Silber hat im Jahresverlauf eine außergewöhnliche Entwicklung gezeigt. Anfang Dezember notierte die Feinunze bei rund 61,50 Dollar und markierte damit ein neues Rekordniveau. Seit Jahresbeginn hat sich der Preis nahezu verdoppelt – ein Anstieg, der in dieser Form zuletzt Ende der siebziger Jahre zu beobachten war. Ausschlaggebend ist nicht nur die starke Nachfrage, sondern auch eine spürbare Verknappung des verfügbaren Angebots in wichtigen Handelszentren wie London und Shanghai.
Aktuelle Schätzungen des Silver Institute und des Beratungshauses Metals Focus verdeutlichen die angespannte Lage. Für dieses Jahr erwarten sie ein Angebotsdefizit von etwa 95 Millionen Unzen. Damit weist der Markt bereits das fünfte Jahr in Folge eine Unterdeckung auf. Diese Entwicklung wird vor allem durch strukturelle Faktoren getragen, die kurzfristig kaum absehbar sind.
Besonders die Industrie verstärkt den Druck auf den Markt. Rund sechzig Prozent der weltweiten Silbernachfrage entfallen inzwischen auf industrielle Anwendungen. Der Ausbau der Solarkapazitäten erweist sich als zentraler Treiber. Während die Solarindustrie 2015 noch etwa sechs Prozent der gesamten Nachfrage ausmachte, dürfte ihr Anteil 2025 auf rund 17 Prozent steigen. Das entspräche etwa 190 Millionen Unzen und würde das strukturelle Defizit weiter verschärfen.
Geldpolitik und Anlegerzuflüsse
Neben der Industrie haben auch Anleger Silber verstärkt für sich entdeckt. Allein im November beliefen sich die Nettozuflüsse auf 16 Millionen Unzen und machten damit die Abflüsse von 13 Millionen Unzen im Oktober mehr als wett. Von Januar bis Ende November summierten sich die Nettozuflüsse auf rund 110 Millionen Unzen. Sinkende Leitzinsen in den Vereinigten Staaten erhöhen zusätzlich die Attraktivität des Edelmetalls, da Silber keine laufenden Erträge bietet und in einem Umfeld niedriger Zinsen vergleichsweise günstiger wird. Gleichzeitig kann eine expansivere Geldpolitik die Konjunktur beleben und damit die industrielle Nachfrage weiter erhöhen.
Lange Zeit konnten Händler und Banken das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage durch Bestände aus ihren Tresoren ausgleichen. Doch diese Reserven sind seit Mitte 2019 deutlich geschrumpft. Eine Ausweitung der Minenproduktion gestaltet sich schwierig, da Silber meist als Nebenprodukt von Gold oder Kupfer gefördert wird und neue Projekte Jahre benötigen, um wirksam zu werden.
Engpässe und Perspektiven
Weder Minenproduktion noch Recycling halten mit der dynamisch wachsenden Nachfrage Schritt. Damit sich das strukturelle Defizit verringert, müsste die industrielle Nachfrage deutlich nachlassen. Angesichts des weiter steigenden Bedarfs für Solartechnik und Elektroautos gilt dies jedoch als unwahrscheinlich. Auch das Verhältnis zwischen Gold- und Silberpreis spiegelt die jüngste Entwicklung wider: Es ist von über 100 auf 72 gefallen und liegt damit auf dem niedrigsten Stand seit August 2021. Obwohl es unter dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre liegt, befindet es sich weiterhin über dem langfristigen Mittel.
Viele der makroökonomischen und geopolitischen Faktoren, die den Silberpreis im laufenden Jahr gestützt haben, bleiben laut Marktbeobachtern auch in den kommenden zwölf Monaten relevant. Gleichzeitig spricht vieles dafür, dass das strukturelle Angebotsdefizit auch 2026 bestehen bleibt. Zwar belasten hohe Preise einige Verarbeiter, doch ihre Reaktionen erfolgen häufig zeitverzögert. Vor diesem Hintergrund halten Fachleute eine Fortsetzung der Preisstärke für möglich.









