Roundtable: „Es ist auf jeden Fall eine Generationenfrage“

Montage von Volker Fehrenbach, Hauptbevollmächtigter bei Mediolanum International Life; Marcus Langer, Bereichsleiter Versicherer-, Vermittler- und Bankenvertrieb bei Ökoworld; Jörg Busboom, Geschäftsführer Ökorenta
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Die Diskussionsteilnehmer von links: Volker Fehrenbach, Hauptbevollmächtigter bei Mediolanum International Life; Marcus Langer, Bereichsleiter Versicherer-, Vermittler- und Bankenvertrieb bei Ökoworld; Jörg Busboom, Geschäftsführer Ökorenta

Die Themen Altersvorsorge und Investment umzusetzen, ist trotz einer überdurchschnittlich guten Börsenentwicklung in 2023 bei gleichzeitig massiven Zinserhöhungen der Notenbanken keineswegs leichter geworden. Drei Experten diskutieren, was in diesem Jahr wichtig wird, wo mögliche Risiken drohen, aber auch, in welchen Segmenten eine positive Entwicklung zu erwarten ist.

Zinsen, Inflation, Rezessionsgefahr, Energiepreise, geopolitische Verwerfungen: Wir leben in Zeiten multipler Krisen. Wie können/sollten Kapitalanleger jetzt dennoch richtig reagieren?

Busboom: Kapitalanleger sollten, zumindest zu einem Teil, möglichst unabhängig von den klassischen Finanzmärkten investieren und ihr Portfolio damit vor zu großer Volatilität schützen. Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien ist im Sachwertbereich ein Asset, mit dem Anleger ihr Portfolio stabilisieren können. Strom wird immer und überall gebraucht und unterliegt daher im Prinzip keinen konjunkturellen Schwankungen. Wenn das Investment in grünen Strom aus Deutschland erfolgt, hat dies den zusätzlichen Charme, dass Anleger von heimischer, autarker Energieversorgung profitieren und zugleich die dringend erforderliche Transformation des Energiemarkts stärken.

Fehrenbach: Das ist eine interessante Frage. Zunächst einmal geht es aber darum, dass Anleger sich überhaupt für eine Altersvorsorge entscheiden. Leider gibt es nach wie vor viel zu viele die sagen: „Ich erhalte ohnehin keine Erträge“. Viele haben auch schlechte Erfahrungen mit kapitalbildenden Lebens- oder Rentenversicherungen gemacht, die ihre Versprechungen nach 20, 25 Jahren nicht eingelöst haben. Man muss an das Thema anders herangehen als beispielsweise mit Garantien. Eine stärkere Fokussierung auf Kapitalmarktanlagen ist unerlässlich. Die Menschen wollen Geld investieren und natürlich auch Erträge erzielen. Das muss man bieten, funktioniert aber auch nur dann, wenn man am Kapitalmarkt aktiv ist.

Langer: Ob die Inflationsrate gerade hoch oder niedrig ist oder ob die Zinsen gerade hoch oder niedrig sind, ist nicht so entscheidend. Wenn man sich überlegt, jemand, der 1958 geboren ist, der ist jetzt 65 Jahre alt. Wenn der mit 16 Jahren zu Beginn seiner Lehrzeit eine Rentenversicherung auf 200.000 Mark abgeschlossen hätte, dann hätte er sich gesagt: 200.000 Mark, was kann ich mir dafür alles kaufen! Damals hat zum Beispiel ein VW Golf 10.000 Mark gekostet. Das wären 5 Prozent von dem gewesen, was er gespart hat. Jetzt ist es halt ein bisschen später, jetzt ist er 65, bekommt auch 200.000 Mark bzw. 100.000 Euro. Wenn er jetzt einen Golf kauft, zahlt er 30.000 Euro, das sind 30 Prozent von dem, was er zusammengespart hat. Bei vielen ist das Thema Kaufkraft und vor allem Kaufkraftverlust nach wie vor nicht im Hinterkopf. Deshalb müssen Berater noch sehr viel stärker dafür sensibilisiert werden, damit sie auch ihre Kundinnen und Kunden entsprechend beraten können. Ich glaube, dass viele Kunden es verstehen, wenn man es ihnen vernünftig erklärt. Ich glaube, das Erklären wird das sein, was viel wichtiger wird, als es in den letzten Jahren war. Und der Kunde tut gut daran, wenn der Berater eine Dynamik empfiehlt, diese auch in die Produkte einzubauen.  Das ist ein großer Vorteil, um die Folgen der Inflation für die Police einzudämmen. 

