Insurtechs: Warum die Disruption ausgefallen ist

Foto: Picture Alliance/Everett Collection
Edward Norton, Madelyn Cline und Daniel Craig (v.l.) in „Glass Onion: A Knives Out Mystery“

Viele Fin- und Insurtechs sind in den letzten zehn Jahren mit dem Anspruch angetreten, die tradierte Finanz- und Versicherungsbranche umzuwälzen. Doch die meisten Digitalanbieter setzen nun auf Kooperationen.

Was wahre Disruptoren auszeichnet, erklärt der Tech-Milliardär Miles Bron (Edward Norton) dem Privatdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) in einem kurzen, pathetischen Monolog: „Sie wollen es so richtig schaffen. Also fangen Sie an, mit was Kleinem. Sie brechen eine Norm, eine Idee, eine Konvention, ein kleines Businessmodell. Aber Sie nehmen etwas, das die Leute sowieso schon satt haben. Alle sind ganz aufgeregt, weil Sie etwas sprengen, das alle vorher schon kaputt haben wollten. Das ist der Moment, an dem Sie in sich hineinschauen und sich fragen müssen: Kann es sein, dass ich der Typ Mensch bin, der weitermachen wird? Will ich noch mehr zerstören? Will ich was Großes zerstören? Will ich etwa das Ding zerstören, das eigentlich niemand kaputt sehen will? Denn an diesem Punkt wird niemand auf Ihrer Seite sein. Es wird heißen, Sie seien verrückt. Man wird sagen, Sie seien ein Mistkerl. Und dann heißt es: Stopp, es reicht! Denn wie sich herausstellt, will niemand, dass Sie anfangen, das System zu zerstören. Das ist es, was wahre Disruption auszeichnet. Das ist es, was uns eint. Wir alle hier sind an diese Grenze gestoßen und haben sie überschritten.“

Im Netflix-Hit „Glass Onion: A Knives Out Mystery“ hat Bron seine besten Freunde für ein exklusives Krimispiel auf seine Privatinsel in Griechenland eingeladen, darunter eine Politikerin, eine Modeikone, ein Influencer und ein Wissenschaftler. Auch Detektiv Blanc ist vor Ort – zum Glück, denn schon bald ist ein echter Mordfall aufzuklären. Zwar preist Bron – ein Abziehbild von Unternehmergurus wie Steve Jobs oder Elon Musk – seine Freunde und sich zu Beginn des Films als wahre Disruptoren, doch schon bald werden seine bedeutungsschweren Weisheiten als inhaltsleere Phrasen entlarvt. Die „Glaszwiebel“ aus dem Filmtitel steht sinnbildlich für Bron selbst: scheinbar vielschichtig und komplex, doch eigentlich ganz simpel. „Ich habe wie wohl jeder auf dieser Welt angenommen, Miles Bron sei ein äußerst kompliziertes Genie. Aber wieso?“, fragt Benoit Blanc. „Sehen Sie nur in dieses leere Zentrum der Glass Onion: Miles Bron ist ein Idiot.“ Und ein Disruptor ist er schon mal gar nicht. Große Klappe, nichts dahinter.

Auch viele Fin- und Insurtechs sind in den letzten zehn Jahren als Disruptoren angetreten – mit dem Anspruch, die tradierte Finanz- und Versicherungsbranche umzuwälzen, ihre Regeln und Verfahren zu brechen. Zwar waren – anders als bei Miles Bron – viele ihrer Versprechen nicht bloß heiße Luft: Etliche Anbieter konnten sich etablieren und arbeiten seit Jahren erfolgreich. Besonders während der Pandemie lernten immer mehr Kunden die Vorteile rein online-basierter Versicherungsabschlüsse zu schätzen. Doch die Disruption blieb auch hier aus – was sich schon daran zeigt, dass die Kooperation mit etablierten Versicherern für viele Insurtechs zu einem wichtigen Standbein geworden ist. Auf direktem Konfrontationskurs sind nur noch wenige digitale Anbieter.

Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass die Insurtechs erheblich dazu beigetragen haben, die Branche zu modernisieren und ihre Digitalisierung zu forcieren. „Fin- und Insurtechs haben in Deutschland und Europa bereits eine herausragende Rolle für das Finanzsystem. Das zeigt sich besonders auf zwei Ebenen: Innovation und Kooperation“, stellt Kevin Hackl fest, Bereichsleiter Digital Banking & Financial Services beim Digitalverband Bitkom. Mit Trends zu Contextual Banking und Embedded Finance steige das Potenzial, Finanzprodukte zielgerichtet über neue Kanäle anzubieten. „Für die Kundinnen und Kunden bringt das Vorteile mit sich, sie erhalten zum Beispiel Versicherungen, Kredite oder Finanzierungslösungen direkt am Point-of-Interaction und müssen nicht extra eine Filiale aufsuchen. Damit ergibt sich neues Geschäftspotenzial für Etablierte, Fintechs und Non-Financial Services.“

