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Warum impulsives Handeln Anleger Rendite kostet

Moritz Schüßler
Foto: Vanguard
Moritz Schüßler

Viele Privatanleger reagieren in unsicheren Marktphasen spontan – und gefährden damit ihre Rendite. Finanzberater können hier entscheidend eingreifen, indem sie den Fokus ihrer Kunden von kurzfristigen Schwankungen auf langfristige Ziele lenken. Gastbeitrag von Moritz Schüßler, Vanguard

Hätten sich Anleger am Tiefstand Anfang April in den MSCI World eingekauft, hätten sie zum Stichtag 31. Oktober einen Renditegewinn von rund 35 Prozent erzielt. Angesichts der Kursschwankungen der vergangenen Monate dürfte es Anlegern schwergefallen sein, die Nerven zu behalten – oder sie haben sich geärgert, nicht rechtzeitig aufgestockt zu haben. Meint man. Denn Umfragen zum Anlegerverhalten belegen etwas anderes: Das Stimmungsbarometer des Deutschen Instituts für Vermögensbildung und Alterssicherung (Diva) notierte in der aktuellen Ausgabe vom Sommer 2025 mit 33,6 Punkten nahe dem Spitzenniveau aus dem Januar (35,5 Punkte). Auch scheint von Panikverkäufen keine Rede zu sein. 27,7 Prozent der Anleger nahmen laut einer aktuellen Umfrage des Diva die Kursschwankungen im Zusammenhang mit den politischen Unsicherheiten zum Anlass, um Titel nachzukaufen. Genauso viele blieben auf ihrem gewohnten Kurs und änderten ihre Anlagepositionen nicht, oder hielten sich mit Aktien(fonds)käufen zurück.  


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Doch sind diese Zuversicht und Zufriedenheit berechtigt? Fest steht: Rendite- und Risikopräferenzen passen bei vielen Anlegern nicht zusammen. So fand eine Befragung des Bundesverbands deutscher Bankenzwar, dass Rendite ein wichtiges Anlageziel darstellt, die Bereitschaft zu Risiko jedoch sehr gering ist. Gleichzeitig überschätzen viele Privatinvestoren ihre Fähigkeiten bei der Geldanlage. Studien zeigen, dass Privatanleger einfach kein Händchen für gutes Timing haben – und dadurch Geld verlieren. Der Dalbar-Report (2024), der die Anlageergebnisse von Investoren mit einer Anlagesumme von 100.000 US-Dollar zwischen 2004 und 2023 untersuchte, zeigt: Investoren mit einer langfristigen Haltestrategie erwirtschafteten fast doppelt so viel Rendite wie Investoren, die versucht haben, den Markt zu timen. Zwar handelt es sich um US-Daten, doch die zugrunde liegenden Verhaltensmuster – Selbstüberschätzung, Panik in Krisen, Renditejagd in Bullenmärkten – sind universell. Auch die Studien von Vanguard deuten auf ein ähnliches Ergebnis hin: Anleger, die im Fünfjahreszeitraum bis 2012 mindestens eine Änderung an ihrem Portfolio vorgenommen haben, büßten aufgrund schlechter Portfolioanpassungen 104 bis 150 Basispunkte ein. Das verschlechtert nicht nur die absolute Rendite, sondern erhöht oft auch die Volatilität. Die Folge: Das Risiko-Rendite-Profil des Portfolios leidet spürbar. Hinzu kommt: Anleger, die häufig umschichten, erzielen ein niedrigeres Sharpe Ratio als jene, die diszipliniert investiert bleiben.

