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Warum CFOs Bitcoin zunehmend ins Corporate Treasury aufnehmen

Bitcoin-Muenze, die in der Mitte bricht
Foto: PantherMedia/Lerttanapunyaporn (YAYMicro)
Bitcoin fester Bestandteil der Unternehmensbilanzen

Immer mehr Unternehmen integrieren Bitcoin fest in ihre Bilanz. Was früher als riskante Spielerei galt, wird heute zur ernsthaften Treasury-Strategie. Doch welche Chancen sehen die CFOs – und welche Risiken gehen sie dafür ein?

Noch vor wenigen Jahren galt Bitcoin in den Chefetagen großer Unternehmen als exotisches Spielzeug von Tech-Enthusiasten. Heute aber hat sich die Lage grundlegend gewandelt: Immer mehr Konzerne integrieren die Kryptowährung ganz offiziell in ihre Treasury-Strategien, also in den Teil der Bilanz, in dem klassischerweise Cash, Staatsanleihen oder Gold liegen. Der Schritt markiert nicht weniger als einen Paradigmenwechsel im globalen Finanzsystem.

Ein Markt reift heran

Die jüngsten Entwicklungen am Kryptomarkt sind spektakulär: Am 14. August erreichte der Bitcoin ein neues Allzeithoch. Doch anders als bei früheren Hypes ist es diesmal nicht nur der Enthusiasmus von Privatanlegern, der die Rallye antreibt. Maßgeblich beteiligt ist die wachsende Nachfrage institutioneller Investoren. Zulassungen von Spot-Bitcoin-ETFs in den USA, die neue europäische MiCA-Regulierung und ein politisches Klima, das dem Thema zunehmend wohlgesonnen ist, haben der Anlageklasse einen Schub an Legitimität verliehen.


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Laut aktuellen Daten halten inzwischen 125 börsennotierte Unternehmen zusammen fast 850.000 BTC, ein Gegenwert von rund 91 Milliarden US-Dollar. Damit kontrollieren sie über vier Prozent des maximalen Bitcoin-Angebots von 21 Millionen Coins. Und die Dynamik beschleunigt sich: Allein im zweiten Quartal 2025 stieg die Zahl der Firmen, die Bitcoin in ihre Bilanz aufnahmen, um mehr als 20 Prozent.

Warum CFOs jetzt umdenken

Die Beweggründe sind vielfältig. An erster Stelle steht der Schutz vor Kaufkraftverlust. In den führenden Industrieländern liegt die Inflation seit Jahren stabil bei vier bis fünf Prozent. Wer große Bargeldreserven in Fiat-Währungen hält, sieht deren Wert kontinuierlich schrumpfen. Bitcoin hingegen ist in seiner Menge strikt begrenzt, was ihn aus Sicht vieler Finanzverantwortlicher zum digitalen Gold-Pendant macht.

Doch es geht nicht nur um Absicherung. Unternehmen, die Bitcoin halten, senden ein klares Signal an Investoren, Partner und Kunden: Wir sind innovativ, wir denken langfristig, wir gestalten die Zukunft. In einer Zeit, in der Markenführung und Kapitalmarktzugang eng miteinander verknüpft sind, kann dieser Imagefaktor entscheidend sein.

Gracy Chen, Bitget

Chancen und Risiken im Praxistest

Die Praxisbeispiele könnten unterschiedlicher kaum sein: Strategy (ehemals MicroStrategy) hat seine Bilanz nahezu vollständig auf Bitcoin ausgerichtet. Finanziert durch Wandelanleihen und Aktienemissionen, hat das Unternehmen mittlerweile über 600.000 BTC akkumuliert. Damit ist es faktisch zum börsennotierten Bitcoin-Vehikel geworden. Für Investoren, die ein Engagement in Bitcoin suchen, ist die Aktie ein beliebter Umweg. Gleichzeitig ist Strategy nun aber auch maximal der Volatilität des Coins ausgeliefert, Gewinne und Verluste schlagen direkt durch.

Tesla ging vorsichtiger vor: Die Investition von 1,5 Milliarden Dollar Anfang 2021 war ein PR-Coup und verschaffte dem Unternehmen enorme Aufmerksamkeit. Doch schon kurze Zeit später verkaufte Tesla einen großen Teil der Bestände wieder. Ein klares Zeichen dafür, wie schwierig es ist, ein so schwankungsanfälliges Asset in einer Unternehmensbilanz zu managen.

