Die Bröning-Kolumne: Nichts ist umsonst

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Tim Bröning, Fonds Finanz

Viele Aktien und Börsensegmente sind bereits hoch bewertet. Warum es jetzt der richtige Zeitpunkt sein kann, diese gegen noch unterbewertete Anlageklassen und Sektoren auszutauschen – und damit das Depot robust aufzustellen.

Die meisten wichtigen Aktienmärkte befinden sich derzeit nahe ihrer Allzeithochs. Getrieben wurden die Börsenkurse von einer Reihe an Faktoren, darunter die Aussicht auf eine weiterhin starke US-Wirtschaft, Zinssenkungserwartungen, KI-Fantasien und vielerorts steigende Unternehmensgewinne. Aufgrund der dadurch ausgelösten Euphorie strömten erneut Gelder in die Aktienmärkte. So reduzierten Fondsmanager laut einer weltweiten Umfrage der Bank of America zuletzt ihre Kassenbestände und erhöhten den Investitionsgrad ihrer Portfolios.

Die Angst der Investoren etwas zu verpassen hat wieder Hochkonjunktur. Die Investitionsquoten der Anleger an den Börsen offenbaren ihre Gier auf weitere Aktiengewinne. Doch auch andere Anlageklassen stiegen an. Der Goldpreis kletterte jüngst aufgrund der strukturellen Notenbanknachfrage und geopolitischen Krisen auf ein Allzeithoch von rund 2.390 US-Dollar. Sogar die lange vernachlässigten Industriemetallpreise zogen seit Jahresstart um rund 11 % an.   

Privatanleger profitierten jedoch überwiegend von den Anstiegen vieler hochbewerteter Aktiensegmente. Laut Edelmetallexperten geht beispielsweise die Gold-Rallye seit geraumer Zeit an den meisten ungenutzt vorbei: 2023 erlebte Gold das geringste Engagement von Privatanlegern der letzten zehn Jahre.

Offenbar fehlt vielen die Aufteilung über verschiedene Anlageklassen und weniger beliebte Aktiensegmente hinweg. Betroffen scheinen insbesondere junge Investoren, deren gesamte Investmentstrategie im Extremfall von nur einem MSCI-World-ETF oder einem indexnahen Aktienfonds dominiert wird. Zwar lieferte eine solch einseitige Strategie in den letzten Jahren hervorragende Ergebnisse, doch es ist fraglich, ob sie auch in Zukunft aufgehen kann. Vor allem bei den teuer bewerteten US-Wachstums- und -Tech-Titeln, die im MSCI World Index dominant gewichtet sind, gibt es einiges Rückschlagpotenzial.

Bisherige Erwartungen auf dem Prüfstand

Dass die Rekordkurse am Aktienmarkt vor allem auf Bewertungsanstiegen bei vielen bereits teuer bewerteten Titeln beruhen, könnte manchem einseitig positionierten Anleger ein flaues Gefühl bescheren. Hinzu kommt, dass ein wichtiger Treiber der jüngsten Aktienrallye in Frage steht: Anleger nahmen ihre Erwartungen für US-Zinssenkungen seit Jahresstart deutlich zurück. Statt von sechs Zinssenkungen, gehen sie derzeit nur noch von bis zu zwei Zinssenkungen in den Vereinigten Staaten aus.

Weil die Inflation in den USA zuletzt unerwartet anstieg, zweifeln manche Investoren daran, ob die Notenbank Fed dieses Jahr überhaupt die Zinsen von aktuell bis zu 5,5 % senken kann. Der J.P.-Morgan-Chef, Jamie Dimon, malte sogar Zinsen von bis zu 8 % an die Wand, die in den USA zur weiteren Inflationsbekämpfung nötig werden könnten. Weiterhin hohe oder steigende Zinsen wären jedoch negativ für die bisherigen Gewinneraktien. Das Risiko einer Ernüchterung gerade bei den zinssensitiven und gleichzeitig teuer bewerteten Anlagen ist somit eklatant gestiegen. Noch schafften es viele US-Unternehmen, ihre Gewinne stark zu steigern, was die Anleger bei Laune hielt. Wie Daten zeigen, müsste die Gewinnrendite amerikanischer Aktien aber deutlich aufholen, um z. B. mit der Rendite von US-Anleihen mitzuhalten. Sollten die Zinsen die Wirtschaft stärker bremsen, ist es mehr als fraglich, ob dies gelingt.