Die Verhaltensökonomie liefert eine ganze Reihe von Erklärungen dafür, warum Anleger immer wieder unter den eigenen Möglichkeiten bleiben – selbst in Phasen steigender Märkte. Drei der bekanntesten verhaltensökonomischen Verzerrungen („behavioral bias“) sind:

  • Dispositionseffekt: Anleger neigen dazu, Gewinne zu früh mitzunehmen, während sie an Verlusttiteln zu lange festhalten. Studien zeigen, dass dieses Verhalten zu einem systematischen Abweichen von der optimalen Portfolioallokation führt – und dass gerade Privatanleger im Schnitt Renditepunkte verlieren, weil sie Verluste aussitzen, statt Kapital produktiver einzusetzen.
  • Recency Bias: Jüngste Marktentwicklungen werden übermäßig stark gewichtet. Läuft ein Sektor oder eine Aktie gut, wird sofort extrapoliert, dass dieser Trend anhalten müsse. Dieses Verhalten führt zu prozyklischem Investieren – Anleger kaufen nach, wenn es teuer ist, und verkaufen, wenn es billig ist.
  • Selbstüberschätzung: Viele Privatanleger überschätzen ihr Wissen und ihre Timing-Fähigkeiten. Anleger, die am aktivsten handeln, erzielen die schwächsten Renditen. Häufiges Umschichten erhöht die Volatilität, reduziert die Rendite – und verschlechtert damit das Risiko-Rendite-Profil.

Diese Mechanismen erklären, warum die Diskrepanz zwischen erwarteten und tatsächlich erzielten Erträgen so groß ist. Für Berater sind sie ein wichtiger Ansatzpunkt: Nur wer die psychologischen Fallen seiner Kunden kennt, kann rechtzeitig gegensteuern und disziplinierendes „Verhaltenscoaching“ anbieten.

Denn die gute Nachricht ist: Eine Mehrzahl – 76 Prozent der Anleger – hält persönliche Beratung für notwendig, um erfolgreich in die Aktienmärkte zu investieren, zeigt die eingangs zitierte Umfrage des DIVA. Diese Meinung vertreten insbesondere jüngere Anleger. Doch die wahre Herausforderung für Berater liegt darin, Anleger von übereilten Aktionen abzuhalten. Denn: Vermögensanlage kann sehr emotional sein. Berater müssen ihren Kunden daher Disziplin und eine langfristige Perspektive vermitteln – und zwar bereits in den ersten Gesprächen.

Emotionale Distanz gehört zu den wichtigsten – und oft unterschätzten – Vorteilen professioneller Anlageberatung. Wenn die Kurse fallen oder ein neuer Trend hohe Renditen verspricht, können Anleger schnell in Versuchung geraten, ihre Positionen zu verkaufen oder auf „heiße Themen“ zu setzen. An dieser Stelle sollten Berater einschreiten und ihre Kunden an den Anlageplan erinnern, den sie gemeinsam aufgestellt haben, bevor Emotionen ins Spiel kamen. Hier spielt Vertrauen eine zentrale Rolle: Es muss in ruhigen Marktphasen aufgebaut werden, damit es in Bullen- und Bärenmärkten trägt.

Hier schaffen Berater Mehrwert

Für Finanzberater liegt der eigentliche Mehrwert längst nicht mehr nur in der Produktauswahl oder kurzfristigen Marktprognosen. Entscheidend ist, ihre Kunden vor den psychologischen Fallstricken der Geldanlage zu schützen – und sie auf Kurs zu halten, wenn Emotionen das Steuer übernehmen wollen. Das bedeutet, Anleger konsequent an ihren individuellen Anlageplan zu erinnern, Disziplin zu fördern und kurzfristige Impulse auszubremsen. Wer dies schafft, stabilisiert nicht nur die Portfolios seiner Kunden, sondern verbessert auch deren Risiko-Rendite-Profil. Denn Studien zeigen: Disziplinierte Anleger erzielen langfristig klar bessere Ergebnisse als jene, die auf Markt-Timing setzen.

Berater, die sich als „Verhaltens-Coaches“ verstehen, verhindern damit nicht nur überstürzte Entscheidungen – sie verwandeln emotionale Marktphasen in Chancen. Genau hier entsteht der messbare Mehrwert von Beratung: im Schutz vor typischen Fehlern und in der konsequenten Ausrichtung auf langfristige Ziele.

Moritz Schüßler ist Leiter Intermediated Retail Deutschland bei Vanguard.

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