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Xavier Hovasse, Carmignac: „Schwellenländer stehen an einem Wendepunkt“

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Xavier Hovasse, Carmignac

Nach Jahren relativer Schwäche erleben die Emerging Markets ein Comeback. Bessere Fundamentaldaten, technologische Dynamik und neue Handelsstrukturen machen sie wieder attraktiv für Investoren. Im Interview erklärt Xavier Hovasse, Fondsmanager bei Carmignac, welche Regionen aktuell die spannendsten Perspektiven bieten – und warum Indien, Korea, Taiwan und Mexiko die Gewinner der nächsten Dekade sein könnten.

Herr Hovasse, Sie sagen oft, dass Investoren die „echten Wachstumsmärkte“ wiederentdecken. Was hat sich in den letzten Jahren verändert, dass Schwellenländer wieder attraktiv werden?

Hovasse: In den vergangenen Jahren haben mehrere strukturelle Entwicklungen die Investitionslandschaft zugunsten der Schwellenländer verändert. Erstens ist das makroökonomische Umfeld deutlich günstiger geworden. Der US-Dollar hat an Stärke verloren, und die Aussicht auf Zinssenkungen in den Industrieländern hat die globalen Finanzbedingungen entspannt – ein Umfeld, das historisch betrachtet Kapitalflüsse in Schwellenländer begünstigt. Zweitens haben sich die Fundamentaldaten vieler Schwellenländer im Vergleich zu früheren Zyklen verbessert: Die Bilanzen sind gesünder, die Außenhandelsbilanzen robuster und die Inflation besser verankert. Viele Länder verfügen heute über glaubwürdige geldpolitische Rahmenbedingungen und umfangreiche Devisenreserven, wodurch sie weniger anfällig für externe Schocks sind. Drittens haben sich Bewertungen und Gewinne von ihren Tiefstständen erholt. Und schließlich treibt die Expansion der künstlichen Intelligenz und der digitalen Infrastruktur neue Investitionen in das asiatische Halbleiter-Ökosystem an – insbesondere in Korea und Taiwan, die zu entscheidenden Gliedern in der globalen Wertschöpfungskette geworden sind. Mit stärkeren Fundamentaldaten, solideren Unternehmensbilanzen und wachsender globaler Relevanz stehen die Schwellenländer an einem Wendepunkt. Diese Entwicklungen markieren die wohl stärkste Phase für Aktien aus Schwellenländern seit über 15 Jahren – und wecken erneut das Interesse der Anleger an Regionen mit echtem langfristigen Wachstumspotenzial.


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Wenn Sie heute auf die Weltkarte blicken – welche Regionen oder Länder überraschen Sie mit einer Dynamik, die bisher unterschätzt wurde?

Hovasse: Mehrere Regionen stechen hervor. In Asien werden Korea und Taiwan oft als reife Märkte betrachtet, doch sie sind für die globale KI- und Halbleiter-Lieferkette von zentraler Bedeutung. Unternehmen, die Teil dieser Wertschöpfung sind, haben hier langfristig großes Potenzial. Indien ist ein weiteres herausragendes Beispiel. Das Land verzeichnet weiterhin eine der höchsten realen Wachstumsraten weltweit und bleibt laut IWF die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft. Digitalisierung, die Formalisierung von Dienstleistungen und eine expandierende Verbraucherbasis bilden eine stabile Grundlage für nachhaltiges Wachstum. Und schließlich Mexiko: Das Land profitiert massiv vom Nearshoring-Trend, da Unternehmen ihre Produktions- und Logistikketten näher an den US-Markt verlagern. Ausländische Direktinvestitionen erreichen Rekordhöhen – und ein wachsender Anteil entfällt auf neue Projekte statt auf reinvestierte Gewinne. Das zeigt: Das Vertrauen in die strukturelle Entwicklung Mexikos wächst.

Welche strukturellen Trends – etwa Technologie, erneuerbare Energien oder Demografie – sehen Sie als langfristige Wachstumstreiber für Schwellenmärkte?

Hovasse: Wir identifizieren vier zentrale Themen:

1. KI- und Halbleiterrevolution: Korea und Taiwan verfügen gemeinsam über rund 80 % der weltweiten Kapazitäten für fortschrittliche Logik- und Speicherchips – und stehen damit im Mittelpunkt eines mehrjährigen Investitionszyklus rund um KI und Datenverarbeitung.

2. Nearshoring und Neugestaltung der Lieferketten: Die globale Neuausrichtung schafft Gewinner in Lateinamerika, Südostasien und insbesondere Mexiko – weit über die traditionellen Exportmärkte hinaus.

3. Dekarbonisierung und Energiewende: Batterien, grüne Netzinfrastruktur, saubere Mobilität – in diesen Bereichen können sich Unternehmen aus Schwellenländern global etablieren.

4. Wachsende Binnennachfrage und Konsum: In Ländern mit junger Bevölkerung wie Indien und in Südostasien führen steigende Einkommen und Digitalisierung zu einer Ausweitung der Märkte – und eröffnen Chancen für Konsum- und Dienstleistungsunternehmen.