Auch der Nahost-Konflikt birgt Gefahren für Anleger. So könnten bei einer Eskalation die Ölpreise stärker anziehen und die ohnehin hartnäckige Inflation weiter antreiben – ganz zu schweigen von einer Schockreaktion der Börsen. Zinssenkungen wären vor diesem Hintergrund kaum vorstellbar. Gerade für die US-Aktien und -Wirtschaft gibt es derzeit mehr Potenzial für negative als positive Überraschungen.

Nicht alle Anlagesegmente sind teuer

Doch nicht alle Anlageklassen sind hoch bewertet. Trotz Höchstständen gibt es attraktive Segmente, in denen viele Privatanleger unterinvestiert sind. Ein Beispiel stellen Europa-Aktien dar, die laut dem Datenspezialisten Morningstar derzeit gegenüber ihrem fairen Wert eine deutliche Unterbewertung aufweisen. Im Vergleich zu den USA sind Europa-Titel so günstig wie in den letzten 30 Jahren nicht mehr. Und auch taktische Gründe sprechen für Europa: Im Gegensatz zu den USA, geht die Teuerungsrate in der Eurozone zurück. Während die US-Fed gezwungen sein könnte, ihre hohen Zinsen länger beizubehalten, signalisiert die europäische Zentralbank (EZB) schon für den kommenden Juni eine erste Kürzung des Leitzinses. Dies dürfte nicht nur die Konjunktur ankurbeln, sondern auch europäische Aktien befeuern.

Die Kurse langlaufender (z. B. sieben Jahre und mehr) europäischer Staats- und Unternehmensanleihen dürften von Zinssenkungen profitieren. Gleichzeitig sind diese Rentenpapiere in den Anlegerdepots extrem untergewichtet. Somit ergibt sich positives Überraschungspotenzial und die vielleicht letzte Chance, vor den ersten Zinssenkungen zuzugreifen. Die Kurse kurzlaufender Staatsanleihen gewinnen zwar nicht gleichermaßen bei Zinssenkungen, doch bieten auch sie 3 % bis 5 % Rendite pro Jahr. Da diese Rentenpapiere wenig bei Zinsanstiegen an Wert verlieren, können Anleger hier auch US-Dollar-Investments nutzen, müssen aber das Währungsrisiko berücksichtigen.

Das Potenzial bei Rohstoffen ist nach dem jüngsten Anstieg noch lange nicht ausgeschöpft. Insbesondere Industrierohstoffe und -metalle dürften in den nächsten Jahren aufgrund des Umbaus der Wirtschaft hin zu erneuerbaren Energien eine hohe Nachfrage verzeichnen. Gleichzeitig fuhren viele Bergbauunternehmen zuletzt den Ausbau von Kapazitäten zurück, sodass es bereits jetzt zu Engpässen in der Versorgung kommt.

Es mag abschreckend erscheinen, gut gelaufene Aktienpositionen zu Gunsten von Anlagen zu reduzieren, deren vergangene Performance wenig berauschend aussieht. Doch die Gier und der Performancechart sind keine guten Ratgeber. Wer die Märkte für teuer und angespannt hält, hat noch immer die Chance in vernachlässigte, aber aussichtsreiche Anlagen umzuschichten und sein Depot dadurch insgesamt robuster aufzustellen. Eine solche Strategie hinkt in einseitigen Rallyes möglicherweise etwas hinterher, ist aber bei Enttäuschungen in heiß gelaufenen Segmenten deutlich weniger verwundbar. Geschickte Investoren können auch damit eine langfristige marktähnliche Performance bei geringerer Schwankung erzielen.

Wer bis zum Schluss das Maximum aus jeder Rallye herausholen will, dem sollte klar sein, dass auch dieses Vorgehen nicht über Nacht reich macht. Ob ein paar Basispunkte Mehrertrag schlaflose Nächte wert sind, muss jeder Anleger selbst wissen. Dabei gilt das Sprichwort: „There Is No Free Lunch“.

Tim Bröning ist Leiter Non-Insurance bei der Fonds Finanz Maklerservice GmbH.

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