Nachhaltigkeit: Aus Kür wird Pflicht

Foto: Shutterstock

Elf führende Experten aus dem Sektor der Sachwertanlagen diskutierten auf dem 10. Cash.-Branchengipfel über Gegenwart und Zukunft der Anlageklasse. Über Märkte und Produkte, Vertrieb und Digitalisierung. Ein Thema stach heraus: Die neuen Vorschriften zur Nachhaltigkeit.

Es war ein Jubiläum der besonderen Art: Der 10. Cash.-Branchengipfel Sachwertanlagen stand ganz im Zeichen von Corona – nicht nur inhaltlich, sondern auch organisatorisch. Erstmals wurde der Branchengipfel nicht als Präsenzveranstaltung durchgeführt, sondern digital. Das Datum ließ keine andere Wahl: 11. November 2020, also gut eine Woche nach Beginn des zweiten (Teil-) Lockdowns in Deutschland.

Während in Köln, Mainz und anderen Karnevals-Hochburgen der sonst bunte und fröhliche Auftakt der fünften Jahreszeit im Wesentlichen ausfiel und allenfalls einige versprengte Jecken einzeln durch die tristen Straßen zogen, saßen neun Vertreter aus dem Lager der Anbieter, ein Vertriebsexperte sowie eine Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin vor ihren Rechnern und diskutierten via Videokonferenz mit Cash. sowie untereinander.

Zwei Panels und zwei Videos

Um allen Experten ausreichend Redezeit zu ermöglichen, war die Diskussion geteilt in zwei getrennte Panels mit sechs beziehungsweise sieben Teilnehmern und grundsätzlich gleicher Agenda. Richtig gerechnet: Das kommt mit elf nicht hin. Doch Martina Hertwig (Baker Tilly) als führende Fachfrau für alle Regulierungs- und Steuerfragen sowie Helmut Schulz-Jodexnis (Jung, DMS & Cie.) als „Stimme des Vertriebs“ nahmen an beiden Panels teil. Themenblock 1: Märkte und Produkte, Themenblock 2: Ver- trieb und Digitalisierung.

Der dritte Teil des Branchengipfels waren die „TV- Runden“. Sie bestehen in diesem Jahr daraus, dass dieser Teil der Video-Konferenz jeweils aufgezeichnet und ins Netz gestellt wurde. In den beiden TV-Runden beant- worten die Experten auch Fragen von Cash.-Lesern, die diese im Vorfeld gestellt hatten. Sie finden die Videos auf Cash.Online (direkt zu www.cash-online.de/10- cash-branchengipfel-sachwertanlagen oder über die Startseite mit Klick auf den Banner „10. Cash.-Branchengipfel“ oder im Footer unter „Mehr Cash.“). Dort sind von beiden Panels die TV-Runden in voller Länge sowie erstmals für jeden Teilnehmer ein einzelnes Video mit seinen Antworten und Statements abgelegt und für jedermann kostenlos anzusehen.

Digitalisierung und Corona sind beherrschende Themen

Inhaltlich stach auf dem Branchengipfel neben den Auswirkungen von Corona auf die jeweiligen Zielmärkte und Produkte, der Digitalisierung sowie den Herausforderungen für den Vertrieb vor allem ein Stichwort heraus, dessen Bedeutung bislang offenbar von vielen unterschätzt wird: Nachhaltigkeit. Dieses Thema wird vielfach noch immer belächelt und gilt allenfalls als „nice to have“. Doch es besteht dringender Handlungsbedarf, denn schon sehr bald wird aus der Kür Pflicht:

Die Offenlegungsverordnung kommt

Bereits im März 2021 tritt die „Offenlegungsverordnung“ der EU in Kraft. Dann muss (unter anderem) in allen Prospekten von Kapitalanlagen offen gelegt – also beschrieben – werden, inwieweit die Anbieter und Produkte bestimmte Nachhaltigkeitsansprüche in Bezug auf Umwelt (Environment), Sozialstandards (Social) und Unternehmensführung (Governance) erfüllen, zusammen kurz „ESG“. Dazu gibt es eine „Taxonomie“, mit der die Maßstäbe europaweit einheitlich und vergleichbar definiert und aufgedröselt werden, zunächst hauptsächlich im Bereich „Environment“. Die Detailvorschriften („Level 2“) fehlen noch. Trotzdem müssen bis spätestens März 2021 die Vertriebsunterlagen entsprechend angepasst werden, auch wenn die Anbieter erst einmal etwas improvisieren müssen. „Kein Anbieter wird sich dem entziehen können“, sagte Martina Hertwig auf dem Branchengipfel. Es sei „wirklich Zeit“, sich damit zu beschäftigen.

