EXKLUSIV

„Eine eingebaute Gehaltserhöhung für engagierte Vermittler“ 

Michael Neuhalfen
Foto: ALH Gruppe
Michael Neuhalfen: „Versicherung bleibt People Business.“

Die Alte Leipziger positioniert sich im Gewerbegeschäft als Vermittlerversicherer mit klarer Linie: strategisch, digital, aber auch mit Fokus auf persönliche Nähe. Im Cash.-Interview spricht Vertriebsleiter Michael Neuhalfen über die Gewerbestrategie der ALH, Marktveränderungen, Digitalisierung, die wachsende Bedeutung des Elementarschutzes und warum die Gewerbeversicherung eine Chancen für Vermittlerinnen und Vermittler sein kann.

Wie hat sich das Gewerbegeschäft der Alten Leipziger in den vergangenen drei Jahren entwickelt? Ich frage das vor dem Hintergrund der teils sehr unterschiedlichen Inflationsphasen in diesem Zeitraum.

Neuhalfen: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an – der Markt war in dieser Zeit tatsächlich alles andere als einheitlich. Für uns, die Alte Leipziger Versicherung, war es ein starkes Jahr. Wir wachsen sowohl im Tarifgeschäft als auch im individuellen Underwriting deutlich. Besonders dynamisch verlief das gewerblich-industrielle Sachgeschäft. Die Inflation hat den Blick auf Versicherungssummen geschärft – bei Kunden und Vermittlern. Denn klar ist: Wer heute noch mit einer Police von vor zehn Jahren unterwegs ist, riskiert im Schadenfall eine massive Unterversicherung. Das größte Risiko in der Sachversicherung ist nicht der Brand, sondern die Lücke in der Deckung. Wir haben daher gezielt informiert und beraten. Höhere Versicherungssummen bedeuten zwar höhere Prämien – aber eben auch mehr Absicherung und bessere Vermittlervergütung. Das geht nicht ohne Aufwand, aber es zahlt sich aus. Wir sehen auch Kapazitätsengpässe – unterschiedlich stark, je nach Branche. In der Haftpflicht haben wir ebenfalls zugelegt, wenn auch etwas verhaltener. Technik und Transport entwickeln sich solide. Zurück bleibt nur die Cyberversicherung: Das Risikobewusstsein ist da, aber in der Tiefe fehlt oft die Bereitschaft zur Auseinandersetzung. Da bleibt noch Luft nach oben.

Herr Neuhalfen, welchen Stellenwert hat die Gewerbeversicherung für die Alte Leipziger

Neuhalfen: Die Gewerbeversicherung – also das Nicht-Privatkundengeschäft im Kompositbereich – ist für uns ein strategisches Schwerpunktthema. Das zeigt auch unser Claim: „Der Gewerbeversteher“. Dahinter steckt mehr als ein Wortspiel. Wir wollen die Realität der Gewerbekunden verstehen – und ebenso die der Vermittler, die meist Makler oder Mehrfachagenten sind. Sie haben eigene Herausforderungen, die wir ernst nehmen. Deshalb unterstützen wir gezielt, fachlich und im Vertriebsalltag. Denn Gewerbeversicherung ist kein Selbstläufer – sie ist komplex und beratungsintensiv. Gleichzeitig ist die Sparte ein Gegengewicht zum wachsenden Privatkundengeschäft. Unser Ziel: beide Bereiche strategisch und ausgewogen weiterentwickeln.


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Sie hatten vor drei Jahren im Interview mit unserem Magazin gesagt: „Wir wollen Vermittlers erste Wahl im Gewerbe- und mittleren Industriesegment sein.“ Wo stehen Sie 2025?