Herr Fehrenbach hat es gerade schon angesprochen. Was macht die derzeitige Situation überhaupt mit der Bereitschaft der Menschen, das Thema Altersvorsorge anzugehen?

Fehrenbach: Es ist auf jeden Fall eine Generationenfrage. Wenn ich mit jüngeren Menschen spreche, dann höre ich meistens: „Wir bekommen ohnehin keine gesetzliche Rente mehr. Weshalb soll ich dann selbst noch etwas machen? Das ist ein sehr fatalistischer Ansatz, aber durchaus Realität. Menschen, die älter sind und auch eine Familie haben, sehen es anders. Sie sind eher bereit und sagen: „Ich will vorsorgen, damit meine Kinder nachher nicht belastet sind mit mir“. Sie sind bereit, langfristig, sowohl mit Regelsparbeiträgen als auch mit Einmalanlagen zu investieren. Ob Altersvorsorge in Frage kommt, ist tatsächlich ein Stück weit davon abhängig, wie man selbst auf die Welt blickt und in welcher Lebenssituation man sich selbst befindet. Allerdings sollte man jenen sagen, die es komplett ablehnen: Auch in der Vergangenheit gab es mit der Weltwirtschaftskrise 1929, der Ölkrise, oder der Lehman-Finanzkrise große Verwerfungen. Und dennoch macht es langfristig Sinn, Geld anzulegen und Erträge zu erzielen, um letztendlich auch den Lebensstandard im Alter halten zu können.

Langer: Die persönliche Lebenssituation beeinflusst in der Tat sehr stark das Vorsorgeverhalten. Jemand, der nicht verheiratet ist, der Single ist, natürlich auch meistens keine Kinder hat, der lebt eher im Jetzt. Und jemand, der Kinder hat, der vielleicht eine Familie hat und auch andere Dinge, der möchte natürlich eben auch wie schon gesagt          heißt es, Konsum von jetzt tausche ich gegen Konsum später. Je mehr jemand auch auf das Später fixiert ist, desto mehr ist er oder sie bereit, jetzt ein Stück von seinem Konsum abzugeben und ihn in Zukunft haben zu können. Viele Singlehaushalte leben allerdings noch eher im Hier und Jetzt, werden aber vielleicht erst dann sensibilisiert, wenn es spät ist. Denn je später man anfängt für die Zukunft vorzusorgen, desto höher wird der Preis, den man dafür zahlen muss. Das heißt, wir brauchen Berater, die den Menschen gut erklären, dass es gut ist, möglichst früh einzusteigen, um eben die monatliche Sparrate gering zu halten. 

Bild von Marcus Langer
Marcus Langer: „Die Berater, die mit Ökoworld zusammenarbeiten, benötigen keine ESG-Abfrage.“ Foto: Florian Sonntag

Das bedeutet aber auch, dass diejenigen den Berater auch nutzen müssen oder wollen.

Langer: Natürlich, und es muss auch Berater geben, die sagen: „Ich mache mir die Arbeit und spreche sie an und versuche, sie zu überzeugen“. Das ist ja der entscheidende Punkt, um den die Berater wissen. Wenn sie zu einer Familie gehen, ist es oft leichter, gewisse Produkte zu verkaufen, als wenn sie zu einem Single gehen. Auf der anderen Seite lässt sich auch mit einem gutverdienenden Single ein gutes Geschäft machen.

Was rückt bei den Kunden in unsicheren Zeiten stärker in den Mittelpunkt: Sicherheit, Renditechance oder doch ESG?

