Erlebten Biotech- und Gesundheitsaktien 2023 ihr schlechtestes Jahr seit mehr als zwei Jahrzehnten, war auch 2024 kein gutes Jahr für den Sektor. Während in den USA und Europa die Rekorde purzelten, beendete der Nasdaq Biotechnology Index das Jahr mit einem Minus von drei Prozent. Der MSCI World Health Care Index rettete sich mit einem mageren Plus von 1,6 Prozent zumindest im positiven Bereich über die Ziellinie. Die in der Coronakrise so begehrte Branche ließ Luft ab.
Erschwerend kam der Regierungswechsel in Washington hinzu, der die Aussichten für den gesamten US-Gesundheitssektor massiv eintrübte, zumal die neue US-Regierung die Forschungsausgaben reduzierte. Kein Grund zum Verzagen, meint Servaas Michielssens, Head of Healthcare beim Vermögensverwalter Candriam: „Die Aktienkurse des Gesundheitswesens spiegeln in der Regel eine gewisse Nervosität vor und kurz nach den Präsidentschaftswahlen in den USA wider, doch für die letzten fünf Wahlen entwickelte sich der Sektor in den zwölf Monaten nach der Wahl überdurchschnittlich.“ Mit Blick auf die relativen Bewertungen, die sich laut Michielssens auf dem tiefsten Stand seit 35 Jahren befinden, preisen die Aktienkurse nach Meinung des Branchenkenners „eindeutig ein negatives Szenario“ ein. Er sieht weiterhin starke Fundamentaldaten für das Gesundheitswesen: „Für Hunderte von Krankheiten gibt es nach wie vor Möglichkeiten für bessere, differenzierte Therapien, und die Branche entwickelt weiterhin überzeugende neue Lösungen.“
Überhaupt sind die längerfristigen Perspektiven für den Gesundheitssektor trotz der langen Schwächephase positiv. Die Branche hat immer Konjunktur und die langfristigen Treiber sind weiterhin intakt. Getragen wird dieses Wachstum von der Entwicklung neuer Medikamente und Behandlungsmethoden, dem Aufstieg ehemaliger Schwellenländer mit steigendem Einkommen und Wohlstand und der damit verbundenen höheren Lebenserwartung sowie dem Trend, gesünder zu leben und die weltweit zunehmenden Volkskrankheiten wie Übergewicht und Diabetes zu behandeln.
Milliarden-Deals voraus
Hierzulande hat die Gesundheitswirtschaft schon jetzt eine erhebliche ökonomische Bedeutung für den Standort. Laut dem Gesundheitsministerium lag die Bruttowertschöpfung 2023 bei knapp 435,5 Milliarden Euro. Dies entspricht rund 11,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Als Kurstreiber erweisen sich auch die immer wieder stattfindenden Übernahmen. Gerade im Biotech-Sektor sind sie die Regel, da die großen Pharmaunternehmen ständig neue Innovationen benötigen, um ihre Umsätze zu sichern. Viele ihrer Patente laufen aus und sie müssen sich gegen die Generikakonkurrenz behaupten. „Bis 2030 verlieren Pharmafirmen den Patentschutz auf Medikamente im Wert von über 200 Milliarden US-Dollar, bis 2035 könnte sich dieser Wert verdoppeln“, weiß Maxim Dimitruk, Portfoliomanager Healthcare bei der Apo Asset Management.
Doch die Entwicklung neuer Medikamente ist ebenso kostspielig wie langwierig und riskant. Daher kauft Big Pharma bevorzugt kleinere Biotech-Unternehmen, die mit einer vielversprechenden Produkt- oder Technologie-Pipeline punkten. Laut der US-Investmentbank Goldman Sachs wird die Anzahl der Fusionen und Übernahmen in diesem Jahr im Vergleich zu 2024 um 25 Prozent steigen. „Seit Jahresbeginn gab es im Gesundheitssektor über 200 Übernahmen von insgesamt über acht Milliarden US-Dollar, weitere Deals von insgesamt über 50 Milliarden US-Dollar wurden angekündigt“, blickt Apo Asset Portfoliomanager Dimitruk zurück.