Neuhalfen: In einigen Segmenten gehören wir inzwischen sicher zu den Top 3. Ob nun Top 5 oder Top 3 ist am Ende nicht entscheidend. Wichtiger ist die Frage: Sind wir relevant? Für uns heißt das: Wenn ein Makler nachts um vier gefragt wird „Wen rufe ich an, wenn’s kompliziert wird?“, dann wollen wir auf dieser Liste stehen. Und ich glaube, das gelingt uns zunehmend. Allerdings wächst mit steigender Relevanz die Herausforderung, das Mengenwachstum sauber zu bewältigen. Letztlich geht es um eine gesunde Entwicklung mit Ertrag und Qualität. Was wir spüren: Unsere Branche stößt an strukturelle Grenzen. Viele Prozesse laufen noch manuell, die Digitalisierung ist längst nicht abgeschlossen. Es gibt zu viele Workarounds, die man mit smarter Technik – und da muss es nicht mal KI sein – effizienter und sicherer lösen könnte. Klar ist aber auch: Die Menschen bleiben zentral. Digitalisierung ersetzt sie nicht, sie verändert ihre Aufgaben. Und genau das ist die Chance.

Wie kommt es, dass die Alte Leipziger auch im Gewerbesegment überzeugt?

Neuhalfen: Die Wahrheit ist: Hinter unserem Erfolg steckt viel Arbeit. Dass wir in der Lebensversicherung etwa in der bAV oder Biometrie heute zu den Marktführern zählen, ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis einer langfristigen, konsequenten Strategie: starke Produkte, Marktverständnis, enge Vermittlerbetreuung. Vor etwa sechs Jahren haben wir uns intensiv gefragt: Wie schaffen wir echte Relevanz beim Vermittler? Die Antwort ist klar: Ein klares Profil und verlässliche Antworten auf zentrale Fragen. Nur so wird man als Partner wahrgenommen. Und: Man muss den Mut haben, auch Nein zu sagen. Dort, wo wir nicht stark sein können oder wollen, steigen wir bewusst nicht ein. Diese strategische Klarheit hat sich ausgezahlt. Unser Ansatz ist die gezielte Positionierung in definierten Segmenten. So lassen sich Marktanteile gewinnen. Und diesen Weg gehen wir weiter.

Sie sagten eben, dass die Alte Leipziger gewisse Bereiche nicht bespielt. Wo sagen Sie bewusst „Nein, danke“?

Neuhalfen: Ein gutes Beispiel ist die Heilwesen-Haftpflichtversicherung. In diesem Segment sind wir seit Jahren etabliert – mit hoher fachlicher Tiefe, auch im Schadenbereich. Trotzdem versichern wir keine Krankenhäuser. Warum? Weil das extrem komplexe und hochsummige Risiken sind, die unsere Kapazitäten übersteigen würden. Wir übernehmen nur, was wir wirklich beherrschen – und nicht „so ein bisschen“. Unser Anspruch ist es, in einer Police eine tragende Rolle zu spielen – nicht als stiller Mitläufer mit ein paar Prozent Beteiligung. Dafür braucht es volle Risikoexpertise und aktives Management. Ein weiteres Beispiel ist die Recyclingbranche. Gesellschaftlich und ökologisch enorm relevant, aber in der Sachversicherung für uns nicht abbildbar. Ein klassisches Dilemma – nicht aus Ignoranz, sondern aus Verantwortung.

Also würden sie bei Windkraft, Solar, Geothermieanlagen, Recyclingunternehmen, Batterieproduzenten grundsätzlich Nein sagen?

