EXKLUSIV

Schon wieder Streit um Provisionsregeln: Welche Ausnahmen von Mifid sind vorstellbar?

EU-Flaggen vor der Europäischen Kommission
Bildagentur PantherMedia / symbiot
Die Änderungsvorschläge werden EU-Parlament und Rat zunächst jeweils intern und dann zusammen mit der EU-Kommission erörtern.

Es ist wieder Bewegung gekommen in die bereits seit 2023 geführten Diskussionen über die EU-Kleinanlegerstrategie (Retail Investor Strategy, RIS). Gastbeitrag von Dr. Christian Conreder und Michaela Engler, Rödl & Partner

Am 18. März 2025 hatten EU-Kommission, -Parlament und -Rat ihre Trilog-Verhandlungen zu deren Entwurf wieder aufgenommen. Erklärtes Ziel der RIS ist die Förderung von Investitionen durch Privatanleger im Kapitalmarkt u.a. durch Anpassung der Anlegerschutzvorschriften in verschiedenen Richtlinien, wie zum Beispiel der Mifid, OGAW-Richtlinie, AIFMD, Solvency II und der Versicherungsvertriebsrichtlinie (kurz „IDD“) sowie der PRIIPs-VO.


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Zeitgleich hat die EU-Kommission am 19. März 2025 ihren Aktionsplan für eine EU-weite Spar- und Investmentunion (kurz „SIU“) vorgestellt. Auch dieser Entwurf zielt unter anderem darauf ab, durch verschiedene Maßnahmen wie zum Beispiel erleichterte Zugangsvoraussetzungen und verstärkte Finanzbildung von Privatanlegern deren Anlagen auf den EU-Kapitalmärkten zu fördern. Sparvermögen soll in produktive Investitionen gelenkt, Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit der EU gefördert werden. Gleichzeitig soll das Ziel einer Kapitalmarktunion durch weitere Harmonisierung auch in der Aufsicht vorangetrieben werden.

Sinnvolle Ziele, unzureichende Umsetzung?

Zur Anpassung an ihre SIU-Strategie und zur Vereinfachung bestimmter Aspekte der RIS, die bereits im Rahmen der ersten Trilog-Verhandlung und branchenweit heftig diskutiert worden sind, war es nun an der EU-Kommission, Änderungsvorschläge zur RIS auszuarbeiten. Diese liegen aktuell als erster inoffizieller Entwurf in Form eines so genannten „non-papers“ vor. Ein Ende der Kontroversen scheint aber nicht in Sicht. Die Änderungsvorschläge werden EU-Parlament und Rat zunächst jeweils intern und dann zusammen mit der EU-Kommission erörtern. In der Finanzbranche werden die Vorschläge ebenfalls bereits diskutiert.

Im Wesentlichen beziehen sich die laufenden Diskussionen auf folgende drei Kernthemen:

  1. Value for money“, d.h. das Kosten-Nutzen-Verhältnis angebotener Produkte
  2. Investor journey“, d.h. die Kundeneinstufung und Vorgaben an die Geeignetheits- bzw.- Angemessenheitsprüfung
  3. Disclosure“, d.h. Offenlegungs- und Berichtspflichten gegenüber Kunden

1. Value for money

Unter der Überschrift „value for money“ wird der politische Ansatz zusammengefasst, Produktregulierungsvorschriften festzulegen, die für ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Finanz- bzw. Versicherungsprodukten insbesondere für Privatanleger sorgen sollen. Vorgeschlagen wird nun, je nach Art des Produkts, einen Peergruppenvergleich anzustellen bzw. eine Benchmark heranzuziehen.

Peergruppenvergleich bei Investmentfonds und strukturierten Produkten.

Bei Investmentfonds und bei strukturierten Produkten soll die Angemessenheit der Kostenbelastung im Vergleich von Peergruppen statt auf Basis einer vorgegebenen Benchmark ermittelt werden. Hersteller und Vertrieb wären demnach verpflichtet, sowohl bei der Produkteinführung als auch fortlaufend auf Grundlage einer EU-weit harmonisierten Methodik und unter Anwendung von Parametern, die sich aus einem Level II-Rechtsakt ergeben sollen, eine Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses ihres Produkts im Vergleich zu anderen vergleichbaren Produkten, d.h. den Peers, vorzunehmen. Kriterien für eine Vergleichbarkeit könnten ähnliche Produktmerkmale, Zielmärkte und Vertriebskanäle sein, und zwar nicht nur für Produkte aus demselben Mitgliedstaat, sondern EU-weit.

