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Interview Dennis Wittkamp, Assekurata: „Ein mögliches Opt-out sehe ich kritisch“

Dennis Wittkamp, Assekurata
Foto: Assekurata
Dennis Wittkamp

Starkregen und Überschwemmungen verursachen alljährlich Milliardenschäden. Die Bundesregierung plant eine Elementarschadenpflichtversicherung - mit einer mögliche Opt-out-Regel. Cash. sprach mit Dennis Wittkamp, Fachkoordinator Schaden- und Unfallversicherung bei der Kölner Ratingagentur Assekurata über die Pläne und die Herausforderungen in der Hausrat- und Wohngebäudeversicherung.

Starkregen und Überschwemmungen verursachen alljährlich Milliardenschäden. Die Bundesregierung plant eine Elementarschadenpflichtversicherung – mit einer mögliche Opt-out-Regel. Cash. sprach mit Dennis Wittkamp, Fachkoordinator Schaden- und Unfallversicherung bei der Kölner Ratingagentur Assekurata über die Pläne und die Herausforderungen in der Hausrat- und Wohngebäudeversicherung.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung in den Sparten Hausrat und Wohngebäude – insbesondere im Hinblick auf Qualität, Prämienhöhe, Leistungsdichte?

Wittkamp: In den letzten Jahren waren die stark steigenden Bau- und Handwerkerkosten wohl der größte Einflussfaktor auf die Branche und auch die beiden genannten Zweige. Durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine wurden Lieferketten gestört, was zu einer massiven Inflation führte. Die Preise für den Wiederaufbau von Gebäuden und die Reparatur von Schäden stiegen aufgrund der höheren Material- und Arbeitskosten, was die Rentabilität erheblich belastete. Folgerichtig sind in beiden Zweigen die Prämien zuletzt überdurchschnittlich angestiegen. Mit Blick auf die nachlassende Inflationsdynamik dürfte hier der Druck auf die Prämien etwas nachlassen.


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Auf der anderen Seite sehen wir, insbesondere in der Wohngebäudeversicherung, im Trend weiter steigende Schadenhäufigkeiten und eine hohe Dynamik auf der Leistungsseite. Hier haben die Versicherer 2025 mit Beitragsanpassungen über die inflationären Effekte hinaus reagiert. Während die Hausratversicherung marktweit weiterhin profitabel ist, bleibt die Wohngebäudeversicherung in der Verlustzone, sodass insbesondere hier weitere Prämienanpassungen nötig und zu erwarten sind. Qualitativ werden die Produkte dabei immer umfänglicher. Insbesondere im Bereich Nachhaltigkeit beziehungsweise der Absicherung von Elementarschäden und neuen Technologien wie Wärmepumpen, hat sich in den letzten Jahren viel getan. Gleichzeitig bleibt abzuwarten, ob in Zeiten steigender Prämien auch der Versicherungsschutz stetig weiter ausgeweitet werden kann. Es ist durchaus denkbar, dass Versicherer auch aus vertrieblichen Erwägungen wieder stärker auf Basisprodukte setzen.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage am Markt für Wohngebäudeversicherungen ein – insbesondere angesichts steigender Schadenaufwände durch Extremwetterereignisse. Wo liegen für Versicherer vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Szenarien die großen Herausforderungen?

Wittkamp: Die wesentlichen Einflussfaktoren für die zukünftige Entwicklung in der Wohngebäudeversicherung sind nicht nur die genannten Extremwetterereignisse, sondern auch Baukostensteigerungen und regulatorische Veränderungen. Die Kombination dieser drei Faktoren stellt die zentrale Bedrohung für die langfristige und dauerhafte Rentabilität der Branche dar. Nach Jahren steigender Baukosten haben Inflation und Lieferengpässe die Lage in der Wohngebäudeversicherung weiter verschärft. Zwar konnten Versicherer die Prämien über Indexanpassungen anheben, die Belastung bleibt jedoch hoch. Zusätzlichen Druck erzeugen häufigere Naturereignisse und strengere Auflagen beim Wiederaufbau. Viele Wohngebäudeversicherer haben deshalb 2025 ihre Beiträge über die üblichen Indexanpassungen hinaus erhöht – ein klares Zeichen für den wachsenden Ertragsdruck. Mittel- bis langfristig muss die Branche sicherstellen, dass bestimmte Risiken weiterhin versicherbar bleiben – und zwar nicht nur verfügbar, sondern auch bezahlbar für breite Bevölkerungsschichten. Dafür ist nicht nur die Versicherungswirtschaft gefordert, sondern auch die Politik: Sie muss durch mehr Klimaanpassung und gezielte Risikominimierung, etwa durch Bauverbote in gefährdeten Gebieten, ihren Teil beitragen.