Busboom: Je unsicherer die Zeiten, desto größer das Bedürfnis nach Stabilität für die eigene Kapitalanlage, das ist nicht neu. Nach unserer Erfahrung steht ESG vor allem bei Anlegern mit klarer Ausrichtung auf dieses Thema im Fokus – dann tatsächlich oftmals auch unabhängig von Renditechancen. Für alle anderen ist das ausgewogene Verhältnis von Rendite und Sicherheit auch in diesen Zeiten ausschlaggebend.

Langer: Das Thema ESG ist in der Tat komplett unbeeinflusst von der Zeit. Wir haben einen Anteil an Menschen, denen ist Nachhaltigkeit schon immer wichtig gewesen. Die haben Werte und möchten ihr Geld anhand ihres Wertekanons angelegt haben. Dann gab es aber ganz viele Anleger, gerade in den letzten Jahren, die waren eher renditegetrieben. Die haben sich überlegt: Womit könnte ich eine gute Rendite erzielen? Und eine gute Rendite könnte ich zum Beispiel erzielen, wenn ich in Dinge  investiere, die mit Nachhaltigkeit zu tun haben, weil es gerade gefragt ist. Denen war der Hauptaspekt Nachhaltigkeit nicht der wichtigste, sondern die Renditeerwartung. Ich glaube, auch hier brauchen wir wieder den Berater, die ganz knallhart die Ziele herausarbeiten, die der Anleger hat. Dafür braucht es jemanden, der vernünftig sprechen kann und der auch vom Markt Ahnung hat, denn Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeit ist nicht immer das Gleiche. 

Fehrenbach: Man kann nicht sagen „Renditesicherheit oder ESG“, sondern das gehört schon irgendwie zusammen, insbesondere wenn man sich ansieht, wie die Wünsche der Menschen sind, die Altersvorsorge betreiben: Auf der einen Seite hätten sie gerne gute Rendite aber mit einer hohen Sicherheit. So etwas gibt es auf dem Papier nicht. Das gibt es nur dann, wenn man entsprechende Anlagemodelle macht, die diese Aspekte berücksichtigen, dass man nicht nach der höchsten Rendite jagt und es auf der anderen Seite keine Garantiezinsen gibt, sondern Modelle, wie sie beispielsweise durch Multimanagerfonds möglich sind, die letztlich Chancen nutzen können. Langfristig wird am Kapitalmarkt immer Geld verdient. Deshalb denke ich, dass viele überzeugt werden können, wenn auch die Berater überzeugt sind. Sie müssen entsprechend beraten können. 

Bis 4 Prozent Guthabenzins statt „Verwahrentgelt“: Reicht der potenzielle oder prognostizierte Renditeabstand der verschiedenen Investments zum Festgeld noch aus? Und wie hoch muss er sein?

Busboom: Pauschal gesagt, sollte der Renditeabstand bei 1,5 bis 2 Prozent liegen, wobei man zwischen den Investmentformen differenzieren muss. Ein Private Equity- oder ein Projektentwicklungsfonds hat deutlich höhere Risiken als zum Beispiel unsere Sachwertbeteiligungen in grüne Stromerzeugungsanlagen, die bereits am Netz sind oder kurz vor der Fertigstellung stehen. Bei stärker risikobehafteten Anlagen muss der Abstand sicherlich höher sein. Davon abgesehen, hat die Zinsentwicklung inzwischen ein Plateau erreicht und wird sich tendenziell wieder rückläufig entwickeln, womit sich die Frage dann erübrigt.

Bild von Volker Fehrenbach
Volker Fehrenbach, Mediolanum: „Wir haben nur fondsgebundene Produkte, die keine ausgesprochene Garantie beinhalten, da wir die Attraktivität für Anleger nicht erkennen können.“ Foto: Florian Sonntag

Unabhängig davon, ob es um Altersvorsorge oder das Investieren generell geht, ist Flexibilität gerade in diesen Zeiten sicherlich von besonderer Bedeutung. Wollen das auch die Kunden und wenn ja, was wird speziell nachgefragt?

