Wie sich ungelebte Trauer zeigt und wie sie durch einfache Rituale gelöst werden kann

Foto: Verena Reinke
Mareike Fell

Tod, Trauer und Verlust – klingelt da was bei Ihnen? Dann lesen Sie unbedingt weiter! Die Fürstenberg-Kolumne mit Mareike Fell

Na? Wie geht es Ihnen? Wo erwische ich Sie gerade? Ich möchte Ihnen heute einen Fall aus meiner Beratung* vorstellen, wie er mir am Fürstenberg Institut immer wieder begegnet:

Frau A. verliert vor etwa einem dreiviertel Jahr ihren Mann durch einen Unfall. Um sich abzulenken, versucht sie sich danach dauerhaft zu beschäftigen: Sie besucht ihre kranke Mutter so oft wie es geht, kümmert sich überfürsorglich um ihre beiden minderjährigen Kinder, ist ständig unterwegs. Neben ihrer Teilzeitarbeit in einer Bank, die sie kurz nach dem Verlust ihres Mannes wieder aufgenommen hat, lädt sie sich zusätzliche soziale Aufgaben auf, abends, wenn die Kinder ins Bett gehen, telefoniert sie lange mit Freunden.

In der Beratung fällt Frau A. vor allem dadurch auf, dass sie kleinste, unwichtige Details exzessiv schildert, dabei aber den emotionalen Teil des eigenen Betroffenseins vollständig auslässt. Auch der Unfall des Mannes und der damit verbundene Verlust wird sehr sachlich beschrieben.

Was Frau A. aber eigentlich in meine Beratung geführt hat, war die zunehmende Freudlosigkeit und Gefühle der Hilflosigkeit, zunehmende Ängste, Schuldgefühle und Überforderung, sie ist ihren Kindern und ihrem Umfeld gegenüber dünnhäutig und leidet auf körperlicher Ebene unter mittlerweile unerträglichem Gedankenkreisen, Ein- und Durchschlafstörungen und innerer Unruhe bei gleichzeitiger massiver Antriebslosigkeit. Auch die Arbeit leidet schon. Dort fällt sie durch Flüchtigkeitsfehler und Unkonzentriertheit auf. Zuletzt empfahl ihr ihr Teamleiter, sich doch mal ans Fürstenberg Institut zu wenden.

Ich sehe eine sehr beschäftigte Frau, aber ich spüre eine Seele in Not. Hier setze ich an: Dass ich sehe, dass sie ihr Leben in den Griff hat – aber was sich ihre Seele denn wünschen würde?

Frau A. laufen die Tränen – endlich. Ihre Seele wünscht sich eine Pause. Ruhe. Dass alles aufhört. Die Einsamkeit… Was statt dessen? Sie wünscht sich ihren Mann zurück! So vieles würde sie ihm gerne noch sagen. Und es tut ihr so Leid, weil sie sich zuletzt gestritten hatten. Vielleicht war er deswegen unaufmerksam? Die Gedanken machen sie wahnsinnig!

Wir machen dazu eine Aufstellung und „laden ihren Mann ein“, sich zu uns zu setzen. Endlich kann sie ihm alles sagen, ihn alles fragen! Und sie darf auf seinem Platz Platz nehmen. Und endlich kommt Ruhe. Antworten auf ihre Fragen. Sicherlich nicht erklärbar, aber Frau A. „erfährt“ – ich würde sagen „erfühlt“, was sich ihr Mann für sie wünschen würde:

Dass sie gut für sich selbst sorgt und er immer bei ihr sein wird. Dass es nicht ihre Schuld war. Und dass es ihm gut geht.

Nach der Stunde ist Frau A. sehr geschafft aber nach langer Zeit auch endlich mal wieder ruhig. Die Sitzung war ein Anfang, das belastende Ereignis zu verarbeiten. Im Rahmen der Beratungssitzungen gelingt es ihr langsam, sich und ihr Leben neu zu ordnen: Zum Beispiel reduziert sie ihr Engagement für soziale Projekte radikal und besucht ihre Mutter nur noch einmal die Woche. Und sie schließt sich einer Selbsthilfegruppe für Trauernde an.

Ein Ritual aus der Einzelberatung hat ihr besonders geholfen, wieder in den Alltag zurückzufinden: Sie schreibt Briefe an ihren verstorbenen Mann.

Hier noch mal meine Tipps für Sie:

– Viele mögliche Reaktionen sind nach einem belastenden Ereignis normal – dauern die zunächst normalen Reaktionen jedoch länger als vier Wochen an, ist professionelle Hilfe ratsam.

– Achten Sie daher auf Anzeichen, dass sich Ihre Gefühle nicht normalisieren, Sie dauerhaft von Albträumen gequält werden, Flashbacks auftauchen oder Sie Orte oder Situationen vermeiden oder Arbeit oder Beziehung dauerhaft leiden.

– Was Sie selbst für sich tun können: Gönnen Sie sich Ruhe. Sprechen Sie über Ihre Gefühle. Versuchen Sie, zu Ihrem Alltag zurück zu kehren.

– Tun Sie Dinge, die Ihnen immer gut getan haben.

– Entwickeln Sie ein Ritual.

– Und zögern Sie nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

* Der Fall wurde mit dem Einverständnis der Betroffenen anonymisiert.

Autorin Mareike Fell ist systemischer Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie und ist als Beraterin und Trainerin in der externen Mitarbeiterberatung für das Fürstenberg Institut tätig. Internet: www.fuerstenberg-institut.de 

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