Disruptive Phase

cctv-Kamera oder Überwachung innerhalb der industriellen Fabrik
Foto: Panthermedia
Resilienz und Anpassungsfähigkeit sind gefragt. Viele Firmen werden derzeit massiv gefordert. Auch die Versicherer.

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation und Energiepreisschock, die nachhaltige Transformation der Wirtschaft und das Abrutschen Deutschlands in eine Rezession. Die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts sind die Disruptivsten seit langem und eine massive Herausforderung an die Resilienz und Anpassungsfähigkeit des Mittelstandes. Die Multikrisen haben aber auch Folgen für die gewerbliche Sachversicherung.

Das neue Jahrzehnt ist eines der disruptivsten Phasen für Menschen und Wirtschaft seit langem. So sieht es der Global Risk Report 2023, den das World Economic Forum Anfang Januar vorstellte. Die Studie, die von Marsh McLennan und der Zurich Insurance Group erstellt wurden und sich auf die Perspektiven von über 1.200 globalen Risikoexperten und führenden Persönlichkeiten aus der Politik und Wirtschaft stützt, verheißt unruhige Zeiten für die kommenden zwei Jahre. Das Risiko einer Rezession, eine wachsende Verschuldung, eine anhaltende Krise der Lebenshaltungskosten, eine weitere Polarisierung von Gesellschaften durch Des- und Fehlinformation, ein Stillstand bei dringenden Klimaschutzmaßnahmen und ein geoökonomischer Nullsummen-Krieg, seien die Folgerisiken, die Wirtschaft und Gesellschaft in den folgenden zwei Jahren dominieren dürften, so die Einschätzung. Insbesondere die Krise der Lebenshaltungskosten wird als eine der großen Gefahren gesehen. 

2022 lag das Wirtschaftswachstum hierzulande noch bei 1,9 Prozent, trotz Ukraine-Krieg und teils zweistelligen Inflationsraten. Für 2023 erwartet das Ifo-Institut nun einen Rückgang von 0,4 Prozent. Hinzu kommt, dass die Inflationsrate im August 2023 mit „nur noch“ 6,1 Prozent deutlich über dem liegt, was für die Europäische Zentralbank akzeptabel ist. „Insgesamt sind Inflation, Energiekosten und Betriebsnebenkosten für kleine und mittlere Unternehmen eine große Herausforderung, die sorgfältige Planung, Resilienz und Anpassungsfähigkeit erfordern, um die Wettbewerbsfähigkeit und den Erfolg des Unternehmens zu erhalten. Für KMUs ist das besonders herausfordernd, da oft nur begrenzte Ressourcen bereitstehen und sie sensibler auf Preiserhöhungen und andere Kostensteigerungen reagieren. Auch die Inflation ist schwierig, da Budgets teilweise nicht ausreichen, um Kosten für preislich gestiegene Materialkosten und Rohstoffe zu decken“, umreißt Claudia Max, Chief Underwriting Officer bei der Zurich Gruppe Deutschland die Herausforderungen. Verschärft wird die Situation dadurch, dass durch die Coronapandemie und die Lockdowns die Rücklagen bei vielen KMU nahezu aufgezehrt sein dürften.  

Schwindende Finanzreserven, explodierende Betriebskosten, nachlassende Kaufkraft, sinkende Gewinnmargen und drohende Verluste sorgen dafür, dass bei nicht wenigen Geschäftsinhabern im Mittelstand Ängste und Sorgenfalten im Laufe des Jahres größer geworden sind. „Ist das Geld aufgrund gestiegener Betriebskosten knapp, überlegt sich ein Unternehmer zweimal, ob er eine Versicherung unbedingt benötigt“, sagt Vincent Foermer, Head of Partnermanagement bei Thinksurance. Und das gelte nicht nur für Neukunden. Auch Bestandskunden planten derzeit, beim Versicherungsschutz den Rotstift anzusetzen. Foermer hält die Gedankenspiele allerdings für einen großen Fehler: „Klar lassen sich ein paar hundert Euro sparen, wenn man auf eine Versicherung verzichtet oder Leistungen reduziert. Ab wie sieht es dann mit dem Kosten in Millionenhöhe aus, wenn es zu einem Schaden kommt?“, fragt der Gewerbeversicherungsexperte. Und empfiehlt einen Tarifvergleich. „Bekommt mein Kunde die gleichen Leistungen bei einem anderen Versicherer günstiger oder kann er Geld sparen? Auch Nachlässe durch Bündelverträge oder längere Laufzeiten können sich positiv auf die Versicherungsprämie auswirken und unterstützen, mit einem reduzierten Budget zu arbeiten. Deshalb sollten Vermittler gerade jetzt proaktiv den Kontakt zu ihren Kunden suchen und sie für entsprechende Risiken sensibilisieren“, rät Foermer. 

„Natürlich gilt es, das Thema eng zu beobachten und zu managen. In unserem Gesamtportfolio sehen wir aktuell aber keine gravierenden Auswirkungen“, sagt Zouhair Haddou-Temsamni, Vertriebs- und Produktmanagement-Vorstand bei der Arag Allgemeine Versicherung. Zustimmung kommt von Michael Neuhalfen, Vertriebsleiter bei der Alte Leipziger Versicherung. „Wir haben eine stabile Entwicklung, es ist tatsächlich robust. Die Nachfrage hat sich nicht verändert“, sagt Neuhalfen. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, der sich abzeichnende Rezession, sei erstaunlich, wie robust sich der Mittelstand in der Krise präsentiere. „Spiegelbild dieser wirtschaftlichen Entwicklung ist dann eben auch der Versicherungsmarkt“, sagt Neuhalfen. 