Unterbewertung gegenüber dem breiten Markt
Auch die zunehmende Zahl von Börsengängen dürfte den Sektor wieder stärker in den Fokus internationaler Investoren rücken. In Deutschland etwa zählt das Pharma-Unternehmen Stada zu den Kandidaten, internationale Beispiele sind die schwedische Asker Healthcare und Kestra Medical Technologies aus den USA. Laut Andy Acker, Portfoliomanager bei Janus Henderson Investors, bietet darüber hinaus die derzeit niedrige Bewertung erhebliches Potenzial: „Small- und Mid-Cap-Biotech-Aktien wurden zuletzt zu einem Kurs gehandelt, der etwa dem einfachen Unternehmenswert entspricht, während das Verhältnis normalerweise bei drei liegt. Wir sind der Ansicht, dass diese Abwertung übertrieben ist, da die Gesundheitspolitik in den USA oft differenzierter ist, als Schlagzeilen vermuten lassen.“
Zwar dürfte die politische Unsicherheit laut Acker den Sektor in nächster Zeit belasten. Doch bleibe die Innovation in diesem Sektor robust und stütze damit den Markt: „In den letzten zwei Jahren wurden über 130 neue Therapien zugelassen, und allein in diesem Jahr stehen mehr als 60 weitere zur abschließenden Prüfung an. Wir sehen einige der attraktivsten Risiko-Rendite-Chancen der letzten fünf Jahre.“
Für Nathalie Flury, Co-Head Sustainable Healthcare Equity bei HSBC Global Asset Management in der Schweiz, gilt der Gesundheitssektor nach wie vor als einer der sichersten Häfen für verunsicherte Anleger. Trotz der schwierigen Stimmung der vergangenen Monate im Gesundheitswesen hätten sich ausgewählte Large-Cap-Titel im MedTech-Bereich weiterhin bewährt. Zudem sei die Bewertung aktuell günstig: „Er wird derzeit mit einem Abschlag von 15 Prozent gegenüber dem breiten Markt gehandelt.“ Auch den Biotechnologiesektor, insbesondere großkapitalisierte Unternehmen, die voraussichtlich in den nächsten zwei bis fünf Jahren keine Patente verlieren und eine hohe Auftragsrate aufweisen, erachtet sie als mittelfristig interessant.
Branchenspezifische Risiken beachten
Da Berg- und Talfahrten für Pharma- und Biotechwerte keine Seltenheit sind und Anleger die spezifischen Entwicklungen der Branche kaum vorhersehen können, ist es sinnvoll, über Fonds oder ETFs breit in eine Vielzahl aussichtsreicher Biotechunternehmen zu investieren. „In der Biotechnologie gibt es jedes Jahr eine 17-fache Diskrepanz zwischen den Aktien mit der besten und den Aktien mit der schlechtesten Performance – unabhängig vom makroökonomischen oder politischen Hintergrund“, gibt Janus-Henderson-Portfoliomanager Andy Acker zu bedenken. Dieser ungewöhnlich große Abstand spiegele die inhärenten Herausforderungen bei der Markteinführung neuer Medikamente wider. „Tatsächlich werden 90 Prozent der Wirkstoffe, die in klinischen Studien am Menschen getestet werden, nie zugelassen“, berichtet Acker.
Aktiv verwaltete Fonds haben vor diesem Hintergrund gegenüber ETFs einen entscheidenden Vorteil: Die Fondsmanager stehen mit den Unternehmen, in die sie investieren, in Kontakt und können besser einschätzen, wie chancenreich einzelne Medikamente sind und wie die klinischen Daten zu bewerten sind.