„Das Berufsbild des Vermittlers neu denken“

Laut Anna Kessler, Ecosystem & Program Director beim Insurlab Germany, der Brancheninitiative zur Vernetzung von Insurtechs, Dienstleistern sowie Hochschulen und Versicherern, bieten sich für Fin- und Insurtechs grundsätzlich zwei Rollen an: „Zum einen können sie sich als Challenger positionieren, eigenständig neue Wertangebote für den Markt kreieren und so den Status quo sowie etablierte Unternehmen der Branche herausfordern. Zum anderen bietet sich die Möglichkeit, als strategischer Kooperationspartner mit tradierten Institutionen zusammenzuarbeiten. Dieses Modell ist – aufgrund regulatorischer, investiver und kundenbezogener Herausforderungen – gerade im Fin- und Insurtech-Bereich am häufigsten anzutreffen.“ Laut Kessler konnten beide Modelle in den letzten Jahren Positivbeispiele hervorbringen. „Beim Challenger-Modell haben Neoinsurers nach anfänglichen Schwierigkeiten bei der Kundengewinnung zuletzt große Schritte machen können. Einerseits begünstigt durch die Pandemie und ihren Fokus auf Digitalisierung, andererseits durch ihre Nähe zu neuen Kundengruppierungen oder innovative Lösungsansätze wie beispielsweise Wefox, Neodigital oder Ottonova“, sagt sie. Bei den partnerschaftlich orientierten Strategien seien zahlreiche langfristig angelegte Kooperationen über die gesamte Wertschöpfungskette zu beobachten – sowohl in Kernbereichen wie Produktentwicklung und Vertrieb, Underwriting und Schaden als auch in den Support- und Betriebsfunktionen.

Besonders Newcomern rät Frank Gehrig, Partner und Insurance Specialist bei der Unternehmensberatung Simon-Kucher, zu Partnerschaften. „Der Versicherungsmarkt ist saturiert und sehr wettbewerbsintensiv. Neben den großen Versicherern als Platzhirschen in etablierten Vertriebskanälen tummeln sich auch zahlreiche Digitalversicherer oder Aggregatoren im Markt. Dagegen haben es Newcomer ohne Markenbekanntheit schwer – vor allem, wenn sie auf Vertriebspartnerschaften verzichten“, betont er. Insurtechs sollten sich daher Vertriebspartnern wie Maklern, Online-Maklern oder Vergleichsportalen öffnen – zumal das Umfeld für Neugründungen immer herausfordernder werden dürfte. „Vertriebspartnerschaften sind die erfolgskritische Größe für Neueinsteiger“, so Gehring. Mit den passenden Partnerschaften und der Integration in Vergleichswebsites oder Online-Shops könnten Neueinsteiger ihre Stärken besser ausspielen.

Der digitale Versicherungsmakler Clark ist zwar kein Newcomer mehr, doch auch das Insurtech aus Frankfurt am Main setzt auf Kooperationen. „Unser Verhältnis zu Versicherern war schon immer gut und partnerschaftlich. Wir verstehen uns seit der Unternehmensgründung als Partner der Versicherer. Im deutschen Markt unterhalten wir aktive Geschäftsbeziehungen mit rund 180 Unternehmen. Da wir als unabhängiger Makler keine eigenen Versicherungen anbieten, sehen uns die meisten Versicherer im Markt auch nicht als Konkurrenz, sondern als einen kontinuierlich wachsenden Vertriebspartner. Im Zuge unseres Wachstums ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit noch enger geworden“, sagt Vorstand und Co-Gründer Dr. Marco Adelt.

Clark wurde im Jahr 2015 gegründet. Seither konnte das Insurtech internationale Investoren wie Allianz X, Tencent, White Star Capital und Portag3 gewinnen und mehr als 170 Millionen Euro einsammeln. Obwohl auch Clark nicht als Disruptor auftritt, sieht Adelt für die Zukunft vieler Versicherer und Vermittler schwarz: „Ich gehe davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren 100 Versicherer die Branche verlassen werden beziehungsweise der Konsolidierung zum Opfer fallen. Die Anzahl der Versicherungsvermittler wird sich in Deutschland halbieren. Wir rechnen damit, dass es von den aktuell rund 200.000 Vermittlern im Jahr 2030 nur noch 100.000 geben wird.“ Die Gründe dafür seien vielfältig: „Die derzeitige generelle Überversorgung, das Durchschnittsalter von über 50 Jahren, bürokratische Vorschriften und auch Schwierigkeiten, mit den Provisionsumsätzen kostendeckend arbeiten zu können. Das mag nach einer düsteren Prognose klingen, ist aber auch eine große Chance, das Berufsbild des Versicherungsvermittlers neu zu denken.“ Man darf gespannt sein, was dabei herauskommt.

Kim Brodtmann, Cash.

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