Der Bundesfinanzminister hat sich bekanntlich nach längerer Bedenkzeit dazu entschlossen, den Sustainable-Finance-Beirat für die laufende Legislaturperiode wiedereinzusetzen. In welcher Form und mit welchem Auftrag ist allerdings noch nicht im Detail bekannt. Während der Ampelkoalition hatte sich der Beirat in erster Linie als interdisziplinäres und mit verschiedenen Stakeholdern besetztes Beratungsgremium verstanden, um Handlungsempfehlungen zu entwickeln, als Dialogplattform für Politik, Zivilgesellschaft, Real- und Finanzwirtschaft zu fungieren und die Green Transition in Deutschland zu unterstützen.
In Anbetracht der mittlerweile vielfachen kritischen Auseinandersetzungen mit Sustainable Finance, also den dafür verantwortlichen EU-Regulierungswerken wie CSRD, CSDDD, SFDR etc., der allseits beklagten Ausweitung der ESG-Bürokratie und die damit verbundene Kostenbelastungen für Unternehmen, kurzum das Problem einer im Scheitern begriffenen Sustainable-Finance-Regulierung dürften die Frage berechtigen, ob ein solcher „grüner“ Beirat überhaupt noch Sinn macht. Dazu ist ein kurzer Rückblick auf die geleistete Arbeit und deren Einschätzung hilfreich.
Die zentralen Ergebnisse und Empfehlungen des vormaligen Beirats rankten zentral um die Mobilisierung von Privatkapital zur Erreichung der Klimaschutzziele Deutschlands. Der sich als Begleiter der Bundesregierung auf deren Pfad zur grünen Transformation verstandene Beirat formulierte zahlreiche Vorschläge wie unter anderem die Einrichtung eines (grünen) Transformationsfonds, eine sogenannte „ESG-Skala“ als Entscheidungshilfe für Privatanleger bei nachhaltigen Finanz- und Versicherungsprodukten, einen steuerbegünstigten Klimasparplan und eine Klimarente sowie Vorschlägen zu mehr Pragmatismus bei der Umsetzung der nicht -finanziellen, ESG-bezogenen Unternehmensberichterstattung. Überwiegend wird bis heute in Medien und Fachkreisen die Meinung vertreten, dass die reale Umsetzung der Beiratsvorschläge weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist und kaum praktische Auswirkungen hatte. Womöglich degenerierte der Beirat faktisch zu einer Art „ministeriellem Feigenblatt“ in Sachen Nachhaltigkeit.
Die Zielsetzungen des Beirats waren von Anfang an ambitioniert, die Besetzung mit verschiedensten Stakeholdern war Chance und Herausforderung zugleich, die Ressourcenausstattung wurde von Beiratsmitgliedern oft beklagt, die Tätigkeit der Beiratsmitglieder im Ehrenamt mag guten Willen zeigen, aber nicht unbedingt Expertise gewährleisten und die erforderliche hohe Zeitintensität erlaubten vermutlich kaum die Bewältigung der selbst gesetzten anspruchsvollen Arbeitsziele. Die wenig förderlichen Arbeitsumstände dürften unter anderem auch an der geringen Wertigkeit gelegen haben, die dem Beirat im seinerzeit freidemokratisch geführten Finanzministerium von seinem gegenüber nachhaltigkeits-skeptischen Minister entgegengebracht wurde. Oder es lag daran, dass es in der Bundesregierung bereits sehr viele Beiräte und Räte gibt, die zum Teil inhaltlich überlappend, manchmal sogar gegensätzlich arbeiten und politische Beschlüsse womöglich mehr erschweren als erleichtern.
So zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass an Beiräten bei der Bundes- und den Landesregierungen sowie deren Ministerien kein Mangel herrscht. Exakte und zeitnahe Statistiken über Anzahl und Zwecke bestehender Beiräte und Räte sind allerdings erstaunlicherweise nicht verfügbar. Die letzte eher approximative Aufstellung lieferte 2010 der Wissenschaftliche Dienst der Bundesregierung. Er identifizierte auf der Bundesebene mindestens 120 Beratungsgremien, Kommissionen, Think Tanks und kommerzielle Politikberatungsinstitutionen, beklagte allerdings auch die geringe Transparenz und mangelnde Datenverfügbarkeit. Die „Dunkelziffer“ an Beiräten wird denn auch auf mehr als das doppelte geschätzt, nicht eingerechnet die in Bundesländern bestehenden vergleichbaren Einrichtungen.
