Profifußball im finanziellen Abseits?

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Für die finanzielle Schieflage einiger Vereine gibt es viele Gründe – und wenig mögliche Auswege aus einem Fehler im System. Warum Ratten im europäischen Profifußball eine Rolle spielen und was sie mit der finanziellen Stabilität der Clubs zu tun haben.

Unlängst erst hat sich die italienische Nationalelf in einem Herzschlagfinale gegen das englische Team den ersehnten Europameistertitel gesichert und die Fans im Londoner Wembley-Stadion ins Tal der Tränen gestürzt. Da steht die neue Spielzeit in den meisten europäischen Profiligen schon wieder in den Startlöchern. Das gilt auch für die Bundesliga, die in der anstehenden Saison ohne die beiden abgestiegenen Traditionsclubs aus Bremen und Schalke auskommen muss.

Björn Wenninger, Berg Lund & Company

Nicht nur sportlich, auch finanziell ist der Abstieg aus der Beletage des deutschen Fußballs für viele Vereine ein Super-GAU. 40 bis 50 Prozent Umsatzrückgang können drohen. Insbesondere die Einnahmen aus der TV-Rechtevermarktung brechen in der Regel drastisch ein. Ein Beispiel: Beim VFB Stuttgart fielen die Einnahmen aus diesem Erlöstopf nach dem Abstieg 2019 von 48 auf nur noch 28 Mio. Euro.

Gerade bei kleinen Clubs kam etwa die Hälfte der Erträge in der Vor-Corona-Saison 2018/2019 aus TV-Geldern – besonders abhängig von dieser Erlösquelle war der FC Augsburg mit rekordverdächtigen 61 Prozent. In der Pandemie ist die ohnehin schon überragende Bedeutung der TV-Einnahmen durch den Wegfall von Einkünften aus dem Ticketing, Merchandising und der Stadiongastronomie bei Geisterspielen gewachsen. Die Deutsche Fußballliga (DFL) hat sich folglich auch während der Pandemie vehement für eine Fortsetzung respektive Aufrechterhaltung des Spielbetriebs eingesetzt. Für viele Mitgliedsvereine ging und geht es schlichtweg ums nackte wirtschaftliche Überleben.

Neben dem Wegfall wesentlicher Ertragssäulen sehen sich Absteiger oft mit einem weiteren Problem konfrontiert: Viele Spielerverträge sind an die Ligazugehörigkeit gebunden oder sehen Ausstiegsklauseln im Falle eines Abstiegs vor. Es bleibt also kaum die Option, wirtschaftliche Konsequenzen eines Abstiegs durch den Verkauf von Leistungsträgern abzufedern. Eine weitere Einschränkung gibt es, wenn die geltenden Arbeitsverträge dem Verein nur wenig Möglichkeiten lassen, den Spieleretat zu reduzieren.

In dieser komplexen Lage ist es schwer, mit einem tragfähigen Budget einen schlag- und trittkräftigen Kader zusammenzustellen, so dass ein Wiederaufstieg gelingen kann.

Überbietungswettkampf – das Rattenrennen im Profifußball

Angesichts einer derartig misslichen Situation entsteht ein sogenanntes Rattenrennen. Diese Metapher aus der Wissenschaft bezieht sich im Profifußball darauf, dass die von den Kontrahenten eingesetzten Mittel den möglichen Gewinn übersteigen. Dieser Überbietungswettkampf der Vereine ist rational verständlich, denn ein Abstieg kann Fußballvereine in ihrer sportlichen wie ökonomischen Entwicklung um Jahre zurückwerfen. Insofern erscheint es logisch, wenn die Funktionäre eines abstiegsbedrohten Clubs bis an ihre wirtschaftlichen Grenzen und darüber hinaus gehen, um diesen Worst Case zu vermeiden.

So hat auch der FC Schalke 04 in der Wintertransferperiode der vergangenen Saison als abgeschlagener Tabellenletzter trotz desaströser Finanzlage in neue Spieler investiert – in der Hoffnung, den Karren doch noch aus dem Dreck ziehen zu können. Das traurige Ergebnis ist bekannt.

Ein solches Verhalten ist nicht nur am unteren Ende der Tabelle, sondern auch beim Kampf um die internationalen Plätze, die Qualifikation für die Champions League oder die deutsche Meisterschaft regelmäßig zu beobachten. Denn auch wenn die Vereine im deutschen Profifußball heute deutlich professioneller geführt werden als noch vor einigen Jahren, unterscheiden sie sich in einem zentralen Aspekt weiterhin von einem typischen mittelständigen Unternehmen: Für Fußballclubs ist nicht das Gewinnstreben oberstes Gebot, sondern die Maximierung des sportlichen Erfolgs.

Der sportliche Wettbewerb selbst ist ein weiteres Spezifikum, in dem sich der Profifußball von typischen Märkten unterscheidet. Denn die Performance eines Clubs hängt fundamental von der Leistung seiner Konkurrenten ab. Während klassische Unternehmen um die Gunst ihrer Kundschaft wetteifern, kämpfen Fußballvereine direkt gegeneinander, sodass sich die eigene Position nur auf Kosten eines oder mehrerer gegnerischer Teams verbessern lässt. Die Vereine befinden sich folglich in einem mit harten Bandagen geführten Überbietungswettbewerb wieder. Um die Ziele zu erreichen, ist eine gewisse „All-in-Mentalität“ an der Tagesordnung.