China gilt seit Langem als Synonym für Schwellenmärkte. Welche neuen Märkte rücken aktuell in den Fokus?

Hovasse: China bleibt zweifellos ein zentraler Akteur – allein schon aufgrund seines Gewichts im globalen MSCI EM Index von rund 30 Prozent. Doch die Chancen in den Schwellenländern sind heute wesentlich breiter gestreut.

• Korea und Taiwan spielen eine Schlüsselrolle im globalen KI-Zyklus: Ohne TSMC gäbe es keine NVIDIA-Chips; ohne koreanische Speicherhersteller wie SK Hynix würde sich die KI-Revolution verlangsamen.

• Indien und die ASEAN-Länder entwickeln sich dank ihrer Demografie, Urbanisierung und ihres dynamischen Privatsektors zu neuen Wachstumspolen.

• Mexiko und andere Teile Lateinamerikas profitieren von ihrer Einbindung in die nordamerikanischen Lieferketten und dem Bestreben globaler Hersteller, ihre Produktionsstandorte zu diversifizieren.

Wie lassen sich nachhaltige Chancen in Märkten identifizieren, die oft sehr unterschiedliche politische, wirtschaftliche und kulturelle Realitäten aufweisen?

Hovasse: Unser Ansatz basiert auf zwei Säulen: lokaler Expertise und Disziplin innerhalb eines klaren Investitionsrahmens. Erstens ist lokales Verständnis unverzichtbar. Schwellenländer sind unglaublich vielfältig – politisch, kulturell und wirtschaftlich. Um erfolgreich zu investieren, muss man vor Ort präsent sein. Wir besuchen regelmäßig Unternehmen, Wettbewerber und Lieferanten, um zu sehen, wie sie tatsächlich arbeiten, und um Nuancen zu erkennen, die in Zahlen nicht sichtbar sind. Der multikulturelle Hintergrund unseres Teams, unsere Sprachkenntnisse und langjährigen Netzwerke verschaffen uns dabei einen klaren Vorteil, um qualitativ hochwertige Unternehmen zu identifizieren, die andere Investoren oft übersehen. Zweitens legen wir großen Wert auf Disziplin im Anlageprozess. Unser Rahmenwerk kombiniert eine detaillierte Bottom-up-Analyse mit einer Top-down-Betrachtung der Länderrisiken. Nachhaltigkeit ist vollständig integriert: Jedes Unternehmen, in das wir investieren, muss mindestens einem der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) entsprechen. Zudem stehen wir in engem Dialog mit dem Management, um Fortschritte in den Bereichen Governance, Transparenz und soziale Verantwortung zu fördern.

Viele Anleger suchen langfristige Orientierung jenseits kurzfristiger Zins- und Konjunkturzyklen. Welche Rolle können Schwellenländer in einem zukunftsorientierten Portfolio spielen?

Hovasse: Schwellenländer können innerhalb einer global diversifizierten Allokation als struktureller Wachstumsmotor dienen. Ihre Konjunkturzyklen verlaufen häufig anders als jene der Industrieländer – und bieten damit in volatilen Phasen wertvolle Dekorrelation. Zudem eröffnen sie Zugang zu neuen Quellen globalen Wachstums – etwa digitale Transformation oder saubere Energie –, die in den Indizes der Industrieländer bislang unterrepräsentiert sind. Da viele Investoren EM-Aktien weiterhin strukturell untergewichtet halten, könnte jede Umschichtung von Kapital in dieses Segment zu erheblichen Zuflüssen und Neubewertungen führen. Schwellenländer sind also längst nicht nur ein Diversifizierungsbaustein, sondern zunehmend eine strategische Säule für Anleger, die vom globalen Wachstum profitieren wollen.

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Welche Schwellenländer haben in den nächsten zehn Jahren das größte Wachstumspotenzial – und warum?

Hovasse: Wir glauben, dass das kommende Jahrzehnt einer neuen Generation von Schwellenländern gehört – solchen, die Strukturreformen, Innovation und Finanzdisziplin erfolgreich miteinander verbinden. Indien sticht dabei klar hervor. Eine günstige Demografie, steigende Binnennachfrage und fortschreitende Strukturreformen schaffen die Basis für nachhaltiges Wachstum. In Nordasien werden Korea und Taiwan zentrale Knotenpunkte in der globalen Wertschöpfungskette für KI und Halbleiter bleiben. Ihre technologische Führungsrolle sorgt dafür, dass sie sowohl von Investitionen als auch von den operativen Effekten der KI-Revolution profitieren. Darüber hinaus sehen wir großes Potenzial in den aufstrebenden asiatischen Tigerstaaten wie Vietnam und Indonesien. Sie machen in globalen Portfolios zwar noch einen kleinen Anteil aus, verfügen aber über eine junge Bevölkerung, wettbewerbsfähige Arbeitskosten und eine wachsende Integration in regionale Lieferketten. Beides positioniert sie als nächste Generation führender Schwellenländer. Die Diversifizierung der Produktion weg von China und die dynamische Binnenentwicklung könnten ihr Gewicht in den EM-Indizes in den kommenden zehn Jahren deutlich erhöhen.

Interview: Frank O. Milewski, Cash.

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