Fehrenbach: Kunden wollen in der Tat sehr flexibel sein im Hinblick darauf, was sie einzahlen, jetzt und auch in Zukunft. Und sie wünschen sich durchaus auch Verträge, die länger laufen, bei denen auch die Auszahlpläne sehr flexibel gestaltet sind, ausgehend von einer fixen lebenslangen Rente bis hin zu ratierlichen Auszahlungen. Das ist die monetäre Seite. Aber auch in den Produkten möchten sie flexibel sein, beispielsweise durch bestimmte Wechselmöglichkeiten, ohne dass das zu zusätzlichen Kosten führt. Das ist das, was wir registrieren und was wir aber auch in unseren Produkten länger schon berücksichtigen. Es ist nie 100 Prozent, was man den Kunden tatsächlich geben kann. Aber die Flexibilität ist schon sehr gefragt, nicht zuletzt, weil sich auch die Lebenssituation ändert.  

Langer: Es ist wie überall: Das Produkt muss zu den Menschen passen. Und die Lebenslinien der Menschen haben sich in den letzten 50 Jahren deutlich verändert. Wenn ich viele Jahre zurückschaue, dann hat man als junger Mensch geheiratet, Familie gegründet, irgendwann dann die Eltern mit gepflegt, noch im Haus, bis man irgendwann selbst alt wurde. Dann kam eine Generation, die auch noch eine Familie gegründet hat aber schon meist die Eltern nicht mehr mitgepflegt hat, sondern die kamen in eine Pflege. Und jetzt haben wir eine Generation mit stark gebrochenen Lebensläufen, die ein Studium/Lehre machen, dann vielleicht arbeiten, dann vielleicht ein Sabbatical machen oder ein Auslandsjahr, etc. Und wenn ich einen komplett anderen Lebenslauf habe, als es noch vor fünfzig Jahren der Fall war, dann brauche ich auch ein Produkt, was bei die-sem Lebenslauf möglich ist. Das heißt, es braucht zum Beispiel eine Rentenversicherung, bei der sich die Beiträge einmal aussetzen lassen. Das Produkt, das gebaut wird, muss immer zu den Lebenslinien der Menschen passen, an die es verkauft werden soll. 

Busboom: Unsere Anleger entscheiden sich bewusst dafür, in Zukunftsmärkte mit allen damit verbundenen langfristigen Chancen zu investieren. Als vermögende Anleger stellen sie die Flexibilität über andere Finanzmarktprodukte her, in die sie darüber hinaus investiert sind. 

Stichwort Garantien: Brauchen wir auch hier mehr Flexibilität bzw. wie wichtig ist jetzt ein Mentalitätswechsel bei Kunden und im Vertrieb?

Fehrenbach: Wir haben nur fondsgebundene Produkte, die keine ausgesprochene Garantie beinhalten, da wir die Attraktivität für Anleger nicht erkennen können. Der Höchstrechnungszins im Versi-cherungsbereich ist ohnehin ausgesprochen gering. Wenn allerdings ein Garantieprodukt nur diesen Zins erzielte, würde er allein durch die Kosten wahrscheinlich aufgezehrt. Die Lebensversicherer in Deutschland hatten über Jahre größte Mühe, ihre Garantiezinsen, die sie irgendwann einmal versprochen hatten, zu liefern. Alle Versuche, eine Garantie so einzubauen, dass sie Anlegern auch einen Mehrwert bietet, sind bislang mehr oder weniger gescheitert. Deshalb komme ich noch einmal auf das zurück, was ich zuvor gesagt habe: Wenn ich Altersvorsorge mache, dann denke ich langfristig, und wenn ich langfristig am Kapitalmarkt aktiv bin, dann werde ich auch langfristig Erträge erzielen können. 

