Gregor Gysi im Exklusiv-Interview: „Nicht die Provisionen sind meine Sorge, sondern die Spielregeln“

Foto: Christoph Mittermüller
Gregor Gysi

Auf der Hauptstadtmesse der Fonds Finanz sprach Cash. mit dem Linken-Politiker Gregor Gysi über eine Reform der Altersvorsorge, nachhaltige Investitionen und ein mögliches Provisionsverbot.

Herr Gysi, haben Sie eigentlich privat für Ihre Rente vorgesorgt oder sind Sie der Ansicht, dass der Staat sich darum kümmern sollte?

Gysi: Das ist unterschiedlich. Ich bin dafür, dass wir eine gesetzliche Rentenversicherung haben, in die alle Menschen mit Erwerbseinkommen einzahlen müssen, auch Rechtsanwälte und Bundestagsabgeordnete. Und auch Beamtinnen und Beamte – die möchte ich aber nicht schlechter stellen, sie können ja einen Ausgleich zur Pension bekommen. Ich möchte keine Beitragsbemessungsgrenzen. Wer ein hohes Einkommen hat, muss davon seinen Beitrag bezahlen. Für die Spitzenverdiener würde ich den Rentenanstieg abflachen. Wenn wir diese Reformschritte gingen, brauchten wir nicht ständig über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters nachzudenken. Dann hätten alle Bürgerinnen und Bürger eine angemessene gesetzliche Rente. Darüber hinaus könnten sich diejenigen, die besser verdienen, selbstverständlich zusätzlich versichern. Dagegen habe ich nichts. Ich möchte aber nicht, dass sie von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind. Das Auskommen im Alter muss für alle Menschen gesichert sein.

Was halten Sie denn von der Aktienrente, die Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nach schwedischem Vorbild plant?

Gysi: Ich werde mir das in Nordeuropa angucken. Ich bin Vorsitzender der Deutsch-Nordischen Parlamentariergruppe (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden; Anm. der Red.), und dort gibt es ja solche Regeln. Da werde ich mich sachkundig machen. Im ersten Moment bin ich aber misstrauisch, denn was machen wir, wenn die Aktienkurse fallen? Das ist ein Vabanque-Spiel, so etwas mag ich eigentlich nicht. Am Ende muss es immer eine planbare Sicherheit geben.

Sollten sich die Bundesbürger grundsätzlich mehr mit dem Kapitalmarkt beschäftigen?

Gysi: Naja, nun sind wir im Kapitalismus, da muss man sich ein bisschen damit beschäftigen. Wir dürfen nur unsere Bildungsstruktur nicht überschätzen. Wovon hat denn ein Schulabgänger heute diesbezüglich Ahnung? Wenn der anfängt, Aktien zu kaufen, na dann gute Nacht! Ich selbst mache das auch nicht. Nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil ich viel zu wenig von Aktien verstehe. Ich müsste mich intensiv damit beschäftigen. Weil ich dazu aber keine Zeit habe, bin ich eben nur bei der Sparkasse.

Haben die politischen Parteien gerade die richtigen Lösungen parat, um die Rente der Menschen zu garantieren?

Gysi: Der einzige Bereich, über den diesbezüglich viel diskutiert wird, ist das Renteneintrittsalter. Das ist eine Debatte, die ich gar nicht mag, weil ich finde, 67 Jahre reicht nun wirklich. Das Hauptproblem ist, dass niemand den alten Leuten – und den jungen, die irgendwann alt werden – eine Garantie gibt. Aber die brauchen sie. Dafür muss man sich eine Lösung einfallen lassen, aber das passiert nicht. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ja eine ganz nette Idee, aber ich garantiere Ihnen: Sobald der Bundestag das Grundeinkommen einführt, wird er die gesetzliche Rente und die Arbeitslosenversicherung abschaffen – mit der Begründung, dass es beides nun nicht mehr braucht. Und das fände ich falsch. Wir haben bei der Linken eine Mitgliederbefragung gemacht und die Mehrheit hat sich für das Grundeinkommen entschieden. Aber ich bin dagegen.

Themen wie Grundeinkommen und Klimaschutz beschäftigen gerade die jungen Menschen in Deutschland. Was halten Sie vom Umgang der politischen Parteien mit der jungen Generation, speziell mit Blick auf die Klimaproteste? Viele Parteien sprechen nicht mit der „Letzten Generation“, weil sie ihr vorwerfen, die falschen Mittel zu wählen. Gibt es richtigen und falschen Protest?

