Warum Investoren auch in Krisenzeiten über den Tellerrand schauen sollten

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Manchmal lohnt sich ein Perspektivwechsel, auch bei der Geldanlage. In Zeiten des Wandels blicken viele Investoren auf alt bewährte Regionen und Unternehmen. „Das kann ein schwerer Fehler sein“, sagt Dan Suzuki, Deputy CIO bei Richard Bernstein Advisors, Partner im Netzwerk von iMGP. Wie sein Rat für US-Investoren lautet – der auch für deutsche Anleger nicht verkehrt sein dürfte.

Häufig zieht es Anleger in Krisenzeiten in die heimischen Märkte wie in ein Schneckenhaus. Auch die US-Anleger werden immer häufiger vor Investitionen außerhalb der USA gewarnt – eine dramatische Kehrtwende gegenüber der vorherrschenden Meinung vor zehn Jahren. Damals hieß es, durch eine einseitige Ausrichtung auf das eigene Land und fehlendes Engagement im langfristigen Wachstumsmotor der Welt, den Schwellenländern, sei ihnen viel Rendite entgangen. Heute lautet die Botschaft wieder, die internationalen Industrieländer hätten von Natur aus niedrigere Renditen als die USA, während in den Schwellenländern die höheren Renditen die zusätzlichen Risiken nicht rechtfertigen. Angesichts der Performance der letzten zwei Jahrzehnte kann man diese Aussage zugegebenermaßen keinem verübeln. Diese Logik hinkt jedoch: 

  1. Langanhaltende Phasen bedeutender regionaler Outperformance haben in der Vergangenheit zehn Jahre oder länger gedauert. 20 Jahre klingt zwar nach viel, umfasst aber lediglich zwei solcher Phasen. 
  2. Eine Analyse der längerfristigen Geschichte zeigt: Opportunistische Rotationen zwischen den großen Regionen können die potenziellen Renditen drastisch verbessern. 
  3. Man muss auch die grundlegenden Faktoren berücksichtigen, die hinter den Phasen der schlechteren oder besseren Performance stehen und was diese Faktoren heute bedeuten.

US-Aktien immer noch hoch bewertet

Außerhalb der USA gibt es Dutzende von Aktienmärkten mit vielen verschiedenen Chancen, aber auch Risiken. Daher ist stets Selektivität geboten. Besonders jedoch was die Bewertungen angeht – einen der wichtigsten Anhaltspunkte für langfristige Renditen – sind die Märkte außerhalb der USA vielversprechend. Zwar sind auch in den Vereinigten Staaten die Bewertungen gesunken, doch der Aufschlag gegenüber dem Rest der Welt liegt immer noch auf einem der historisch höchsten Niveaus, und kaum ein anderer Markt wird für das mehr als 11-fache der erwarteten Gewinne gehandelt. 

Anleger neigen dazu, auf der Grundlage vergangener Erfahrungen zu investieren und fokussieren sich auf die Gewinner der Vergangenheit. Dabei kam es in der Geschichte äußerst selten vor, dass eine Region alle anderen über mehrere Marktzyklen hinweg übertraf. Der Bärenmarkt in diesem Jahr signalisiert, dass wieder ein Wechsel ansteht – und Anleger sollten sich unserer Meinung nach davor hüten, überstürzt in alte Gewinner zu investieren. 

Ein globaler Blick lohnt sich

Wir haben die kumulierten und annualisierten Gesamtrenditen für den MSCI World Index (ohne Schwellenländer), die USA, die internationalen Industrieländer und die Schwellenländer seit 1969 aus der Sicht eines US-Anlegers untersucht. Dabei konnten wir vier Regionen identifizieren, die in ihrer Performance über einen längeren Zeitraum hinweg führend waren. Die Daten zeigen: 

  1. Die besten Anlagechancen liegen nicht immer in den USA
  2. Zeigt eine bestimmte Region eine Zeitlang eine starke Outperformance, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie in den nachfolgenden Zyklen deutlich schlechter abschneidet.

Hätte ein Anleger 1969-1989 alle internationalen Aktien der Industrieländer, 1989-1999 alle US-Aktien, 1999-2010 alle Schwellenländeraktien und ab 2010 alle US-Aktien gehalten, betrüge die kumulative Rendite fast 200.000 Prozent – das ist eine annualisierte Rendite von fast 16 Prozent. Eine Investition in ausschließlich US-Aktien im gleichen Zeitraum hätte deutlich niedrigere kumulierte Renditen erwirtschaftet, auch wenn diese mit 12.000 Prozent (fast 10 Prozent jährlich) immer noch beeindruckend wären. Dieses Beispiel ist bewusst extrem, doch es verdeutlicht die immensen Opportunitätskosten, die entstehen, wenn man den Rest der Welt ignoriert. 

Und die letzten werden die ersten sein

Doch woher kommt die Outperformance? Überraschung: Fundamentaldaten! Wir betonen stets, wie wichtig Unternehmensgewinne, Liquidität und Anlegerstimmung für Anlageentscheidungen sind. Jedes Mal, wenn eine Region langfristig alle anderen überholte und die höchsten Renditen bot, hatte sie das schnellste Gewinnwachstum. In den meisten Fällen handelte es sich auch um eine Region, die kaum von Anlegern beachtet oder bei ihnen unbeliebt geworden war, ein Umstand, der sich in den günstigsten Bewertungen niederschlug. 

Anleger, die versuchen, sich für die nächste mögliche regionale Rotation zu positionieren, sollten bedenken: Die Bewertungsprämie von US-Aktien gegenüber dem Rest der Welt hat kürzlich den höchsten Stand seit 1973 erreicht. Um angesichts dessen eine Outperformance zu erzielen, muss das Gewinnwachstum schon enorm sein. Wenn also die Zuversicht, dass das Gewinnwachstum in den USA das der übrigen Welt in den Schatten stellen wird, sich in Grenzen hält, ist es an der Zeit, den Horizont zu erweitern. 

Die US-Wirtschaft heute

Was sind die wichtigsten Stärken und Schwächen der heutigen US-Wirtschaft? In der Wirtschaft findet derzeit ein Tauziehen statt. Einerseits verfügen die US-Haushalte über solide Bilanzen und profitieren von einem der angespanntesten Arbeitsmärkte der Geschichte. Außerdem besteht ein gewisser Nachholbedarf an Reisen und Dienstleistungen, da sich die Wirtschaft erholt. Andererseits schwächen sich die Bilanzen ab: Der Wert der Investitionen sinkt, die Verbraucher bauen ihre Ersparnisse ab und nehmen mehr Schulden auf. Zusätzlich hat sich das Beschäftigungswachstum mittlerweile verlangsamt, und die Budgets der Haushalte geraten durch die höchste Inflation seit 40 Jahren unter Druck. 

Kurzfristig dürften die hohen Ersparnisse der Haushalte, das angemessene Lohnwachstum und der Nachholbedarf einen zu starken Rückgang der Verbraucherausgaben verhindern. Längerfristig könnten die Verlangsamung der Weltwirtschaft, der anhaltende Inflationsdruck und die restriktivere Geldpolitik jedoch dazu führen, dass der Abschwung länger anhält, als die Menschen erwarten. 

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