Welche Trends beobachten Sie bei Schadenquoten und Kostenquoten in der Hausrat- und Wohngebäudeversicherung – und wie bewerten Sie deren Einfluss auf die Stabilität der Anbieter?

Wittkamp: Infolge der beschriebenen Entwicklungen sind die Schadenquoten in der Hausrat- und Wohngebäudeversicherung in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Auf der Kostenseite bleiben die Quoten zwar weitgehend stabil, doch auch hier erhöhen etwa steigende Löhne den Druck auf die Versicherer. In der Gesamtsicht zeigt sich: Während die Hausratversicherung weiterhin solide Erträge liefert, bleibt die Wohngebäudeversicherung ein Sanierungsfall. Die Combined Ratio – also die Summe aus Schaden- und Kostenquote – ist eine wichtige Kennzahl zur Beurteilung der Stabilität eines Versicherungszweigs. Allerdings reicht ein Blick auf diese Zahl allein nicht aus. Entscheidend sind auch Faktoren wie die Diversifikation des Geschäfts und die Ausstattung mit Sicherheitsmitteln, um die Stabilität eines Anbieters wirklich umfassend bewerten zu können.

Stichwort Schadeninflation: Von welchen Steigerungen sprechen wir in der Hausrat- und Wohngebäudeversicherung?

Wittkamp: Die Inflation im Versicherungsumfeld entwickelt sich zunehmend unabhängig von der allgemeinen Inflation. In den einzelnen Zweigen wirken spezifische Faktoren, die im üblichen Warenkorb zur Messung der Inflation kaum erfasst werden. In der Wohngebäudeversicherung werden die Beiträge jährlich an die Baupreis- und Lohnkostenentwicklung angepasst, um eine adäquate Absicherung zum aktuellen Wiederherstellungswert sicherzustellen. 2023 erreichte der Anpassungsfaktor einen Rekordwert von 14,7 Prozent, sank 2024 auf 7,5 Prozent und wird 2025 voraussichtlich bei etwa 2,5 Prozent liegen – damit unter dem langjährigen Durchschnitt von 4,3 Prozent. Die Kosten steigen also weiter, aber mit deutlich abgeschwächter Dynamik. Auch in der Hausratversicherung verteuern sich Ersatzbeschaffungen, was zu höheren Beitragsanpassungen führt. 2024 stiegen die Prämieneinnahmen im Markt um etwa vier Prozent, ein ähnlicher Anstieg wird auch für 2025 erwartet. Je nach Ertragssituation variieren die Anpassungen zwischen den Anbietern.

Wo sehen Sie derzeit die größten qualitativen Unterschiede zwischen den Produkten der Anbieter – etwa im Hinblick auf Elementardeckung, Innovationskraft oder modularen Aufbau?

Wittkamp: Innovative Zusatzleistungen wie Smart-Home-Integration und modulare Tarifmodelle eröffnen neue Möglichkeiten für eine individuelle Absicherung – besonders für technikaffine und nachhaltig orientierte Kunden. Welchen Mehrwert diese Angebote bieten, wird jeder Verbraucher unterschiedlich bewerten. Grundsätzlich findet heute jeder Interessent einen passenden Versicherungsschutz: Schlechte Tarife gibt es kaum noch, vielmehr geht es darum, das richtige Angebot für die jeweilige Lebenssituation zu wählen. Hier ist eine fachkundige Beratung entscheidend – vor allem im Bereich der Elementardeckung, wo ein Basisschutz oft nicht ausreicht und durch Zusatzbausteine ergänzt werden sollte. Dieses Bewusstsein fehlt jedoch noch bei vielen Kunden.

Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht nachhaltige Produktansätze, digitale Services oder Smart-Home-Lösungen bei Hausrat- und Wohngebäudeversicherungen?

