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Nachfolge in Finanzvertrieben: Wenn Vertrauen zur wichtigsten Währung wird

Thorsten Luber
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Thorsten Luber

In kaum einer anderen Branche ist die Nachfolge so persönlich wie in Finanzvertrieben. Wenn Inhaber ihr Lebenswerk übergeben, geht es nicht nur um Zahlen oder Verträge, sondern um gewachsene Beziehungen, Vertrauen und Kultur. Warum dieser Prozess Fingerspitzengefühl und Zeit braucht. Gastbeitrag von Thorsten Luber, Luber Consulting

In Finanzvertrieben hängt der Erfolg oft weniger von Produkten oder Märkten ab als vielmehr von Menschen – meistens sogar nur von einem Menschen: dem Inhaber. Viele dieser Betriebe sind auf den Eigentümer persönlich zugeschnitten. Über Jahre oder gar Jahrzehnte hat er als Persönlichkeit ein Netzwerk und entsprechendes Vertrauenskapital aufgebaut. Wenn der Betrieb übergeben werden soll, wird genau das zur Herausforderung.

Denn: Finanzvertriebe müssen mehr als nur den Besitz übergeben – sie müssen eine Identität übertragen. Nicht Maschinen, Anlagen und Bilanzen stehen im Fokus, sondern Reputation und Vertrauen. Die Kundenliste ist keine Datei, sondern ein Sammelsurium gemeinsamer Geschichten. In kaum einer anderen Branche werden derart intime Details besprochen. Genau diese Intimität macht eine Unternehmensnachfolge kompliziert. Die bestehenden Netzwerke können helfen, einen Käufer zu finden, aber sie sind eben auch das wertvollste Asset.


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Wer eine Nachfolge in einer solchen Konstellation plant, sollte frühzeitig anerkennen, dass Menschen und deren Geschichten im Mittelpunkt stehen. Der Nachfolger muss nicht nur fachlich qualifiziert sein, sondern auch emotional anschlussfähig. Sympathie, Authentizität und Kommunikationsfähigkeit sind mindestens ebenso entscheidend wie betriebswirtschaftliches Know-how. Ein guter Übergang gelingt selten durch rein juristische oder steuerliche Planung – er erfordert Beziehungsarbeit. Nachfolgen sind in Finanzvertrieben durchaus möglich, aber sie erfordern ein ganz anderes Fingerspitzengefühl.

Dazu gehört, dass der scheidende Unternehmer sein Wissen und seine Beziehungen systematisch weitergibt. Viele kleine Finanzvertriebe leben von implizitem Wissen: von Abläufen, Kontakten und Erfahrungswerten, die nie schriftlich fixiert wurden. Eine strukturierte Wissensübergabe, begleitet durch klare Verantwortlichkeiten und ausreichend Zeit, ist deshalb unverzichtbar.

Vertrauen braucht Übergangsphasen

Idealerweise wird der Nachfolger schrittweise eingeführt. Ein gemeinsames Auftreten in der Öffentlichkeit, die begleitete Einführung bei Kunden oder ein sukzessiver Rückzug des Inhabers ermöglichen es, Vertrauen organisch wachsen zu lassen. In der Praxis bedeutet das: Der bisherige Inhaber bleibt oft noch eine ganze Weile beratend tätig oder steht als „Türöffner“ zur Verfügung, bis die neue Führung akzeptiert ist.

Sowohl vor der formalen Übergabe als auch längere Zeit danach ist der Altinhaber gefordert. Ein Rückzug, und sei er noch so sehnsuchtsvoll erwartet, kann erst erfolgen, wenn bei jedem Kunden und bei jedem Partner die Gewissheit gereift ist, beim neuen Eigentümer ebenso gut aufgehoben zu sein wie beim alten. Fehlt diese Gewissheit, kann es gravierende Folgen haben.

Nachfolge ist mehr als Verkauf

Viele Unternehmer – und leider auch viele Nachfolgeberater – betrachten die Nachfolge primär als Verkaufsprozess. Doch die rein finanzielle und administrative Perspektive greift zu kurz. Ein zu hoher Kaufpreis kann den Nachfolger wirtschaftlich überfordern – und damit die Zukunft des Unternehmens gefährden. Dabei muss man wissen, dass gerade Unternehmen, die stark von einer Persönlichkeit abhängen, oft geringere Verkaufspreise erzielen, eben weil menschliche Beziehungen objektiv so schwer zu bewerten sind.

Alternative Bezahloptionen, etwa spätere, nachlaufende Umsatz- oder Gewinnbeteiligungen, parallele Beratungsmandate oder bezahltes Mentoring sind hier denkbare Optionen, die zudem den Alteigentümer weiter an das Unternehmen binden. Gerade Finanzexperten sollten hier in der Lage sein, kreative und tragfähige Lösungen zu entwickeln.

Beziehungen sind ein Schatz, den der Alt-Unternehmer mit dem Käufer gemeinsam heben muss. Umso wichtiger ist, nicht nur eine Unternehmung zu übertragen, sondern vor allem Werte, Kultur und Führungsstile. Das gelingt nur, wenn der Nachfolger zum Unternehmen passt – fachlich, vor allem aber menschlich – und wenn sich der Verkäufer die Zeit nimmt, die dieser Übergang erfordert.

Frühzeitige Planung als Schlüssel

Nachfolge in Finanzvertrieben ist kein Ereignis, sondern ein Prozess. Experten empfehlen, spätestens fünf Jahre vor dem geplanten Rückzug mit der Planung zu beginnen. So bleibt Zeit, geeignete Kandidaten zu finden, steuerliche und rechtliche Fragen zu klären, und vor allem: das Vertrauen aller Beteiligten auf den neuen Kopf des Unternehmens zu lenken.

Unternehmensnachfolge ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben im Mittelstand. Sie verlangt Weitsicht, Empathie und strategisches Denken. Wer sie als Chance begreift, kann nicht nur den Fortbestand seines Lebenswerks sichern, sondern die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens stärken, indem er aus einer starken Persönlichkeit eine starke Organisation formt.

Thorsten Luber ist Diplom-Kaufmann sowie Gründer und Inhaber von Luber Consulting, einer spezialisierten Strategieberatung für den Mittelstand in der DACH-Region. Weitere Informationen unter https://luber-consulting.com.

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