Langer: Entscheidend ist sicherlich zu schauen, wer das „große“ Geld auf dem Sparbuch hat. Das sind weniger die 20- und 25-Jährigen, sondern eher Menschen etwas höheren Alters, und die haben natürlich eine ganz andere Sicht auf das Risiko und natürlich auch einen ganz anderen Zeithorizont. Wenn 25-Jährige irgendwo 50.000 Euro liegen habe, dann werden die meisten 25-Jährigen auch sagen, das tue ich in einen Aktienfonds oder kaufe davon ein paar Einzelaktien, und wahrscheinlich wird es auch ein paar geben, die sagen, ich brauche Bitcoins. Wenn ich einen 55- oder 60-Jährigen frage, dann wird der natürlich eine ganz andere Meinung zu dem Thema haben. Der hat aber auch einen ganz anderen Zeithorizont. Wir sehen natürlich schon, dass gerade bei den Jugendlichen eine gewisse Risikoaffinität da ist, die auch nicht mehr so einen großen Wert auf Garantien legen. Die etwas älteren Menschen hingegen wollen anstelle eines reinen Aktienfonds dann lieber doch einen Mischfonds. Und wer noch ein bisschen weniger Risiko will, der kauft dann vielleicht sogar einen Rentenfonds. Und natürlich darf der auch keine zu lange Laufzeit haben, weil mit fallenden Zinsen habe ich wieder Kurswirkung oder umgekehrt natürlich auch mit steigenden Zinsen. 

Kommen wir noch einmal auf das Thema ESG zurück. Es ist nach wie vor der Megatrend der nächsten Jahrzehnte. Sehen das auch Kunden und der Vertrieb so?

Busboom: Für Kunden, die Ökorenta Fonds zeichnen, ist das Thema Nachhaltigkeit wichtig. Wir stehen als Kapitalanlagehaus mit unserer Ausrichtung auf Erneuerbare Energien per se für nachhaltige Investments. Genau das schätzen unsere Anleger. Gleichwohl sehen sie Nachhaltigkeit immer auch im Abgleich zur Renditeerwartung, die ebenfalls stimmen muss. Insofern steht bei uns der ökonomische Aspekt der Nachhaltigkeit ebenso im Fokus wie der ökologische. Zwischen Kunden und Vertrieb würde ich hier nicht unterscheiden.

Langer: Jeder Mensch hat seinen Wertekanon, und es gibt eben Menschen, die wollen ganz genau sicherstellen, dass das Geld, das sie anlegen, einigen Unternehmen zugutekommt und einigen anderen Unternehmen eben nicht. Da ändert sich der Stellenwert auch nicht durch einen Ukraine-Krieg oder durch andere Dinge, die von außen kommen. Was wir feststellen, ist, dass natürlich immer mehr Menschen darüber nachdenken: Wem gebe ich mein Geld, und was macht der damit? Das sind also Menschen, denen Nachhaltigkeit wichtig ist. Das waren mal sehr wenige, es werden immer mehr, denen das wichtig ist. Und wenn diese dann einmal für sich eine Meinung gebildet und gefestigt haben, dann bleibt diese zumeist auch relativ stabil. Das sehen wir auch an unseren Fonds, deren Volumina sehr lange sehr konstant bleiben. Es gibt ganz viele Berater, die beraten ausschließlich nachhaltig, und wenn der Kunde das nicht will, dann ist es auch nicht deren Kunde. ESG ist für diese kein Modethema. Für ein paar andere war es eine willkommene und lukrative Chance, auf einen Zug aufzuspringen, der jetzt gut ins Rollen kommt, und ein Stückweit mitzufahren. Aber das waren und sind niemals die Menschen, denen ESG nicht das Wichtigste war. Das waren ganz einfach vielfach nur Menschen, die gerne eine gute Rendite erzielen wollen. 