Neue Geschäftsmodelle entstehen

Manche Firmen gehen noch weiter: Sie machen Bitcoin selbst zum Kern ihres Geschäfts. Strategy hat sich vom Softwareanbieter zum Investmentvehikel gewandelt, während Metaplanet in Japan mit einem „Bitcoin Standard“ experimentiert und langfristig 210.000 BTC in der Bilanz anstrebt.

Andere Unternehmen nutzen die Blockchain-Infrastruktur aktiv. Block bietet Millionen von Menschen die Möglichkeit, Bitcoin zu kaufen und zu nutzen, und entwickelt parallel neue Finanzlösungen. Mining-Konzerne wie MARA Holdings oder Riot Platforms sichern das Netzwerk, erzeugen neue Coins und koppeln ihr Geschäftsmodell direkt an die Profitabilität von Bitcoin.

Ein neues Maß etabliert sich dabei an den Märkten: „Bitcoin pro Aktie”, eine Kennzahl, die den Wert eines Unternehmens direkt mit dessen Beständen an der Kryptowährung verknüpft.

Folgen für Banken und Finanzsystem

Die Verschiebung von Unternehmenskapital in Richtung Bitcoin bleibt für das traditionelle Bankwesen nicht ohne Folgen. Milliardenbeträge, die früher auf Bankkonten lagen, wandern nun in eine dezentral begrenzte digitale Währung. Klassische Institute verlieren damit Einlagen und Liquidität.

Doch die Banken reagieren: Schwergewichte wie JPMorgan oder Goldman Sachs bieten längst Verwahrung und Handel von Kryptowährungen an. Für sie eröffnet die Volatilität von Bitcoin zugleich neue Geschäftsfelder, etwa mit maßgeschneiderten Derivaten und Hedging-Produkten, die Unternehmen gegen Kursschwankungen absichern sollen.

Parallel wächst der Druck durch dezentrale Finanzplattformen wie AAVE. Diese bieten direkt Peer-to-Peer-Kredite, Zinsen und Liquiditätspools, ohne klassische Intermediäre. Banken müssen sich daher neu erfinden, wenn sie nicht ins Abseits geraten wollen.

Zwischen Stabilität und Dezentralisierung

Kurzfristig verstärkt die zunehmende Nachfrage von Unternehmen den Preisanstieg, weil Teile des ohnehin knappen Angebots vom Markt verschwinden. Langfristig könnte diese Entwicklung aber sogar für mehr Stabilität sorgen: Langfristige Corporate Holder ersetzen kurzfristige Spekulanten und bringen Ruhe in die Preisfindung.

Auf der anderen Seite wächst die Sorge um die Dezentralisierung. Wenn ein wachsender Teil der Bitcoin-Bestände in den Händen einiger weniger Konzerne liegt, könnten diese „Wale“ Einfluss auf Governance-Fragen und Marktdynamiken nehmen. Das wäre ein Bruch mit der ursprünglichen Idee eines demokratisch verteilten Netzwerks.

Fazit: Ein Balanceakt mit Signalwirkung

Eines ist klar: Die Frage, ob Bitcoin die Finanzwelt verändert, ist längst beantwortet. Die entscheidende Frage lautet nun: wie tiefgreifend?

Die Integration in Unternehmensschatzkammern zeigt, dass Bitcoin vom Randphänomen zum strategischen Treasury-Baustein avanciert ist. Das verändert nicht nur die Bilanzpolitik von Konzernen, sondern auch die Spielregeln des Bankensektors und möglicherweise sogar die Architektur des globalen Finanzsystems.

Für Unternehmen ist die Wette auf Bitcoin ein Balanceakt zwischen Chance und Risiko, Stabilität und Volatilität, Innovation und Unsicherheit. Doch eines steht fest: Wer heute den Mut hat, neue Wege zu gehen, könnte morgen die Spielregeln mitbestimmen.

Über die Autorin:
Gracy Chen ist CEO der Kryptowährungsbörse Bitget. Zuvor sammelte sie über zehn Jahre Erfahrung in Unternehmensführung, Marketing und Investment und war eine der frühen Investorinnen von Bitkeep (heute Bitget Wallet), Asiens führender dezentraler Wallet. Seit April 2022 im Unternehmen, prägte sie als erste Managing Director die globale Wachstumsstrategie und übernahm im Mai 2024 die Rolle der CEO. Chen ist Delegierte bei der UN Women CSW-Konferenz und engagiert sich für mehr Diversität im Web3-Sektor. Sie hat einen Bachelor-Abschluss der National University of Singapore (NUS) und einen MBA des MIT.

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