Altersvorsorgeprodukte benötigen Beratung. Die Erfahrungen bei der Riester-Rente haben gezeigt, dass gerade in den ersten Jahren der Vertrieb einen Bogen um das Produkt gemacht hat. Und erst mit Veränderungen bei Vergütung der Erfolg einsetzte. Wie hoch sollten die Abschlusskosten sein? Und was geschieht im Falle eines Provisionsverbots?
Hauer: Genaue Werte können wir dazu nicht nennen, dafür haben wir zu wenige Informationen wie die Produkte letztendlich aussehen sollen. Klar ist jedoch, dass der Vertrieb für die Beratungsleistung eine Bezahlung erhalten muss. Eine Beratung nur gegen Honorar wäre ein Widerspruch zur Zielgruppe der Niedrigverdiener und sozial Schwachen. Wer in diesem Personenkreis, will oder kann sich ein Beratungshonorar leisten? Wir haben bereits über ein Standardprodukt gesprochen. Dabei könnte es sich um ein sehr einfaches, günstiges Produkt handeln, das man auch digital abschließen kann. Ich gehe aber davon aus, dass viele Menschen eine Beratung wünschen oder benötigen – dafür gibt es dann individuelle Lösungen mit Beratung. Daher sehe ich bei dem Nebeneinander beider Lösungen kein Problem.

Sie haben zudem eine steuerliche Lösung für die 3. Schicht in der ungeförderten Altersvorsorge vorgeschlagen? Warum braucht es einen dritten Weg?
Hauer: Um den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger beim Übergang in die Rentenphase besser gerecht zu werden, kann es von Vorteil sein, diese flexibler zu gestalten. Beim Renteneintritt tun sich die Menschen oft sehr schwer, ihre Restlebenserwartung richtig einzuschätzen. Daher wird in sehr vielen Fällen vom Kapitalwahlrecht Gebrauch gemacht und auf eine Leibrente verzichtet. Dies führt unter Umständen dazu, dass das Geld schnell verbraucht ist und der eigentliche Zweck, eine finanzielle Absicherung bis zum Lebensende, verfehlt wird. Durch eine Verlagerung der endgültigen Entscheidung über Kapitalauszahlung oder lebenslange Rente auf ein höheres Alter, zum Beispiel 85 Jahre, kann das Problem zumindest deutlich abgemildert werden. Vorstellbar ist daher, dass das angesparte Kapital zum Rentenbeginn zunächst als Entnahme- oder Auszahlplan schrittweise entnommen wird. Um Anreize dafür zu schaffen, soll die Auszahlung bis zu einer Grenze von beispielsweise jährlich maximal drei Prozent des bei Auszahlungsbeginns vorhandenen Kapitalvermögens eine Steuerfreiheit erhalten, über einen Zeitraum von 20 Jahren. Dieses Modell soll auch für Fondsspardepots gelten, die für die Altersvorsorge vorgesehen sind. Dies hätte auch für den Gesetzgeber den Vorteil, dass die Menschen das für die Altersvorsorge angesparte Kapital für einen längeren Zeitraum zur Verfügung haben und nicht innerhalb kurzer Zeit nach Ruhestandsbeginn aufbrauchen.

Das Interview führte Cash. Redakteur Jörg Droste


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