Erneuerbare Energien: Stillstand ist keine Option

Foto: Carsten Dammann
Jörg Busboom, Ökorenta

Die Politik verleiht der Energiewende viel Rückenwind – zumindest wenn es darum geht, sich zu den notwendigen Maßnahmen zu bekennen. Geht es an die Umsetzung, wird indes aus dem Rückenwind schnell ein heftiger Gegenwind. Warum sich das schellstmöglich ändern muss. Ein Gastbeitrag von Jörg Busboom, Geschäftsführer von Ökorenta.

Es war der englische Ingenieur John Smeaton, der 1759 erstmals Windstärken in einer Tabelle festhielt, und zwar charakterisiert durch ihren Effekt auf Windmühlenflügel. Eine Brise beschrieb er zum Beispiel so: „Äste eines Baums bewegen sich, ein Mühlenflügel legt pro Minute sechs bis neun Umdrehungen zurück“.

Ein Orkan, notierte er, „reißt Bäume aus und zerstört Gebäude“. Damit legte er die Grundlagen für die Beaufortskala, wie wir sie heute kennen, benannt nach seinem britischen Landsmann Francis Beaufort, der die Skala später für die Zwecke der Seefahrt verfeinerte.

Würde man die zwölf Windstärken, die in der Beaufortskala definiert sind, auf die politischen Rahmenbedingungen in der deutschen Wind­­energiewirtschaft anwenden, müsste man feststellen: Nahezu Windstärke 12, was die Bekenntnisse zum Klimaschutz betrifft. Stürmisch werden quer durch die Parteien und Fraktionen sowie auf allen politischen Ebenen – ob in den Kommunen, in den Ländern oder im Bund – entschlos­senere Maßnahmen für die angestrebte Energiewende gefordert.

Sobald es aber an den konkreten Ausbau der Windenergie geht, vernimmt man allerorten nur noch ein leises Säuseln. Erneuerbare Energien? Ja bitte, aber nicht vor meiner Haustür.

Der CO2-Countdown läuft

Diese Kluft ist besorgniserregend. Denn viel Zeit bleibt nicht mehr, um den politischen Lippenbekenntnissen endlich Taten folgen zu lassen. Das Pariser Klima­schutzabkommen vom Dezember 2015 steckt ein klares Ziel: Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius. Im Umsetzungsabkommen von Kattowitz 2018 hat die „Koali­tion der Ehrgeizigen“, der sich auch Deutschland angeschlossen hat, erklärt, die freiwilligen Anstrengun­gen der Unterzeichnerstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgase sogar übertreffen zu wollen.

Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin zeigt auf seiner Website eine CO2-Uhr (www.mcc-berlin.net). Die Uhr beruht auf den derzeit möglichen Schätzungen und birgt gewisse Unwägbarkeiten, verdeutlicht aber gleichwohl sehr plakativ den Ernst der Lage: Aktuell bleiben noch knapp sieben Jahre, um die globalen CO2-Emmisionen soweit zu reduzieren, dass das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann. Bis 2030 dürften dafür weltweit pro Jahr höchstens noch rund 18 Gigatonnen CO2 ausgestoßen werden. Tatsächlich ist es mehr als das Doppelte – Tendenz steigend.

Hochdruck ist angesagt

Mit Hochdruck wäre also die Energiewende voranzutreiben. Stattdessen präsentiert sich auch die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vom 23. September dieses Jahres als energiepolitisches Tiefdruckgebiet: Nichts als heiße Luft. Zwar werden die Erneuerbaren in den Rang des „öffentlichen Interesses“ erhoben, aber bei den Planungen zur Deckung des Ener­gie­bedarfs wird den fossilen Energieträgern weiter klar Vorrang eingeräumt. Auch 2030 werden demnach noch immer gut zwei Drittel unserer Energie aus fossilen Brennstoffen stammen. Wer dafür bei der Jugend einen Shitstorm erntet, muss sich nicht wundern.