Wittkamp: Nachhaltige Produktmerkmale haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen: Kaum ein neuer Tarif kommt heute ohne entsprechende Angebote aus. Typische Beispiele sind Rabatte für energieeffiziente oder sanierte Häuser (Wohngebäudeversicherung) sowie die Übernahme von Mehrkosten für nachhaltig produzierte Hausratsgegenstände (Hausratversicherung). Teilweise werden diese Ansätze mit digitalen Services oder Smart-Home-Lösungen kombiniert – etwa mit Prämienrabatten für vernetzte Wasserstopp-Systeme oder Rauchmelder. Dennoch sind solche Lösungen am Markt bislang noch nicht flächendeckend etabliert.

Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Diskussion um eine mögliche Elementarpflichtver­sicherung? Sind die Pläne ein Gamechanger?

Wittkamp: Ob die Pläne wirklich ein Gamechanger werden, hängt von der konkreten Ausgestaltung ab. Allein die neue Bewegung nach jahrelanger Hängepartie ist aber bereits ein positives Signal. Grundsätzlich begrüße ich die Einigung auf eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Besonders wichtig: Auch bestehende Verträge sollen einbezogen werden, um eine hohe Versicherungsdichte zu erreichen. So verteilen sich die Folgen des Klimawandels auf viele Schultern, was die Prämienentwicklung dämpfen kann. Ein mögliches Opt-Out sehe ich dagegen kritisch, da es gerade Versicherte mit hohem Risiko zur Abwahl verleiten könnte – in der Hoffnung auf staatliche Hilfe im Schadenfall. Herausfordernd bleibt die Frage, wie Versicherer dauerhaft bezahlbare und risikogerechte Prämien anbieten können. Eine Pflicht zur Versicherung eines jeden Gebäudes könnte die Branche überfordern.

Hohe Selbstbehalte wären zwar eine Entlastung, widersprechen aber dem Ziel, Eigentümer vor finanzieller Überforderung zu schützen. Staatliche Rückversicherungslösungen – etwa nach französischem Vorbild – könnten hier eine sinnvolle Ergänzung sein, ebenso ein solidarisch finanzierter Beitragszuschlag für alle. Erfreulich ist auch, dass die Politik endlich notwendige Anpassungen im Baurecht aufgreifen will, etwa Baustopps in Überschwemmungsgebieten. Weitere Maßnahmen aus dem GDV-Leitfaden „Build Back Better“ – wie wasserresistente Baustoffe oder Rückstauklappen – sollten folgen. Ob und wie eine staatliche Vorgabe für den Versicherungsschutz ausgestaltet wird, bleibt abzuwarten. Klar ist: Kommt sie, wird das auch Auswirkungen auf die Produktbewertungen haben.

Wo liegen aktuell für Vermittler und Makler bei der Auswahl hochwertiger Hausrat- und Wohngebäudeversicherungen die aktuellen Herausforderungen?

Wittkamp: Bei der Wahl einer Versicherung sollten Kundinnen und Kunden nicht nur auf Produkte und Tarifdetails achten. Natürlich sind Leistungen und Preis-Leistungs-Verhältnis wichtig – für eine fundierte Entscheidung reicht der Blick auf das Produkt allein aber meist nicht aus. Wesentlich ist auch die finanzielle Stabilität des Versicherers. Solide aufgestellte Unternehmen verfügen über ausreichend Rücklagen und Kapital, um auch in Krisenzeiten oder bei großen Schadensereignissen verlässlich leisten zu können. Das schafft langfristige Sicherheit. Erfahrungen anderer Kundinnen und Kunden bieten ebenfalls wichtige Anhaltspunkte: Wie gut sind Erreichbarkeit und Beratung? Wie transparent sind Vertragsdetails? Wie reibungslos läuft die Schadenregulierung? Online-Bewertungen, unabhängige Tests und Ratings oder Empfehlungen aus dem persönlichen Umfeld helfen hier weiter. Ein oft unterschätzter Punkt: die Ertragskraft des Versicherers in der jeweiligen Sparte. Anbieter, die nachhaltig wirtschaften und ihre Tarife solide kalkulieren, müssen seltener Beiträge anpassen. Für Versicherte bedeutet das mehr Planungssicherheit und stabile Beiträge.

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