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„Die größte Hürde liegt im Kopf“ – Vema-Vorstand Johannes Neder zur Zukunft der PKV

Dr. Johannes Neder, Vorstand Vema
Foto: VEMA
Dr. Johannes Neder: "Eine etwas weniger polarisierende Berichterstattung wäre wünschenswert."

Die Jahresarbeitsentgeltgrenze ist erneut gestiegen – auf 73.800 Euro. Kritiker sehen darin eine Bremse für die Private Krankenversicherung. Vema-Vorstand Dr. Johannes Neder erklärt im Gespräch mit Cash., warum er das anders bewertet, wo die größten Wachstumschancen liegen und weshalb die eigentlichen Hürden oft im Kopf der Vermittler entstehen.

Die Jahresarbeitsentgeltgrenze wurde erneut deutlich angehoben – auf 73.800 Euro. Der Zugang zur PKV wird damit zunehmend erschwert. Hat die Krankenvollversicherung vor diesem Hintergrund noch Wachstumspotenzial?

Neder: Wir haben etwa 46 Millionen Erwerbstätige im Land. Davon sind rund zwei Millionen Beamte, Richter und Soldaten. Selbständige sind es 3,8 Millionen und Angestellte und Arbeiter über BBG machen nochmal 1,6 Millionen aus. Unter den möglichen Zielgruppen für die PKV hat sich also nur an der schon immer kleinsten Gruppe etwas an den Zugangsvoraussetzungen verschärft. „Nur“ etwa 30 Prozent der Privatversicherten stammen aus dieser Zielgruppe. Speziell in dieser bestand wohl auch schon immer die größte Hürde im Kopf, den Systemwechsel aus der GKV in die PKV zu vollziehen. Sei es die Angst vor hohen Beiträgen im Alter, dann separat zu versicherden Kindern und Ehegatten. In der Summe wird die Anhebung der BBG daher wohl weniger Auswirkung auf das Gesamtneugeschäft haben, als man im ersten Moment annehmen möchte. Wachstumspotenzial ist weiter vorhanden, wenn auch voraussichtlich vor allem im öffentlichen Dienst.

Die PKV gilt weiterhin als wichtiger Vertriebsmarkt. In welchen Segmenten – etwa Vollversicherung, Zusatzpolicen oder bKV – sehen Sie aktuell die größten Wachstumschancen?

Neder: Die größten Wachstumschancen bestehen dort, wo bereits das größte Wachstum stattfindet: in der betrieblichen Krankenversicherung. Als noch relativ neues Versorgungskonzept ist die bKV sehr vielen Entscheidern noch gar nicht bekannt. Der Fachkräftemangel ist ein reales Problem, bei dem man sich sehr bewusst als attraktiver Arbeitgeber positionieren muss, um im „war for talents“ punkten zu können. Ein so wertiges Benefit wie die bKV kann dabei helfen, Bestandsmitarbeiter zu halten und die Entscheidung eines Bewerbers positiv zu beeinflussen. Ganz zu schweigen von positiven Kosteneffekten.

Wo liegen derzeit die größten Hürden im PKV-Vertrieb? Welche regulatorischen, marktseitigen oder internen Faktoren bremsen Ihrer Einschätzung nach das Geschäft?

Neder: Wie so oft im Versicherungsvertrieb befindet sich die größte Hürde für Erfolg im Kopf des Vermittlers. Die Versorgungssituation der Kunden hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert. Im Bereich der Zusatzversicherungen muss man seine Kunden im Grunde nur darauf ansprechen. Aber da ist man vielleicht gehemmt, weil die Wirtschaftslage ja schon rosiger war und dank Inflation der Liter Milch jetzt das doppelte kostet. Da ist man evtl. gehemmt und will Kunden nicht noch mehr Versicherungskosten aufbürden, sieht damit evtl. auch lukrativere Geschäft wie beispielsweise die BU, wegen der man überhaupt das Gespräch führte, gefährdet. Das kann man ja später auch noch angehen. Und später überlegt man dann, ob sich der ganze Beratungsaufwand überhaupt rentiert und am Ende springt nur eine Zahnzusatz dabei raus. In diesem Segment liegt in den meisten Vermittlerbeständen noch gutes Potenzial. Man muss es einfach angehen. Das schlimmste, was passieren kann ist, dass der Kunde „Nein.“ sagt.

Bei der Vollversicherung dürfte die negative Berichterstattung in den Medien eine spürbare Bremse sein. Jeder kennt diese Beiträge, in denen eine Rentnerin über die kaum noch bezahlbaren Beiträge ihrer Krankenversicherung klagt. So ein Beitrag dauert vielleicht 5 Minuten. Das ist nicht genug Zeit um die Ursachen genauer zu durchleuchten. Vielleicht hatte sie einen Tarif ohne Beitragsrückstellungen? Und damit ist nicht nur der vorgeschriebene Beitragszuschlag gemeint, den es erst seit 2000 gibt, damit eben gerade im Alter Beiträge gesenkt werden können. Sicher gab es keinen Beitragssenkungsplan oder ähnliches. Wir erfahren es nicht und wenn würde der normale Zuschauer, ein Versicherungslaie, es wohl auch nicht verstehen. Dennoch wäre etwas weniger polarisierende Berichterstattung oft wünschenswert, denn mit einer vernünftigen Betreuung und auch etwas Eigeninteresse an seinen Versicherungen gäbe es das Dilemma eventuell nicht. Das kann man manchen Kunden alles erklären – manche werden es nachvollziehen können, andere werden skeptisch und damit in der GKV bleiben.