Es ist sicher kein Zufall, dass der Sustainable-Finance-Beirat 2019 und damit ein Jahr nach der Veröffentlichung des EU-Aktionsplans „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ etabliert wurde, eine Zeit, in der die zentralen Regelwerke der grünen EU-Finanzregulierung wie Taxonomie, SFDR, CSRD etc. aus dem Boden gestampft wurden. Damals wie heute auffällig: Die große Zurückhaltung der Bundesregierung und ihrer Ministerien in Bezug auf das dann spätere Mäandern einer EU-Finanzregulierung, die nicht erst mit der Umsetzung in nationales Recht viele Unzulänglichkeiten, Widersprüchlichkeiten und Unvollständigkeiten an den Tag legte.
Massive Zielkonkurrenz
Der Unzufriedenheit damit bei betroffenen Unternehmen, Finanzhäusern, Versicherungsunternehmen, Fondsgesellschaften etc. sollte unter anderem mit dem Sustainable-Finance-Beirat begegnet werden; er sollte der Politik gesellschaftsübergreifende, konsensuale Vorschläge zu einer friktionsärmeren Umsetzung der EU-Beschlüsse machen. Man könnte durchaus auch so argumentieren: Hätten die Bundesregierung und ihre zuständigen Ministerien besser aufgepasst, was sich seit 2018 in Brüssel an Regulierungsgewitter zusammenbraut, hätte man mehr Kompetenz und Priorisierung in die Begleitung der dortigen Prozesse gelegt und wäre man nicht so offenkundig gleichgültig gewesen, hätte sich vermutlich etliches an Ungereimtheiten in der EU-Finanzregulierung vermeiden lassen und der Beirat wäre gar nicht nötig gewesen.
Ob ein „grüner Beirat“ auch in Zukunft überhaupt erforderlich ist, dürfte sich auch in Anbetracht der aktuellen Verschiebungen von wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Prioritäten bezweifeln lassen. Klimapolitik bleibt zwar ohne Zweifel eine Aufgabe für die nächsten Jahre, ob allerdings die einstmals gesetzten klimapolitischen Ziele – Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis 2045 – aufrechterhalten werden (können), wird mittlerweile selbst seitens der EU hinterfragt und gilt vermutlich nicht mehr als in „Stein gemeißelt“. Längst hat zudem durch die massiven geopolitischen, global-wirtschaftlichen und technologischen Verwerfungen der jüngsten Zeit die Klimapolitik massive Zielkonkurrenz bekommen – mit Folgen für die Finanzmärkte. So wird denn auch privates Kapital (neben dem öffentlichen Kapital) immer mehr für Verteidigung, infrastrukturelle Modernisierungen und technologische Rundumerneuerungen in Deutschland (und in der EU) benötigt. Bei endlich vorhandenem gesamtwirtschaftlichem Kapitalbestand erfordert dies eine Reallokation und Umverteilung von Kapitalströmen.
Denkbar ist sogar ein Crowding Out für grüne Maßnahmen, wenn sich die Dramatik der angesprochenen Finanzierungserfordernisse in Zukunft verstärken sollte – beispielsweise durch einen krisenbedingten Anstieg der Verteidigungsausgaben. Sustainable Finance bedarf generell einer dringenden Überprüfung und vermutlich Revision. Mit dem Omnibus-Verfahren wurde dies bereits von der EU-Kommission selbst in Gang gesetzt – auch wenn vieles nach wie vor im Argen bleibt. Neben den genannten neuen Herausforderungen sind es vor allem aber die im Regulierungsdickicht von Sustainable Finance vorhandenen Widersprüche, Ungereimtheiten und Belastungen, die von der Politik mutige Schritte erfordern wie es die Bundesregierung kürzlich beim zurechtstutzen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz vormachte. Die Aufarbeitung der Brüsseler Regulierungswirren hat gerade erst begonnen. Und bei all den Defiziten, Fehlern und Versäumnissen der Sustainable-Finance-Regulierung wäre es dringend geboten, statt eines Beirats eine Sustainable-Finance-Enquete-Kommission des Bundestags einzurichten, um die Probleme der Regulierung politisch aufzuarbeiten, praktikable Lösungsvorschläge zu erarbeiten und Lehren für die Zukunft zu entwickeln. Wie man es dreht und wendet – eine Neuauflage des „grünen Beirats“ ist obsolet.
Henry Schäfer war bis 2019 Ordinarius der Universität Stuttgart und Inhaber des Lehrstuhls „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Finanzwirtschaft“. Eine besondere Bedeutung hat bis heute der Forschungsbereich „Sustainability & Finance“. Von 2007 bis 2023 war er geschäftsführender Gesellschafter der von ihm gegründeten Ecco Works GmbH, einer Beratungsgesellschaft für Sustainable Finance.