Der Name Ewigkeitschemikalien mutet einschüchternd an, und tatsächlich wissen wir bis heute kaum etwas darüber, wie wir zumindest die meisten der über 4.700 PFAS überwachen und für Mensch und Umwelt unschädlich machen können. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass alle Maßnahmen, die wir ergreifen, erst langfristig Erfolge zeigen werden. Umso wichtiger ist es, dass wir als Gesellschaft nicht vollkommen handlungsunfähig werden.
Dies ruft natürlich die Regierungen auf den Plan und tatsächlich gibt es in der EU wie auch der Schweiz bereits Verbote und Richtwerte, die derzeit weiter evaluiert werden.
Einige Unternehmen haben dies bereits zum Anlass genommen, auf PFAS vollständig zu verzichten. Hersteller von Outdoorkleidung wie Fjällräven, Patagonia und Vaude beispielsweise verzichten schon seit Jahren auf den Einsatz der meisten PFAS, ebenso GreenPan und Caraway Cookware bei Kochgeschirr und selbst Riesen der Bekleidungsindustrie wie H&M, Levi Strauss & Co. und Burberry haben weitreichende PFAS-Verbote umgesetzt.
Auch in der Chemie-Industrie setzt ein Wandel ein: Der Schweizer Chemiekonzern Clariant, 1995 als Spin-off der Chemiesparte von Sandoz entstanden, hat sein Portfolio vollständig auf PFAS-freie Additive umgestellt; ebenso entwickelt die belgische Solvay PFAS-freie Alternativen und setzt auf nachhaltigere Chemie. Und auch 3M, einst eine der Pionierinnen der PFAS-Entwicklung, will bis Ende 2025 als Teil seiner Nachhaltigkeitsstrategie die Herstellung und Verwendung von PFAS vollständig einstellen. Innovatoren wie Gradiant aus den USA oder die Water & Carbon Group aus Australien arbeiten an Technologien, die PFAS aus Wasser entfernen und unschädlich machen sollen. Unter den Kunden und Investoren finden sich unter anderem BMW und Ecolab.
Alles also ganz einfach – wir finden Alternativen, verbieten PFAS und lösen das Problem? Mit den PFAS ist es wie mit vielen anderen Themen der Nachhaltigkeit: Es gibt keinen „easy fix“!
Dass PFAS chemisch extrem stabil sind, kurzfristig biokompatibel, hitze- und chemikalienbeständig, macht sie in vielen Sektoren und Produkten wertvoll, auf die wir wohl kaum einfach verzichten wollen: Laborausstattung, Forschungsdesign, Herzschrittmacher, Implantate, Katheter, chirurgische Drähte und Schutzkleidung in der Medizin; Mikrochips, Kabelisolierungen, Leiterplatten und Spezialschmierstoffe in der Halbleiter- und Elektronikindustrie; Treibstoffschläuche, Dichtungen, Kabelummantelungen und Beschichtungen in der Luftfahrt und Verteidigung; Solarzellen, Windkraftanlagen, Batterien, Brennstoffzellen; Feuerlöschschaum in Flughafen- und Militärbrandschutz – die Liste ließe sich fortsetzen. Die direkten Kosten zur Reinigung und Sanierung verseuchter Flächen sowie die indirekten Kosten durch gesundheitliche Schäden sind für die Gesellschaft enorm – aber wollen und können wir deshalb ganz auf PFAS verzichten?
Diesem Widerspruch sehen sich auch die Aufsichtsbehörden gegenüber, weshalb Prozesse zur Regulierung von PFAS zeitintensiv sind. In der EU und der Schweiz schreiben Richtlinien vor, dass sowohl die Summe ausgewählter PFAS als auch die gesamte Menge an messbaren PFAS überwacht und bis zu definierten Grenzwerten gesenkt werden müssen. Aus Vorsorgegründen hat die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde eine sehr niedrige tolerierbare wöchentliche Aufnahme für die Summe der vier wichtigsten PFAS abgeleitet. Das Ziel: kritische Effekte wie die verminderte Impfantwort zu vermeiden. Parallel wird im Rahmen von REACH eine weitreichende Stoffgruppenbeschränkung für PFAS geprüft. Seit 2023 läuft ebenso ein EU-Verbotsantrag. Die Schweiz folgt vielen PFAS‑Regelungen der EU und aktualisiert derzeit Richt‑ und Höchstwerte im Trinkwasser‑ und Lebensmittelbereich; politisch wird ein Maßnahmenpaket mit klareren Zuständigkeiten und Prioritäten vorbereitet.
Die Kombination aus strengeren Normen und wachsender öffentlicher Aufmerksamkeit hat international zu einer Welle von Regulierungsprozessen, Sanierungspflichten und Haftungsfällen geführt. Betroffen waren nicht nur Chemieproduzenten, sondern auch nachgelagerte Branchen wie Textilien, Lebensmittel und Verpackungen. Ebenso rücken Versicherbarkeit, ESG‑Ratings und Reputationsrisiken in den Fokus und damit steigen Übergangs‑ und Haftungsrisiken – aber auch die Bedeutung der aktiven Eigentümerrolle und Kapitalallokation in PFAS‑freie Alternativen. Dies ruft natürlich Investoren auf den Plan, die dieses Risiko in ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen müssen.