Benchmarkvergleich bei versicherungsbasierten Anlageprodukten

Bei versicherungsbasierten Anlageprodukten ist nach Vorstellung der EU-Kommission ein anderer Ansatz indiziert: Hier könne die Kosten-Nutzen-Rechnung auf EU-weit einheitlich vorgegebenen Benchmarks aufsetzen, die von der Eiopa, der europäischen Versicherungsaufsicht, bereits als praktikable Bewertungsmethodik auf der Grundlage von Aufsichtsbenchmarks für Versicherungsprodukte entwickelt worden seien. Außerdem lägen, so die EU-Kommission, hier keine öffentlich zugänglichen Daten für einen Peergruppenansatz wie bei Investmentfonds und strukturierten Produkten vor. Die Benchmarks würden von der EIOPA unter Verwendung bereits vorhandener Datenmeldungen gemäß Solvency II und der veröffentlichten PRIIP-KIDs entwickelt, geclustert und zur Verfügung gestellt. Aufwendig und nicht praktikabel sei das, ist dazu aus der Branche zu hören.

2. Investor journey

Die „investor journey“, deren Anpassung und Vereinfachung ebenfalls beabsichtigt ist, umfasst die Angemessenheits- bzw. Geeignetheitsprüfung je nach Kundengruppe (Privatkunden bzw. Kleinanleger, professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien) und je nach Wertpapierdienstleistung, sowie Zuwendungsregeln.

Erleichterte Hochstufung zum professionellen Kunden

Zunächst sollen die Hürden für die Hochstufung (auch als „opt-up“ oder „opt-out“ bezeichnet) von Privatkunden zu professionellen Kunden gesenkt werden. Gemäß Mifid gelten bestimmte Anlegerschutzvorschriften nur für Privatkunden, zu denen gegenwärtig nicht nur Verbraucher, sondern auch juristische Personen, Stiftungen oder Versorgungswerke gehören, die dieses für unerfahrene Kleinanleger konzipierten Schutzes nicht unbedingt oder jedenfalls nicht in diesem Maße bedürfen. Gleichwohl erfüllen diese die aktuell geltenden Voraussetzungen, um als „professionell“ zu gelten, nicht.

Im Fondsbereich hat der deutsche Gesetzgeber diesem Umstand bereits mit Einführung des „semi-professionellen Anlegers“ im KAGB Rechnung zu tragen versucht. Der „semi-professionelle Anleger“ ist aber keine EU-weit existierende Kategorie, er gilt als Privatkunde im Sinne der Mifid. Die EU-Kommission will zwar auch im Rahmen der RIS keine weitere Kundenkategorie zwischen Privat- und professionellen Kunden einführen, die Hochstufung aber im Einzelfall auch bei Vorliegen anderer Kriterien als der bisher geltenden ermöglichen.

Weniger häufige Handelsfrequenzen sowie Vorerfahrungen des Kunden, die nicht zwingend aus dem Finanzmarkt stammen, werden ebenso wie Investitionsuntergrenzen (zum Beispiel 500.000 Euro) angedacht. Auf Kundenwunsch und entsprechend dokumentiert soll eine Hochstufung dann auch transaktionsbezogen möglich sein, auch wenn die etablierten Kriterien hierfür nicht vorliegen. Der ganz große Wurf ist hierin aber schwerlich zu sehen, denn viele Privatkunden werden die 500.000 Euro im Einzelfall nicht investieren und bleiben damit weiter ausgeschlossen- entgegen den erklärten Zielen der RIS und der SIU.

Zusammenführung von Geeignetheitsprüfung und „best interest test“

Mit einem in der RIS vorgesehenen neuen „best interest test“ zusätzlich zu einer durch die RIS erweiterten Geeignetheitsprüfung soll eine Verbesserung der Beratungsqualität einhergehen. Im non-paper schlägt die EU-Kommission daher einen einheitlichen Test vor, mit dem beide Voraussetzungen erfüllt werden können. Erleichterungen soll es auch für die unabhängige Anlageberatung geben. Der Standardbericht, der im ursprünglichen RIS-Entwurf noch gefordert worden war, scheint außerdem vom Tisch.