Nachhaltigkeit wird Top-Thema 2021

Schon die Aufnahme in die Prospekte wird das Thema der Nachhaltigkeit noch stärker in das Bewusstsein der Anleger hieven. Voraussichtlich ab Ende 2021 ist dann auch der Vertrieb verpflichtet, die ESG-Kriterien in die Geeignetheitsprüfung und den „Zielmarktabgleich“ einzubeziehen, also in das Matching der Kundenvorgaben mit den Produkteigenschaften. Ähnlich wie bei den Risikoklassen scheiden dann bestimmte Produkte schlicht aus, wenn sie nicht den ESG-Präferenzen des Anlegers entsprechen. Das wird die Vertriebspraxis wahrscheinlich nochmals spürbar verändern. Trotzdem ist das Thema ESG dort – jedenfalls im Publikumsvertrieb – anscheinend noch nicht angekommen. Wer das alles nicht glaubt, sollte die Experten- Diskussion auf den nächsten Seiten aufmerksam lesen.

ESG-Kriterien im Fokus

Die Offenlegungsverordnung verpflichtet die Anbieter zu beschreiben, inwieweit ihr Produkt den ESG-Kriterien entspricht, aber nicht dazu, sie zu erfüllen. Das ist zunächst sicherlich lästig, aber zu fürchten braucht sich die Branche vor ESG ansonsten eigentlich nicht. Im Gegenteil: Sie hat einiges vorzuweisen, etwa durch nachhaltiges und energieeffizientes Bauen oder die (auch) energetische Sanierung bestehender Gebäude, im Bereich der Erneuerbaren Energien ohnehin. Zudem sind vor allem zur Erreichung der Klimaziele Milliarden-Investitionen ohne Ende notwendig, die auch durch entsprechende Sachwert-Emissionen inklusive Dachfonds aufgebracht werden können. ESG kann also durchaus auch zu einem neuen Schub für die Branche führen, wenn die Häuser das Thema für ihre Produkte und für sich selbst konsequent umsetzen.

Corona-Bilanz der Asset Manager

Zunächst allerdings steht Corona im Vordergrund. Bisher ist die Branche recht gut durch die Krise gekommen. So berichteten die Experten auf dem Branchengipfel nahezu unisono von stabilen Zielmärkten und einem Produktabsatz auf Vorjahresniveau oder sogar darüber. Stefan Lammerding, Geschäftsführer der Dr. Peters Group, erklärte zudem, wie er die bestehenden Hotelfonds des Unternehmens stabilisiert hat und was aus dem risikogemischten Hotel-AIF von Dr. Peters wird, der in der ersten Märzhälfte von der BaFin genehmigt worden war, dessen aktiver Vertrieb dann aber wegen Corona gar nicht erst gestartet wurde.

Reaktionen des Vertriebs

Helmut Schulz-Jodexnis berichtete indes aus der Vertriebspraxis, dass vor allem langlaufende alternative Investmentfonds (AIFs) sich derzeit nur schwer platzieren lassen. Zudem gibt es demnach einen Trend weg von Eigenkapitalplatzierungen wie den AIFs, die dem Anleger mittelbar Eigentum an den Sachwerten bieten, hin zu Fremdkapitalprodukten, die lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch vermitteln, der zudem in der Regel durch einen festen oder einen maximalen Zinssatz „gedeckelt“ und auch von der Bonität des betreffenden Emittenten abhängig ist.

Neuemissionen in 2020

Das schlägt sich auch im aktuellen Produktangebot nieder. Nach der jüngsten Cash.-Erhebung ist die Zahl Sachwertanlagen, die Privatanlegern Anfang des vierten Quartals 2020 zur Zeichnung zur Verfügung standen, gegenüber dem Vorjahr erneut leicht zurückgegangen (siehe Cash.-Ausgabe 11/2020). Die Anzahl der Neuemissionen in den ersten neun Monaten 2020 war gegenüber dem Vorjahreszeitraum insgesamt stabil und hat im Bereich der Prospekte nach Vermögensanlagengesetz sogar spürbar zugelegt.