Bei allem Pessimismus, der bei der Beschäftigung mit diesem Thema aufkommt, darf man nicht vergessen, dass es auch eine große Chance bietet – für Unternehmen, die Gewinne erwirtschaften und Menschen, die gesünder leben können.

Alexandra Kroll (Foto: Arete Ethik Invest)
Die Bekleidungsindustrie hat gezeigt, dass es Möglichkeiten gibt, PFAS zu ersetzen. Und wenn die Industrie in der Lage war, PFAS zu entwickeln, so sollten sich die Anstrengungen nun darauf konzentrieren, Alternativen zu schaffen, Forschung zur Aufreinigung voranzutreiben, die das Problem in den Griff bekommt. Kurzum: Wir brauchen innovative Unternehmen. Die Regulatorik muss den rechtlichen Rahmen schaffen, der Innovation fördert und sicherstellt, dass sich Alternativen auch wirtschaftlich durchsetzen. Und natürlich braucht Entwicklung Zeit. Entscheidend ist es jedoch, loszugehen. Eine systematische Erfassung von PFAS in (Vor-)Produkten, Rezepturen, etc. würde helfen, überhaupt einen Überblick über das Ausmaß im eigenen Unternehmen zu bekommen – frei nach dem Mantra: You can‘t manage what you don‘t measure! Ausstiegspläne für nicht‑essenzielle PFAS‑Anwendungen sollten folgen, ebenso wie die Entwicklung PFAS‑freier Alternativen und die Anpassung der Anforderungen an die Lieferkette.
Investoren wiederum sind gefragt, wenn es darum geht, exponierte Sektoren und Emittenten zu ermitteln, deren Risiko zu bewerten und im Zweifel Engagement-Strategien zu nutzen, um offene Fragen zu beantworten: Gibt es eine PFAS‑Policy mit Zeitzielen für den Ausstieg aus nicht‑essenziellen Anwendungen? Wie groß ist die Abhängigkeit von Umsätzen, die mit PFAS erzielt werden? Welche Alternativen können skaliert werden? Welche Rechtsrisiken bestehen?
Wenn Sie sich jetzt fragen, ob Sie sich versehentlich „versurft“ haben: Nein, Sie lesen immer noch einen Text über Ewigkeitschemikalien. Was die mit ihrer Altersvorsorge zu hat? Einiges. Und die gute Nachricht ist: Es mag schlichtweg überwältigend sein, von all den negativen Auswirkungen zu lesen, aber Sie selbst sind Teil der Lösung. Sie selbst können kleine, alltäglich Dinge ändern, um die Konsequenzen von PFAS für sich selbst und andere zu minimieren: Prüfen sie beispielsweise die Ergebnisse des lokalen Trinkwasserversorgers und fragen Sie nach, was gegen PFAS getan wird. Lassen Sie das Wasser in der Plastikflasche im Supermarktregal. Achten sie auf PFAS‑freie Imprägnierungen, Kleidung und Kosmetik. Wählen sie Alternativen zu beschichteten Pfannen (Edelstahl, Gusseisen, Keramik) und meiden sie fettabweisende Einweg‑Verpackungen. Und vor allem: Werfen sie einen genauen Blick auf ihre Investitionen.
Die gesundheitlichen Risiken von PFAS ebenso wie die der Klimaerwärmung betreffen vor allem auch ältere Menschen – die Gesundheitskosten im Rentenalter sind ohnehin schon höher als beispielsweise in der Lebensmitte. Durch schädliche Umwelteinflüsse werden sie aller Voraussicht nach weiter steigen. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass Ihre Rentenlücke wächst. Legen sie Ihr Geld in Unternehmen an, die helfen, diese Gesundheitsrisiken zu mindern, statt auf Kosten Ihrer Gesundheit zu wachsen.
Die wissenschaftliche Bewertung und Regulierung schreiten voran. Für den Kapitalmarkt sind die nächsten Jahre entscheidend: Unternehmen, die frühzeitig substituieren, Transparenz schaffen und Emissionen minimieren, reduzieren Haftungs‑ und Übergangsrisiken – und gewinnen Marktanteile in PFAS‑freien Segmenten. Für Anlegerinnen und Anleger eröffnen sich dadurch klare Impact‑ und Renditechancen. Und die können helfen, auch Ihre Renten zu polstern.
Teil 1 lesen Sie hier.
Alexandra Kroll ist Mitglied des unabhängigen Prime-Values-Ethik-Komitees für Arete Ethik Invest. Marlene Waske ist Senior Ethics Analyst und Co-Lead Ethik-Research bei Arete Ethik Invest.