Fehrenbach: Es wird bei uns natürlich auch stärker. Wir sehen es in den Fonds unserer Schwestergesellschaft. Es wurden und werden mehr Nachhaltigkeitsfonds aufgelegt und auch sehr stark nachge-fragt. Auf der einen Seite gibt es tatsächlich Kunden, die sehr stark darauf fokussiert sind und die ganz begeistert sind, wenn zumindest politisch versucht wird, mehr erneuerbare Energie zu produzieren. Auf der anderen Seite gibt es genügend Kunden und auch Berater, die es überhaupt nicht interessiert, wenn wir auch beim Lebensversicherungsprodukt einen neuen ESG-Fonds mit anbieten. Andere sind wirklich überzeugt von der Geschichte und nutzen das auch und mischen es bei. Wir haben einen Multimanageransatz in unseren Produkten und haben zudem auch bereits grüne Fonds mit reingenommen, nicht nur weil wir denken, es ist jetzt en vogue, sondern auch, weil wir davon überzeugt sind, dass man damit langfristig gute Erträge erzielt. Das gilt übrigens auch für den Mediolanum Life Plan. 

Ist die ESG-Abfrage, die es seit nunmehr über ein Jahr gibt, zu kompliziert?

Busboom: Ein klares Ja, sie ist zu komplex, zu kompliziert und damit definitiv nicht förderlich.

Langer: Ich halte sie ebenfalls für viel zu kompliziert und sie geht am Ziel vorbei. Die Berater, die mit Ökoworld zusammenarbeiten, die benötigen keine ESG-Abfrage. Die haben natürlich die Fragen, die man den Kunden stellen musste, bereits vorher gestellt, um rauszukriegen: Wo liegen deren Präferenzen, was ist denen wichtig bei der Geldanlage? Wenn ich jetzt schaue, was heute gefragt wird: „Möchtest du ein Sozialziel von 19,5 Prozent haben?“ Das kann kein Berater erklären, und das kann auch kein Kunde  verstehen. So ein Kunde, der möchte natürlich z.B. wissen: Habe ich da Tabak drin, habe ich da Pornografie drin, habe ich da Kinderarbeit mit drin, ha-be ich da Waffen drin? Und da muss man eben sagen „Ja“, „Nein“ oder wenn „Ja“, mit wie viel Prozent? Das gibt die Abfrage derzeit überhaupt noch nicht her. Man wird daran arbeiten, dass das kommt, und das wird auch notwendig sein. Mit solchen Prozentzahlen wie Sozialziel, Umweltziel, können Kunden gar nichts anfangen. Die haben bestimmte Vorstellungen von Nachhaltigkeit und in diese Richtung muss auch die Beratung gehen.

Fehrenbach: Bei Erstellung der Abfragesystematik waren viele Juristen beteiligt. Deren Vorstellungen decken sich allerdings gar nicht mit jenen, die die Kunden haben. Je genauer man die Regel formuliert, desto enger wird es, desto schwieriger wird es für den Berater, das rüberzubringen, und desto schwieriger wird es auch für den Kunden, das zu verstehen.

Bild von Jörg Busboom
Jörg Busboom, Ökorenta: „Vom Grundsatz ist die Taxonomie als Orientierungshilfe gut gemeint, aber sie ist schlecht umgesetzt.“ Foto: Florian Sonntag

Ist es eigentlich richtig, dass 80 Prozent der befragten Anleger sagen, ESG sei ihnen in der Kapitalanlage nicht wichtig? 

Langer: Ich weiß, dass es Berater gibt, die einen eigenen ESG-Ansatz im Kopf haben, aber um möglichst frei mit dem Kunden arbeiten zu können, nicht böse sind, wenn der Kunde sagt: „ESG ist mir nicht wichtig“. Man muss natürlich auch wissen, dass die Zielquoten die man dort angeben kann, unglaublich schwer zu erreichen sind. Es fehlen Daten, es fehlen Zahlen, und wenn ein Kunde eine hohe Quote haben möchte, dann kann es im schlimmsten Falle passieren, dass dann der Berater nicht einen einzigen Fonds findet, den er empfehlen kann. Und das kann es ja auch nicht sein. 

Apropos fehlende Daten und Zahlen. Wie bewerten Sie die EU-Taxonomie – ist sie ein Gamechanger oder doch eher ein Bürokratiemonster?