Wo sehen Sie bei den Anbietern tatsächlichen Nachbesserungsbedarf – etwa in Tariftransparenz, Leistungsversprechen, Services, TAA-Strecken, digitale Anbindung oder Kundenkommunikation?

Neder: Einen wirklichen Nachbesserungsbedarf gibt es eigentlich nicht. Die meisten Krankenversicherer haben verschiedene Tarife im Angebot, die jeweils andere Leistungen bieten. Wenn man das zum Vergleich auf die Automobilindustrie umlegt, hat dort ja auch jeder Hersteller andere Modelle im Schaufenster und der Kunde entscheidet sich, was am besten zu ihm und seinen Bedürfnissen passt. Lassen wir in diesem Bild die GKV einen Golf sein (passt eigentlich für jeden ganz gut, erfüllt die meisten Bedürfnisse), dann wäre etwas ähnliches der Honda Civic. Ist es einem Kunden aber wichtig, auch eine Waschmaschine transportieren zu können, dann sollte er evtl. besser zu einem Volvo Kombi greifen. Und viel anders ist es bei PKV-Tarifen auch nicht. Es ist allerdings die Aufgabe des Vermittlers, dem Kunden die Unterschiede im System und bei den Leistungen aufzuzeigen. Der Kunde ist mündig, darf wählen, Häuser kaufen und auch sonst eine ganze Reihe wichtiger Entscheidungen treffen. Da kann er auch die für ihn richtige Entscheidung für einen Krankenschutz treffen – wenn man ihm alle nötigen Informationen an die Hand gibt. Der Vermittler bekommt diese alle. Kein Makler wird ernsthaft PKV-Beratung ohne Vergleichsprogramm betreiben und da werden nicht nur die Preise verglichen. Man kann sich optimal vorbereiten und Fragen beantworten. Und man darf nicht vergessen, dass auch bei den „schlechter als die GKV“-gewerteten Tarifen sicher einzelne Leistungen die GKV toppen. Vergessen wir auch nicht, dass der Vergleich mit der GKV immer nur eine Momentaufnahme sein kann, da mit der nächsten „Reform“ schon ganz neue Voraussetzungen geschaffen werden können. Die zeitweise Streichung des Zahnersatzes für nach 1978 Geborene sei hier nur beispielhaft genannt.

Welche Anbieter setzen aus Ihrer Sicht aktuell Maßstäbe bei Produktqualität, Serviceorientierung und Leistungsregulierung?

Neder: Wie so oft gibt es den einen Versicherer, der in allen Bereichen glänzt, auch in der PKV nicht. In unseren Qualitätsumfragen bewerten unsere Makler aber regelmäßig Alte Oldenburger, Barmenia, Hallesche und Universa sehr gut.

Wie hat sich der Vertrieb der Krankenvollversicherung und der betrieblichen Krankenversicherung (bKV) in den vergangenen drei Jahren verändert – in Ansprache, Kanälen, Kundenbedürfnissen?

Neder: Der Vertrieb beider Produkte unterscheidet sich doch enorm, betrachten wir sie daher separat. Bei der Krankenvollversicherung hat sich weniger etwas verändert, als dass weitere Möglichkeiten hinzugekommen sind. Mancher Maklerkollege hat seinen Weg in Social Media gefunden, sich evtl. als eine Art Finfluencer etabliert und baut durch Infovideos und ähnliches Vertrauen bei seinen Followern auf. Das führt in Verbindung mit der regelmäßigen Ansprache von Themen dann zu Anfragen. Beim Bedarf hat sich die Sicherheit vor hohen Beiträgen im Alter sicher verstärkt. Zu entsprechenden Lösungen muss heute mit beraten werden.

Bei der betrieblichen Krankenversicherung spricht man in erster Linie mit Entscheidern einer Firma. Mit diesen lotet man aus, welche Variante der bKV für die Belegschaft am attraktivsten sein kann. Die Ansprache erfolgt häufig bei Firmen, die man bereits in anderen Bereichen betreut – sei es die bAV oder auch im Kompositbereich. Die bKV ist also meist ein Produkt für „die zweite Beratungswelle“. Eine Handvoll Maklerkollegen haben sich inzwischen aber auch auf die bKV spezialisiert und akquirieren gezielt damit. Zur Ansprache werden eher klassische Wege – also Anrufe, Anschreiben, Themenseiten im Internet. Da die bKV als Produktgattung noch immer recht unbekannt ist, muss sie aktiv verkauft werden.

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