Anpassung der Angemessenheitsprüfung im beratungsfreien Geschäft

Im Vergleich zu bisherigen Entwürfen sind hier durchaus gewisse Erleichterungen für das beratungsfreie Geschäft zu erkennen, diese dürften allerdings in der Praxis nicht erheblich sein. So soll der standardisierte Warnhinweis, für den Fall, dass ein Privatkunde sich zur Zeichnung entschließt, obwohl der Vermittler zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das Produkt nicht für angemessen ist, entfallen.

Zuwendungen

Hier kommt die EU-Kommission zu dem Ergebnis, dass die vom Rat vorgeschlagene Zuwendungsprüfung entfallen oder jedenfalls wesentlich vereinfacht werden kann, zumal bereits Mifid ausführliche Regeln für die Entgegennahme oder Gewährung von Zuwendungen enthält. An diesen soll jedoch festgehalten werden.

3. Disclosure

Harmonisierung der Berichtspflichten im Versicherungs- und Wertpapiervertrieb

Im Entwurf der RIS war eine Reihe von Änderungen vorgeschlagen worden, die zu verständlicheren und besseren Informationen für Privatkunden in den diesen zur Verfügung zu stellenden Berichten und im PRIIPS-KID sorgen sollten. Vor diesem Hintergrund soll nun dafür gesorgt werden, dass vor allem die Kosten- und Performancedarstellungen, wie sie sich aus der IDD, der Mifid und der PRIIPS-VO ergeben, in Einklang gebracht werden. Insgesamt soll hier eine möglichst weitgehende Harmonisierung der Offenlegungsvorgaben aus den genannten Richtlinien angestrebt werden, um Spielräume für sog. nationales Goldplating zukünftig zu verkleinern und den grenzüberschreitenden Vertrieb, wie in der SIU vorgesehen, zu fördern.

Grafische Darstellungen

Auch inhaltlich sollen die Berichtsvorgaben einer kritischen Prüfung unterzogen werden: Statt Zahlenkolonnen könnten grafische Darstellungen für mehr Verständlichkeit und damit Anlegerschutz sorgen.

Verständliche Basisinformationsblätter ohne Nachhaltigkeitsinformationen

Bessere Verständlichkeit und Lesbarkeit steht auch bei den Vorschlägen der EU-Kommission zu den Basisinformationsblättern („PRIIPs-KIDs“) im Vordergrund: Die aktuellen Level-II Vorgaben fordern dezidierte und komplexe Informationen, gleichzeitig soll die Darstellung aber klar und verständlich auf nicht mehr als zwei bzw. je nach Produkt auf drei Seiten erfolgen. Um diesem Anspruch zukünftig leichter genügen zu können, schlägt die EU-Kommission nun die ersatzlose Streichung der ursprünglich vorgesehenen Nachhaltigkeitsangaben vor. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund der parallel geplanten Überarbeitung der EU-Offenlegungsverordnung (SFDR).

Insbesondere auch in Bezug auf die Kosten- und Performancedarstellungen sollen die EU-Aufsichtsbehörden beauftragt werden, deren Inhalt zu verschlanken, leichter lesbar zu gestalten und insbesondere inhaltliche Vorgaben zu streichen, die zwar für die Aufsichtsbehörden interessant seien, Kleinanlegern aber nicht unbedingt einen Mehrwert böten. Dadurch sollen sowohl die Hersteller entlastet als auch sichergestellt werden, dass das Basisinformationsblatt seinen Zweck erfüllt, eine leicht lesbare und verständliche Zusammenfassung zu sein.

Fazit: Es nicht von der Hand zu weisen, dass die EU-Kommission mit ihren Änderungsvorschlägen einen Schritt in die richtige Richtung macht. Regulatorische Hürden sollen abgebaut werden, um dem Ziel der RIS und der SIU näherzukommen, dass sich Privatkunden stärker an den Kapitalmärkten engagieren. Allerdings dürfte das Vorhaben aus Sicht der Finanzbranche gleichwohl ein „Bürokratieungetüm“ bleiben, denn die Änderungen bleiben weit hinter den Erwartungen und Wünschen zurück. Ob die Forderung nach radikaleren Streichungen in den weiteren Trilog-Verhandlungen Widerhall findet, wird sich in deren weiteren Verlauf zeigen.

Rechtsanwalt und Partner Christian Conreder leitet die Praxisgruppe Banking & Finance bei Rödl & Partner. Michaela Engler ist als Associate Partner im Bereich Investmentrecht bei Rödl & Partner in Hamburg tätig.

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