„Dennoch machen regulatorische Hürden, klinische Studien, lange Zulassungsverfahren und ethische Fragen den Erfolg einzelner Unternehmen bisweilen elbst für Insider wie spezialisierte Fondsmanager schwer kalkulierbar“, gibt Christian Nevermann, Partner bei der Economia Vermögensberatung in Stuttgart, zu bedenken. „Gerade bei Biotechfonds trennt erst gutes aktives Fondsmanagement die Spreu vom Weizen“, unterstreicht der Fondsfachmann. „Davon gibt es zwar wenige, aber es gibt sie. Das stellen wir in unseren Analysen immer wieder fest.“
Der Janus Henderson Horizon Biotechnology Fund etwa erwirtschaftete seit seiner Auflegung im Dezember 2018 ein jährliches Plus von 15 Prozent. Die Manager Andy Acker, Dan Lyons und Agustin Mohedas konzentrieren sich gezielt auf Unternehmen, deren klinisches und/oder kommerzielles Potenzial unterschätzt wird. Zugleich sollen die Firmen mit einem erheblichen Abschlag gegenüber ihrem tatsächlichen Wert gehandelt werden. Acker und sein Team investieren in das gesamte Spektrum der Biotechnologie, wobei sie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Unternehmen in der Entwicklungsphase, frühen kommerziellen Unternehmen und profitablen Unternehmen anstreben.
Stabile Wachstumstreiber im Gesundheitswesen
Auch der von Morningstar mit der Höchstzahl von fünf Sternen bewertete Candriam Biotechnology hat in den vergangenen zehn Jahren den Nasdaq Biotech-Index deutlich hinter sich gelassen. Das Fondsmanager-Duo Servaas Michielssens und Linden Thomsen investiert neben Arzneimittelentwicklern auch in Unternehmen, die auf Molekulardiagnose und wissenschaftliche Ausrüstung spezialisiert sind. Mit einem Portfolioanteil von knapp 70 Prozent kam das Gros der Firmen aus den USA, die am höchsten gewichteten Einzeltitel waren zuletzt Gilead Sciences, Amgen und Regeneron Pharmaceuticals.
Auf ein jährliches Plus von 7,8 Prozent kommt der apo Medical Opportunities, der im Sommer sein 20-jähriges Jubiläum feiert. Die größten Positionen waren zuletzt der US-amerikanische Pharmariese Eli Lilly, das belgische Pharma- und Biotechnologieunternehmen UCB sowie die auf seltene Krankheiten spezialisierte US-Biopharmaziefirma Insmed.
Der Bellevue Medtech & Services Fonds investiert in die gesamte Gesundheitsindustrie außer der Medikamentenentwicklung. Dieses Segment hat sich laut Co-Portfoliomanager Marcel Fritsch in den vergangenen 15 Jahren als einer der stabilsten und beständigsten Wachstumstreiber im Gesundheitswesen etabliert. Der Fonds fokussiert auf Unternehmen mit überdurchschnittlichem Gewinnwachstum, hoher Innovationsdynamik und nachhaltigem klinischem Mehrwert – beispielsweise durch neue Verfahren oder Technologien wie PFA oder roboterassistierte Chirurgie. Zusätzlich identifiziert das Managementteam um Marcel Fritsch und Stefan Blum gezielt Unternehmen, die Künstliche Intelligenz bereits operativ nutzen, da sie als potenzielle „Kursgewinner“ der kommenden Jahre gelten.
Seit seiner Lancierung im Jahr 2009 hat der Fonds eine kumulierte Wertsteigerung von 482 Prozent verzeichnet, was einer annualisierten Rendite von zwölf Prozent entspricht. Rund 96 Prozent des Portfolios entfallen auf Large Caps. Die fünf größten Positionen kamen Anfang April sämtlich aus den USA. Top drei waren der Medizintechnikhersteller Boston Scientific, der Hersteller von orthopädischen und chirurgischen Implantaten Stryker und der Pharmakonzern Abbott Laboratories.
Autor Christian Euler ist Buchautor und Wirtschaftsjournalist.