Nicht allein die ökologischen Folgen dieser Politik sind desaströs, die ökonomischen genauso. In Aurich, wo auch unser Unternehmen beheimatet ist, lässt sich dies unmittelbar beob­achten. Einer der führenden Hersteller von Windenergieanlagen in Deutschland befindet sich aufgrund der politisch verursachten Flaute in seinem Heimat­markt in einem tief­greifenden Umstrukturierungsprozess, der mehrere Tausend Menschen ihre Arbeitsstelle kosten könnte.

Als einer der führenden Anbieter für Sachwertkapitalanlagen in Erneuerbaren Energien haben wir bei Ökorenta bereits auf den in Deutschland erlahmenden politischen Rücken­wind reagiert und unsere internationalen Beteili­gungskonzepte angepasst: Machte die Solarenergie bis vor kurzer Zeit nur rund zwei Prozent unserer Investments aus, so sind es inzwischen bereits 20 bis 30 Prozent.

Eine strategische Entscheidung im Interesse unserer Anleger. Sollten sich die Investoren allerdings vermehrt aus dem Inland zurückziehen und stattdessen im Ausland engagieren, könnte der „Trudelbetrieb“ beim Ausbau des deutschen Onshore-Windenergie­marktes durch das fehlende Kapital zum Dauerzustand werden.

Repowering der Rahmenbedingungen

Noch vor zehn bis 15 Jahren herrschten in Deutschland nahezu ideale Bedingungen für die Energiewende durch Windenergie. Unter anderem schufen garantierte Einspeisepreise und Vorzugseinspeisung ideale Voraussetzungen für Anbieter, Verbraucher und Kapitalanleger. Viele der Alter­na­tiven, die heute von der Politik vorangetrieben werden, wie etwa Gas, beeinträchtigen hingegen nicht nur das Klima, sondern darüber hinaus die Energieunab­hängig­keit unseres Landes.

Der „Auricher Appell“, den Ende September neben Enercon auch der regionale Stromver­sorger EWE, Gewerkschaften sowie die Stadt und der Landkreis Aurich unterzeichnet haben, zielt daher in die richtige Richtung: 1. Onshore-Windkraft muss deutlich weiter aus­ge­baut werden als in der EEG-Novelle vorgesehen.

2. Planungs- und Genehmigungsverfah­ren müssen vereinfacht und beschleunigt werden, auf der Grundlage klarer Regeln für den Natur- und Artenschutz. Dies betrifft auch das sogenannte Repowering, also den Ersatz bestehender Anlagen durch neue, meist leistungsstärkere Nachfolgemodelle.

3. Bürger und Kommunen sollten stärker einbezogen werden und von den Windenergieanlagen in ihrer Umgebung künftig auch finanziell stärker profitieren, um deren Akzeptanz zu erhöhen.

In diesem Sinne ist insbesondere ein Repowering der politischen Rahmenbedingungen zu fordern. Das erklärte Ziel heißt maximal +1,5 Grad Celsius. Dieser grundsätzlichen Entscheidung sollten Partikularinteressen untergeordnet werden. Dies bei den Wählern durchzusetzen, erfordert zugegebenermaßen Mut. Insbesondere den Mut, einzelnen Interessen- und Wählergruppen für das angestrebte Ziel auch einmal Paroli zu bieten.

Erforderlich sind für alle Markteilnehmer im Segment Windenergie Kontinuität und Berechenbarkeit – das muss die Politik umsetzen! Konstante sechs bis sieben Beaufort politischer Goodwill sozusagen – bei diesem Antrieb bringen die meisten modernen Anlagen ihre maximale Leistung. Apropos: Die Beaufortskala kennt 12 Windstärken und 13 Stufen. Stufe null, die Windstille, bleibt meist unerwähnt. Vermutlich, weil Stillstand noch nie eine zielführende Option war.

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