Wachstumstreiber fehlender Freiraum

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Durch die Coronakrise haben viele Immobilieneigentümer einen Veränderungsbedarf him zu mehr Wohnraum ermittelt.

Mit bangem Blick ging die Immobilien- und Baufinanzierungsbranche im März in den ersten Corona-Lockdown. Auch wenn die Pandemie wohl noch lange nicht beendet ist, hat sie sich auf diese beiden Segmente weit weniger dramatisch ausgewirkt als befürchtet.

ls im Frühjahr das öffentliche und private Leben weitestgehend heruntergefahren wurde, ging eine ganze Reihe von Branchen in den Notfallbetrieb, allen voran der Restaurant- und Hotelsektor und die Reise- und Flugbranche. Und auch für die Immobilienbranche waren die Prognosen nicht rosig. Geblieben ist davon nicht viel. Zumindest wenn man auf das Segment der Wohnimmobilien blickt, das sich laut IVD Research sehr stabil gezeigt hat und immer noch zeigt. Auf Basis der Daten aus dem ersten Halbjahr 2020 haben die Analysten drei deutliche Trends ermittelt. Erstens: Die Mietpreise steigen bundesweit nur noch im Rahmen der Inflationsrate.

Zweitens: Eigentümer können sich über einen deutlichen Wertzuwachs ihrer Wohnung beziehungsweise ihres Hauses freuen. Dies ist besonders bei Einfamilien- und Reihenhäusern der Fall.

Drittens: Die Kauf- und Mietpreise in Sachsen-Anhalt entwickeln sich stärker als im Bundesdurchschnitt. Die Werte für Bestandswohnungen mit mittlerem Wohnwert stiegen im bundesweiten Durchschnitt deutlich mit 7,5 Prozent (2019: plus 8,3 Prozent). Der durchschnittliche Kaufpreis liegt aktuell bei rund 2.330 Euro je Quadratmeter. In den Top-7-Städten fiel der Wertzuwachs mit 8,8 Prozent weiterhin stärker aus als im bundesweiten Durchschnitt. Aber auch dort zeigt sich ein leichtes Abflachen der Preiskurve (2019: plus 10,4 Prozent).

Wohnungsmarkt robust

Dagegen hat sich der bundesweite Wertzuwachs für Einfamilienhäuser erhöht. Im Bestand mit mittlerem Wohnwert stiegen die Preise um 8,5 Prozent (2019: plus 6,6 Prozent) auf 417.000 Euro im bundesweiten Durchschnitt. Diese positive Entwicklung zeigt sich in diesem Jahr besonders in den Mittel- und Kleinstädten. „Der Wohnungsmarkt in Deutschland zeigt sich etwas weniger dynamisch als im Vorjahr, aber weiterhin sehr robust.

Keine größeren Corona-Effekte

Größere Corona-Effekte sind nicht festzustellen. Die hohe Kauf- preisdynamik belegt das anhaltend große Interesse nach Wohneigentum. Auffällig sind in diesem Jahr die positive Entwicklung bei Einfamilienhäusern und der Trend, vermehrt ins Umland ziehen zu wollen. Beides profitiert von der Corona-Krise. Junge Familien mit Kindern suchen sich mehr Freiraum und Sicherheit in den ländlicheren Regionen. Mit Homeoffice und flexibleren Arbeitsplatzmodellen erspart man sich Pendlerzeiten. Offensichtlich nimmt diese Verschiebung der Wohnungsnachfrage auch Druck von den Wohnungsmieten“, sagt Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienverbandes IVD.

Stadtflucht kein Thema

Dass es aufgrund von Corona tatsächlich zu einer Stadtflucht kommt, wie oft gemutmaßt, kann zumindest Immoscout24 laut einer aktuellen Erhebung nicht bestätigen. Nach einem Rückgang der Kontaktanfragen im März 2020, erholten sich die Werte deutschlandweit in wenigen Wochen und über alle Segmente hinweg. Starke Nachholeffekte zeigten sich – sowohl auf dem Land als auch in der Stadt – im Juni 2020. Im Vergleich zum Vorjahr gingen auf Immoscout24 für Eigentumswohnungen auf dem Land 40 Prozent und in der Stadt 38 Prozent mehr Kontaktanfragen ein.