Langer: Aus unserer Sicht ist es auf gar keinen Fall ein Gamechanger. Zum einen: Wen betrifft das? Es betrifft erst einmal hauptsächlich Fonds, die in Europa anlegen, weil es eben EU-weit ist. Es gibt nur wenige Fonds, die nur europäische Unternehmen in ihrem Portfolio haben. Wenn Sie in die USA oder nach Asien reisen und dort das Wort „Taxonomie“ in den Mund nehmen, dann hören Sie es bis hier lachen. Das ist für die Menschen dort vollkommen uninteressant. Die Unternehmen dort werden auch niemals solche Zahlen liefern. D.h. man erhält von denen ganz schlecht Taxozahlen. Es gibt natürlich Ratinggesellschaften, die Taxozahlen liefern, allerdings können diese für ein und dasselbe Unternehmen sehr unterschiedlich sein, sodass man als Berater und Investor vor der Frage steht: Wer hat denn jetzt von beiden recht? Das hat dann dazu geführt, dass es inzwischen einige Fondsgesellschaften gibt, die dann auf die jeweils beste Taxoquote fokussieren. Hinzu kommt, auch wir als Produktgeber müssen im Vorfeld eine Taxozahl angeben, die wir erreichen wollen, und das hat auch zur Konsequenz, dass in dem Fall das Portfoliomanagement oder diejenigen, die die Anlageentscheidung treffen, zwei Sachen im Auge haben müssen. Zum einen: Komme ich mit der Taxoquote hin? Und die andere ist: Ist das noch ein lukratives Investment? Das ist übrigens ein Grund, warum wir von Ökoworld unsere Taxozahl auf 1 gestellt haben, weil wir einfach gesagt haben, dem Druck wollen wir das Portfoliomanagement gar nicht erst ausliefern. Wir  versprechen eine Taxoquote von 1, auch wenn sie am Ende sehr viel höher ausfallen wird.

Fehrenbach: Das Portfoliomanagement schränkt sich auf der einen Seite dadurch nur unnötig ein, während auf der anderen Seite ein enormer bürokratischer Aufwand betrieben werden muss. Insbesondere muss man erklären, wenn es Produkte gibt, bei denen eine solche Zahl gänzlich fehlt. Der Ansatz mit der 1 ist tatsächlich sehr interessant.

Busboom: Vom Grundsatz ist die Taxonomie als Orientierungshilfe gut gemeint, aber sie ist schlecht umgesetzt. Der Verwaltungsaufwand für uns als Emittenten und Fondsverwalter ist gigantisch und für viele Kunden ist sie schlichtweg zu kompliziert und vielfach nicht nachvollziehbar.

Letzte Frage. Mit ELTIF 2.0 wird die Anlageklasse voraussichtlich in diesem Jahr verstärkt aus den Startblöcken kommen. Welchen Stellenwert werden ELTIFs als alternative Anlageform haben und gibt es bei Ihnen Pläne, diese zu nutzen?

Busboom: Aus unserer Sicht sind ELTIF eine gute Ergänzung im Investmentbereich. In unserem Haus haben wir für 2024 keinen ELTIF in der Planung, das Thema aber auf unserer längerfristigen Agenda. Auf jeden Fall werden wir einen ELTIF nur in Kooperation mit einem Partner auflegen, dessen Expertise im Bereich der liquiden Assets liegt. Aktuell führen wir Gespräche mit entsprechenden Häusern.

Langer: Für uns bei Ökoworld ist das aktuell kein Thema. Uns fehlt dazu schlicht die Expertise, auch wenn es aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten sicher spannend sein kann, weil man über Infrastrukturprogramme ethisch, ökologisch, sozial einige Dinge vorantreiben kann. 

Fehrenbach: Mediolanum hat Fonds, die auch in Infrastrukturprojekte investieren. Dort liegt für uns der Fokus und dort sehen wir nach wie vor gute Ertragschancen. Aus diesem Grund ist ELTIF für uns noch kein Thema.

Dieser Artikel ist teil des EXTRA Altersvorsorge & Investment. Alle Artikel des EXTRA finden Sie hier.

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