So dürfte die hohe Inflation dafür sorgen, dass die Versicherungssummen bei Maschinen oder Gebäuden nicht mehr passen. Das Problem ist, das gerade bestehende Versicherungen sich oftmals an den Neupreisen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses orientieren. Wenn die Versicherungssumme nun aber nicht mehr dem aktuellen Versicherungswert entspricht, besteht das Risiko einer Unterversicherung. Für den Kunden habe das zur Folge, dass er im Schadensfall auf der Differenz der Kosten sitzen bleibt. „Bei einer fiktiven Inflationsrate von zehn Prozent und angenommen Wiederinstandsetzungskosten von drei Millionen Euro reden wir hier beispielsweise von 300.000 Euro. Kann der Kunde den Betrag nicht aufbringen, kann das schnell das Existenz-Aus bedeuteten“, sagt Foermer. Laut Neuhalfen sind die Versicherungskunden inzwischen aber sensibilisiert. „Viele Vermittler und Kunden haben akzeptiert, dass man aktuelle Verträge und Risikobewertungen haben sollte. Das ist der Lerneffekt aus der sprunghaften Inflation des letzten Jahres“ erklärt er. Allerdings bestätigt er , dass der Anstieg dazu geführt habe, dass es einige Branchen gebe, die wirklich eklatante Probleme hätten. „Am Ende müssen wir uns wahrscheinlich daran gewöhnen, nicht mehr die Nullzinswelt der letzten 20 Jahre zu haben. Wir leben einfach in einer anderen Zeit, und Versicherungswirtschaft, Vermittler, aber auch viele Gewerbekunden sind echt lernfähig“, so Neuhalfen. 

2020 gab es rund 3,3 Millionen kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland. Für den Vertrieb ist der Gewerbeversicherungsmarkt aufgrund dieser Vielschichtigkeit eine Herausforderung. Hinzu kommt, dass der Markt im Umbruch ist: Digitale Transformation, Corona-Pandemie, Klimawandel, der Ukraine-Krieg sowie die hohe Inflation lenken den Blick auf neue Risiken. Zudem wird die Nachhaltigkeitsdebatte die Anforderungen an Absicherung und Beratung deutlich verändern. 

Zu den am stärksten wachsenden Segment in der Sparte gehört derzeit die Cyberabsicherung. Gerade weil immer mehr KMU in den Fokus von Cyberkriminellen geraten. Die Gothaer Versicherung führt seit Jahren regelmäßig Umfragen zum Thema Cybersicherheit durch. Die Studien zeigen, dass bei den Befragten durchaus Sensibilität vorhanden ist. In deutlich steigenden Abschlusszahlen bei Cyberversicherungen schlägt sich dies derzeit aber noch nicht nieder. „Wir sehen zwar ein starkes Wachstum in der Cyberversicherung, aber es könnte noch mehr Dynamik in dem Segment sein, und das hat verschiedene Ursachen. Die Beratung ist eine zentrale Frage. Wer kann Cyberversicherung gut beraten und traut sich an das Thema? Wir unternehmen gerade intensive Anstrengungen, um die Cyberversicherung den Vermittlern so nahezubringen, dass sie diese adäquat anbieten können. Bei größeren Unternehmen gibt es einen Zugang zu Underwritern in der Vertriebsmannschaft, darüber ist es etwas einfacher. Aber im gewerblichen Segment ist es so: Die Awareness ist da, sie wird von Tag zu Tag größer, sie steigt bei jedem Blick in die Zeitung. Aber es ist noch nicht durchdringend. Wenn man den Kunden deutlich macht, dass die Themen Schadendienstleister und Präventionsdienstleistungen im Paket enthalten sind, ist die Attraktivität des Produkts direkt sehr groß“, sagt Henning Hackbarth, Leiter Komposit Gewerbe bei der Gothaer Allgemeine. 

Doch wie digital geht die Beratung in der Gewerbeversicherung? „Je homogener das Risiko, desto einfacher ist eine digitale Absicherung“, sagt MLP-Sachversicherungsleiter Michael Schwarz. „Im Gewerbebereich stößt diese Vereinfachung jedoch schnell an natürliche Grenzen: Wenn eine standardisierte Absicherung für einen kleinen Friseurbetrieb mit wenigen Angestellten vielleicht noch funktioniert, ist diese bei einer komplexeren Friseurgeschäftskette mit Zusatzleistungen wie Kosmetikbehandlungen oder -handel neben dem Kerngeschäft schon nicht mehr passend. Außerdem beobachten wir häufig, dass Unternehmen oder Unternehmer sich damit schwertun, die relevanten Risiken für ihren Betrieb selbst zu identifizieren. Umso wertvoller ist deshalb ein erfahrener Berater, der dies gemeinsam mit seinen Kunden in Angriff nimmt“, lautet den auch das Fazit des Gewerbeexperten.

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