Bei Häusern zum Kauf auf dem Land verzeichnete ImmoScout24 im Juni 2020 ein Plus von 36 Prozent, beim Pendant in der Stadt ein Plus von 28 Prozent. Seit August haben sich die Nachfragewerte wieder eingependelt und lagen auf oder leicht über dem Vorjahresniveau. „Der Immobilienmarkt verändert sich nicht von heute auf morgen. Die vielfach vorhergesagte Stadtflucht blieb bislang aus. Vor allem Mietimmobilien in der Stadt sind weiterhin begehrt – und werden es voraussichtlich bleiben.

Denn auch wenn zwischenzeitlich die Menschen verstärkt nach Kurzvermietungen auf dem Land gesucht haben, heißt das noch nicht, dass sie der Stadt den Rücken kehren und ihren Lebensmittelpunkt aufs Land verlegen. Es spricht vieles dafür, dass die Reisebeschränkungen dazu geführt haben, dass sich Menschen innerhalb Deutschlands nach Alternativen umgeschaut haben. Als sich im August und September die Lage normalisierte, pendelten sich auch die Nachfrage-Ausschläge wieder ein“, so Dr. Thomas Schroeter, Geschäftsführer von Immoscout24.

Veränderungen des eigenen Wohnumfelds

Und trotzdem hat Corona zu einer Veränderung geführt, die wohl besonders von Baufinanzierern und Banken mit viel Wohlwollen betrachtet wird. „Nach unseren Erkenntnissen beschleunigt sich die Nachfrage nach den eigenen vier Wänden sogar noch. Laut einer aktuellen Umfrage der BHW Bausparkasse ist die eigene Immobilie als Sicherheits- und Ruhepol für viele jetzt immens wichtig. Zudem meistern Immobilieneigentümer eine Krise wie diese bei weitem besser als Mieter“, so Harald Amendt, Geschäftsführer von Starpool.

Laut BHW haben fast doppelt so viele Mieter wie Eigentümer (19 Prozent zu 10 Prozent) ihre Wohnsituation während des Corona-Lockdowns als belastend empfunden. Besonders gestört hat 31 Prozent der Mieter und 20 Prozent der Eigentümer, dass sie kaum Kontakt zu ihren Nachbarn halten konnten. 15 Prozent der Bewohner von Mietwohnungen vermissen Grün rund ums Haus, gegenüber drei Prozent der Haus- und Wohnungsbesitzer.

Fehlender Platz ist Nachfragetreiber

Vielen Berufstätigen mangelt es an Platz für ein Homeoffice – dies hat 13 Prozent der Mieter, aber nur drei Prozent der Eigentümer zu schaffen gemacht. Wer nicht in eigenen vier Wänden lebt, klagt laut den Ergebnissen der Erhebung häufiger über fehlende Rückzugsmöglichkeiten. Unter den Mietern fehlt Frauen doppelt so häufig wie Männern (23 Prozent zu 10 Prozent) persönlicher Freiraum für sich. „Je beengter die Wohnverhältnisse, desto größer der Wunsch nach Unabhängigkeit und individuellen Gestaltungsmöglichkeiten“, stellt Henning Göbel, Vorstandsvorsitzender der BHW Bausparkasse, fest. Dies gilt vor allem für die jüngeren Deutschen bis 40 Jahre, von denen aktuell 69 Prozent zur Miete wohnen. 38 Prozent nehmen sich unter dem Eindruck der Krise vor, Wohneigentum zu erwerben.

Kein Einbruch im Bausektor

Damit einhergehend hat auch der Bausektor keinen Einbruch erlebt. Im Gegenteil: „In unmittelbarer Nähe meines Wohnorts gibt es ein Neubaugebiet. Dort hat aber die Bautätigkeit auch in den Wochen nach Beginn der Pandemie eher zu- als abgenommen. Das war für mich einer der sichtbaren Indikatoren dafür, dass der Markt sich weiter auf dem bestehenden Niveau mindestens stabilisiert. Es gab mal zwei, drei Wochen, in denen es etwas ruhiger war, aber danach ist die Finanzierungstätigkeit wieder hoch gegangen“, weiß Thomas Hein, Leiter Immobilienfinanzierung bei ING Deutschland.

Wie es in den kommenden Wochen weitergeht, kann niemand seriös vohersagen. Zum Redaktionsschluss wurde erneut heftig über neue Lockdowns diskutiert. Ob die Baufinanzierungs- und Immobiliensegmente dann auch wieder stabil daraus hervorgehen, hängt sicherlich auch von der individuellen wirtschaftlichen Situation der Deutschen ab. Würde Kurzarbeit und anderer Support den Arbeitsmarkt erneut wirksam entlasten, könnte es erneut eine hohe Zahl von Bauwiligen geben, die sich den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen wollen.

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