Bis zum 30. September sind nach der Recherche von Cash. 18 neue Publikums-AIFs auf den Markt gekommen. Das ist ein Fonds weniger als im Vorjahreszeitraum. Bei Vermögensanlagen-Emissionen hatte die Finanzaufsicht BaFin im vergangenen Jahr eine verschärfte Gangart angekündigt. Umso überraschender ist, dass sich die Anzahl der neuen Vermögensanlagenprospekte in den ersten neun Monaten 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum fast verdoppelt hat: Sie stieg von 14 auf 27 Emissionen, die im amtlichen Bundesanzeiger ihren Vertriebsstart angezeigt haben (anders als bei AIFs ist das bei Vermögensanlagen gesetzlich vorgeschrieben, bevor der Vertrieb beginnen darf).

Inklusive noch nicht voll platzierter Emissionen aus dem Vorjahr konnten Anleger und Vertrieb zum Start des vierten Quartals 2020 zwischen 49 Sachwertanlagen auswählen. Damit ist das Angebot gegenüber dem Vorjahreszeitpunkt nochmals leicht zurückgegangen. Ende September 2019 hatte Cash. noch 52 Emissionen im Vertrieb gezählt. Erneut nicht berücksichtigt sind dabei Vermögensanlagen in Bürgerwindparks oder -solaranlagen und ähnliche Emissionen, die nur lokal angeboten werden und überregional nicht zur Verfügung stehen. Allein in den ersten neun Monaten 2020 sind 15 solche Vermögensanlagen, die teilweise noch nicht einmal über eine Website verfügen, im Bundesanzeiger inseriert worden. Das relativiert auch die hohe Zahl an neuen Vermögensanlagenprospekten.

AIF führen vor den Vermögensanlagen

So liegen bei den aktuell angebotenen Emissionen mit überregionaler Bedeutung weiterhin klar die Fonds vorne. 36 der 49 zur Zeichnung offenen Sachwertanlagen sind Publikums-AIFs, also fast 75 Prozent. Gut die Hälfte davon stammt noch aus 2019 oder davor. Lediglich 13 der aktuellen Angebote für den breiteren Vertrieb wurden nach dem Vermögensanlagengesetz konzipiert. Darunter fallen vier unternehmerisch aktive KG-Beteiligungen (inklusive dem amerikanischen Pendant L.P.), drei Nachrangdarlehen und sowie jeweils zwei Direktinvestments, Namensschuldverschreibungen und stille Beteiligungen.

Dominanz der Assetklasse Immobilie ausgebaut

Bezüglich der Assetklassen hat die Dominanz der Immobilien gegenüber dem Vorjahr sogar noch von 50 auf rund 61 Prozent der aktuellen Emissionen zugelegt. Davon investieren 18 nur oder überwiegend in Deutschland. Immerhin sieben der Offerten entfallen auf US- Beteiligungen. Das Angebot in den anderen Assetklas- sen ist indes spürbar geschrumpft: Um ein Drittel auf insgesamt lediglich 19 Emissionen, die aktuell zur Zeichnung offen stehen. Dazu zählen sechs Multi-Asset- Konzepte sowie sieben „sonstige“ Emissionen. Hinzu kommen vier Private-Equity- und nur zwei Fonds aus der Branche der Erneuerbaren Energien.

Reform des EEG

Letztere hatten zuletzt nicht in erster Linie mit Corona zu kämpfen, sondern mit einer Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) in Deutschland im Jahr 2017, die durch neu eingeführte Ausschreibungsverfahren den Zubau neuer Anlagen – vor allem Windräder an Land – erschwerte. Nun soll das EEG erneut reformiert werden. Das Gesetzgebungsverfahren ist im Gange. Schon jetzt kündigte Thorsten Eitle, CEO der auf Solaranlagen spezialisierten Hep, auf dem Cash.-Branchengipfel an, dass er – zunächst über Spezialfonds – auch wieder Projektentwicklungen in Deutschland aufgenommen hat. Zuletzt hatte sich das Unternehmen nur in den USA und Japan engagiert.

Es ist anzunehmen, dass weitere Unternehmen mit Erneuerbare-Energien-Emissionen in die Branche zurückkehren oder sich dort neu positionieren. Dafür spricht neben dem neuen EEG auch, dass solche Angebote in einem anderen Punkt sicher weiterhin einen Startvorteil haben: Beim Thema der Nachhaltigkeit.

Autor: Stefan Löwer, Cash.

Dieser Artikel stammt aus dem Cash.Extra zum Branchengipfel, das der aktuellen Cash.-Ausgabe 1/2021 beiliegt.

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments