Die Europäische Zentralbank wird bei ihrer geldpolitischen Juni-Sitzung im Juni voraussichtlich den Einlagensatz um 0,25 Prozent senken – auf dann 2,0 Prozent. Damit würde dieser am unteren Ende unserer geschätzten neutralen Spanne liegen.
Im Mittelpunkt steht die Aktualisierung der Konjunkturprognosen durch das EZB-Stabsteam. Bei den BIP-Wachstumsprognosen erwarten wir kaum Veränderungen – die aktuelle Schätzung von 0,9 Prozent für 2025 liegt nahe an unserer Erwartung von 1,1 Prozent. Ein stärker als erwartetes erstes Quartal, wohl bedingt durch vorgezogene Exporte, dürfte durch eine Abwärtskorrektur des restlichen Jahres kompensiert werden, da die hohe Unsicherheit die Konjunktur belastet. Für 2026 überwiegen die Abwärtsrisiken gegenüber der aktuellen EZB-Prognose sowie unserer eigenen um 1 Prozent – insbesondere angesichts der Gefahr einer verzögerten oder geringeren Umsetzung des deutschen Konjunkturpakets.
Inflationsdruck lässt nach: Schwächerer Verbraucherpreisindex und Lohnentwicklung sprechen für weitere Zinssenkungen
Trotz stabiler Wachstumszahlen rechnen wir mit Abwärtskorrekturen bei den Inflationsprognosen. Das Lohnwachstum ist weiter deutlich gesunken und liegt auf annualisierter Basis inzwischen unter 3 Prozent. Gleichzeitig belastet der stärkere Euro die Importpreise für Güter. Brent-Rohöl notiert aktuell rund 20 Prozent unter dem Vorjahresniveau (in Euro). Wir erwarten, dass sowohl die Gesamt- als auch die Kerninflation bis Ende 2026 unter zwei Prozent fallen werden.
Ein zusätzlicher Impuls für die taubenhaften Stimmen in der EZB war der schwächer als erwartete vorläufige Verbraucherpreisindex (CPI) für Mai – eine Korrektur der Oster-bedingten Ausreißer im April (insbesondere bei Flug- und Pauschalreisen). Die Gesamtinflation liegt nun unter zwei Prozent im Jahresvergleich. Sowohl die Kerninflation (2,3 Prozent) als auch die Dienstleistungsinflation (3,2 Prozent) sind auf dem niedrigsten Stand seit drei Jahren. Da das Wachstum voraussichtlich leicht unter dem Trend bleibt und die Löhne weiter sinken dürften, sehen wir nun Abwärtsrisiken für unsere Terminal-Rate-Prognose von 1,75 Prozent. Unabhängig davon hat die Mai-Inflation die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Zinssenkung im Juli deutlich erhöht.
Fazit: Die EZB wird am Donnerstag voraussichtlich ihre Leitzinsen um weitere 25 Basispunkte senken. Begleitet wird der Schritt wohl von einer deutlichen Abwärtskorrektur der Inflationsprognosen der EZB-Mitarbeiter – angesichts nachlassender Lohnzuwächse, sinkender Energiepreise und eines stärkeren Euro. Die anhaltend hohe Unsicherheit dürfte die wirtschaftliche Aktivität zusätzlich belasten, und mit der weiteren Abschwächung der Dienstleistungsinflation steigt das Risiko, dass die EZB deutlich unter das neutrale Zinsniveau senken muss, um ein Unterschießen des Zwei-Prozent-Inflationsziels zu vermeiden.