Gysi: Es gibt sicherlich beides. Der Punkt ist: Ich bin jetzt 75 Jahre alt und halte den Klimawandel bis zu meinem Tod noch aus – die jungen Leute nicht. Sie haben Angst, dass ihnen die Lebensgrundlagen entzogen werden. Also muss man sie ernst nehmen und ernsthafte Gespräche mit ihnen führen. Dann müssen sie sich nicht mehr auf die Straße kleben. Die Mitglieder der „Letzten Generation“ wiederum frage ich immer: Warum behindert ihr Berufstätige auf dem Weg zur Arbeit? Ihr könnt euch doch symbolisch vor Bundesministerien kleben, also andere treffen als die normalen Bürgerinnen und Bürger. Das ist jetzt bei der „Letzten Generation“ in der Diskussion und das finde ich gut. Sie einfach zu kriminalisieren, spitzt die Lage nur zu.

Trafen sich in Berlin zum Interview: Gregor Gysi, Nadine Wiesenthal und Kim Brodtmann (v.l.)/Foto: Christoph Mittermüller

Stimmt es, dass Ihre Partei plant, zum politischen bzw. parlamentarischen Arm der Klimabewegung zu werden?

Gysi: Einer unserer Stellvertreter will das gerne, von daher ist es etwas übertrieben zu sagen, dass die Partei das plant. Wir haben natürlich Anhänger von den Klebeaktionen, wir waren schon immer eine „Von-bis-Partei“. Die denken jetzt, dass sie auf dem Vormarsch sind. Das liegt daran, dass unsere alten Mitglieder immer die jungen Mitglieder zu Delegierten wählen, nach dem Motto: ‚Wir haben das Ganze gegen den Baum gefahren, jetzt sollen die jungen Leute mal machen‘. Dabei achten sie nicht darauf, ob die jungen Leute ihre Meinung vertreten oder nicht. Ich mache jetzt einige Parteiveranstaltungen, damit das ein bisschen korrigiert wird, denn man sollte es nie übertreiben.

Kann die Förderung von „grünen Investitionen“ durch die ESG-Regeln aus Ihrer Sicht einen Beitrag leisten, die Klimakrise in den Griff zu bekommen?

Gysi: Die Politik muss entscheiden, welche Art von Produktion sie erlaubt und welche sie verbietet. Wenn eine bestimmte Art von Produktion verboten ist, dann gibt es auch die entsprechenden Anlagen nicht mehr, in die man investieren könnte. Es kann aber nicht sein, dass man die Investmentfonds dazu zwingt, etwas zu regeln, was die Politik nicht regelt. Sie muss die entscheidenden Punkte regeln und danach müssen sich dann auch die Investmentfonds richten.

Die EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness hätte gerne die Provisionen der Vermittler europaweit verboten. Daraus ist vorerst nichts geworden, auch aufgrund der Intervention des Bundesfinanzministers. Welches Vergütungssystem wäre aus Ihrer Sicht ideal?

Gysi: Die Schwierigkeit ist eine andere. Entweder investiert der Staat in alles – das ist aber im Staatssozialismus gescheitert – oder es gibt private Investoren. Da private Investoren sich nicht selbst um alles kümmern können, gibt es Finanzvermittler. Nun kann man nicht sagen, dass die nichts verdienen dürfen. Der Gesetzgeber kann aber eine Grenze setzen, zum Beispiel durch eine Deckelung. Provisionen zu verbieten, würde letztlich bedeuten, auch Investitionen zu verhindern. Es müssen aber Spielregeln festgelegt werden, damit die Vermittler nicht blind und frei von jeder Kenntnis irgendetwas empfehlen können, was die Kunden ruiniert. Nicht die Provisionen sind meine Sorge, sondern die Spielregeln.

Die in großen Teilen rechtsextreme AfD feiert gerade fulminante Umfrageergebnisse, besonders im Osten. Was ist aus Ihrer Sicht der richtige Umgang mit so einer Partei?

Gysi: Der größte Fehler besteht darin, dass wir nur darüber nachdenken, was die richtig machen und weshalb die erfolgreich sind und nicht darüber, was wir falsch machen. Sie nutzen die Angst der Menschen vor der Globalisierung und tun so, als ob sie national alle Probleme gelöst bekommen. Deshalb müssen wir unsere Bildungsstrukturen ändern und den Wert von Demokratie und Freiheit verdeutlichen. Die AfDler spielen immer gern die Ausgegrenzten, was natürlich großer Quatsch ist. Da wir sie verbal ausgrenzen, nutzen sie es.

Ihre eigene Partei steht vor der Spaltung. Gibt es einen Ausweg aus der inneren Zerrissenheit der Linken?

Gysi: Der Ausweg ist, dass man keine Abspaltung macht, sondern um neue Mehrheiten in der Partei kämpft. Das sage ich auch Sahra Wagenknecht, wenn ich sie treffe. Ich habe auch schon Niederlagen auf Parteitagen erlebt und daraus nicht den Schluss gezogen, einfach eine neue Partei zu gründen. Ich habe dann versucht, für andere Mehrheiten zu streiten, damit ich beim nächsten Mal wieder erfolgreich bin.

Das Gespräch führten Nadine Wiesenthal und Kim Brodtmann, beide Cash.

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