Dieses sogenannte Rattenrennen wird am Beispiel des Abstiegskampfs deutlich: Auch wenn die betroffenen Vereine ihre jeweiligen Kader bis an die Grenzen der wirtschaftlichen Tragfähigkeit aufrüsten, bleiben am Ende der Saison abhängig vom Ausgang der Aufstiegsrelegation zwei oder sogar drei Teams auf der Strecke. Da die Verlierer in diesem Spiel teilweise schon zuvor über ihre Verhältnisse gelebt haben, kann ein Abstieg sich angesichts der damit verbundenen Umsatzeinbußen katastrophal auswirken.

Finanzielle Stabilität der Ligen in Gefahr

Aus Sicht des Gesamtsystems Profifußball führen diese Rattenrennen letztlich zu einer Vergeudung von Ressourcen und gefährden auf Dauer die finanzielle Stabilität in den einzelnen Ligen.

Deutlich wird dies beim Kampf um den Titel in der Champions League, wo das Wettrüsten trotz der Einführung des Financial Fairplay im Jahre 2015 vor allem getrieben durch finanzstarke Investoren und Mäzene schwindelerregende Höhen erreicht. In diesem Wettlauf haben sich auch einige der europäischen Schwergewichte übernommen und sind nach gängigen Bewertungsmaßstäben als überschuldet zu bezeichnen.

Ihnen erscheint als einziger Ausweg aus dieser Misere im derzeitigen System der massive Ausbau der generierten Umsatzströme. Die Reform der Champions League mit einer Ausweitung von 32 auf 36 Mannschaften sowie von 125 auf 225 Vorrundenpartien trotz eines ohnehin schon dicht gedrängten Spielplans sei an dieser Stelle als eines von vielen Beispielen angeführt.

Bislang ging diese Wette in den meisten Fällen auf. Die Expansion in neue Märkte vor allem in Asien, immer neue Rekorde bei der TV-Rechtevermarktung und der Einstieg von Investoren hielten das Rad am Laufen. Doch die Corona-Krise und ein zunehmendes Maß an Entfremdung zwischen Clubs und ihrer Fanbasis mehren die Zweifel, ob es so weitergehen kann. An dem Versuch, eine europäische Super League zu gründen, scheiterten zwölf europäischen Großclubs aus Spanien, Italien und England unter Federführung der US-Bank JPMorgan Chase, die sogar bereit war, 3,5 Milliarden Euro zu investieren.

Grund waren der wütende Protest von Fans und der Widerstand der betroffenen Verbände. Auch einige teilweise prominente Spieler haben sich sehr dezidiert gegen die Einführung dieses Formats ausgesprochen. Ferner musste auch die DFL bei der Versteigerung der nationalen TV-Rechte einen Rückschlag hinnehmen: Ab der Saison 2021/2022 müssen die 36 Erst- und Zweitligisten sich insgesamt mit etwas weniger Geld begnügen als bislang.

Schwerer Weg aus dem Rattenrennen

Der Blick über den großen Teich zeigt Systeme ohne die Gefahr eines Rattenrennens. Die großen US-Profiligen im American Football, Baseball, Basketball, Eishockey und auch im zunehmend populärer werdenden Soccer setzen stark auf Franchising. Zudem kennen diese Ligen keine Auf- und Abstiege oder die Konzentration auf einen einzigen Wettbewerb. Stattdessen hat sich ein lotteriebasiertes Draft-System zur Rekrutierung von Nachwuchsspielern etabliert, bei dem schwächere Teams systematisch bevorzugt werden. Harte Gehaltsobergrenzen werden aufgestellt und häufiger eingehalten.

Gleichwohl ist es schwer, diese Instrumente auf den europäischen Profifußball zu übertragen. Angefangen bei der Nachwuchsförderung bis hin zu mehrstufigen Ligasystemen herrschen hier andere Traditionen und Strukturen. Auch mit Blick auf die Fans gäbe es hier Akzeptanzprobleme. Die besten Chancen hätte noch die Einführung einer Gehaltsobergrenze, wie sie auch DFL-Geschäftsführer Seifert ins Spiel brachte. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, müsste hierzu aber ein Konsens auf europäischer Ebene erzielt werden. Doch dies ist angesichts der wirtschaftlich schweren Zeiten in der Pandemie eher unwahrscheinlich.

Einstweilen wird es für viele Clubs also ein Tanz auf der Rasierklinge bleiben, immer in der Hoffnung, dass die Fans bald wieder in voller Zahl in die Stadien strömen dürfen, TV-Gelder weiter zuverlässig sprudeln und sich im Fall der Fälle ein potenter Investor findet, der einem in Schieflage geratenen Verein kurzfristig auf die Beine hilft. Bestätigt sich diese Hoffnung nicht, stehen am Ende nicht nur Funktionäre, Investoren und Spieler der Pleiteclubs im Abseits, sondern vor allem auch deren Anhänger.

Björn Wenninger, Senior Manager bei Berg Lund & Company

Im zweiten Teil dieser kleinen Serie beleuchtet der Autor die Rolle der Banken bei den Bundesligaclubs.

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