Neuhalfen: Bei manchen Risiken sagen wir ganz klar Nein. Wenn heute jemand mit einem Windpark – ob Onshore oder Offshore – zu uns kommt, lautet die Antwort: definitiv Nein. Das liegt nicht an der Technologie selbst, sondern an der Risikostruktur. Windparks bringen sehr hohe Versicherungssummen mit sich, oft ohne ausreichende Präventionsmaßnahmen. Häufig reichen die erzielbaren Prämien schlicht nicht aus, um das Risiko wirtschaftlich tragfähig abzusichern. Und mit „tragfähig“ meine ich nicht maximale Gewinne, sondern solide Kalkulierbarkeit. Ist das nicht gegeben, sollte man aus kaufmännischer Verantwortung die Finger davon lassen. Wir – wie viele andere – haben da unsere Erfahrungen gemacht, teils schmerzhaft. Unsere Experten kennen diese Märkte sehr gut. Im Windkraftbereich ist das Angebot stark konzentriert. Wenige Anbieter bewegen sich dort – teils mit dem Anspruch, besser kalkulieren zu können, teils, weil sie im Oligopol andere Prämien durchsetzen. Aber für uns als breit aufgestellter Versicherer mit Vollsortiment ist das keine Spielwiese. Da bleiben wir konsequent raus. Wir fokussieren uns auf Bereiche, in denen wir Expertise, Risikoübersicht und wirtschaftliche Tragfähigkeit vereinen können.

Wie komplex ist der Markt aktuell im Gewerbegeschäft?

Neuhalfen: Die aktuellen Herausforderungen sind stark regulatorisch geprägt – etwa durch PFAS, die sogenannten Ewigkeitschemikalien. Solche Themen kehren regelmäßig zurück – wie einst Asbest oder Umwelthaftpflicht. Die Branche muss sich stetig neuen Vorgaben stellen – das gelingt ihr meist gut. Komplex wird es, wenn Risiken in konkrete Wordings überführt werden sollen. Dann trifft der Wunsch nach maximaler Deckung auf das Bedürfnis nach kalkulierbaren Risiken. Steigen Summen und Inhalte, steigen auch die Preise – für Kunden oft eine Herausforderung. Höhere Kosten bedeuten teurere Produkte und mehr Wettbewerbsdruck. Die Kunst liegt in der Beratung: Welche Risiken bestehen, welche sind versicherungswürdig und zu welchem tragfähigen Preis? Diese Balance schwankt – mal läuft es gut, mal schlagen Großschäden zu. Zusätzlich steigen Schäden durch höhere Volatilität – etwa durch Extremwetter. Das treibt Kosten und Prämien. Gegensteuern kann mit über Selbstbehalte oder reduzierte Deckung. Das ist aber unpopulär.

Worauf legen die Kunden derzeit den größten Wert?

Neuhalfen: Das ist eine schwierige Frage. In manchen Segmenten zählt am Ende nur der Preis. Der Kunde fragt: Was bekomme ich für mein Budget? Das Problem: Wir als Branche – Versicherer wie Vermittler – haben Kunden lange verwöhnt. Die Leistungen wurden immer besser, die Beiträge günstiger. Diese Spirale ist an ihrem logischen Ende angekommen. Denn dauerhaft zu viel Leistung für zu wenig Geld ist wirtschaftlich nicht tragfähig – und regulatorisch problematisch. Das weiß jeder Makler – und letztlich auch jeder Kunde. Wir erleben gerade eine Umkehrbewegung. Je nach Segment unterschiedlich stark, aber längst überfällig. Gleichzeitig ist der Markt hoch wettbewerbsintensiv. Die Auswahl ist groß und durch die Digitalisierung ist der Bedingungswettbewerb extrem schnell geworden. Wordings lassen sich leicht kopieren, aber nicht die dahinterstehende Leistung. Denn was im Bedingungswerk steht, muss im Schadenfall auch eingelöst werden: durch Menschen, Prozesse, Services. Und die lassen sich nicht beliebig skalieren. Deshalb zählt immer das Gesamtpaket: Fachkräfte, Underwriting- und Schadenprozesse, Servicekultur, Produkte und Preis. Das ist keine Preisabsprache – das ist Marktlogik. Und wenn Schäden teurer werden – etwa durch Unwetter – ist es nur logisch, dass auch die Prämien steigen. Wer das ignoriert, macht einen grundlegenden Fehler.

Wir haben das Thema Inflation vorhin schon kurz gestreift. Wie stark waren die Beitragsanpassungen in den vergangenen drei Jahren?

Neuhalfen: Das sind keine Zahlen, vor denen man erschrecken müsste. Beitragsanpassungen beruhen meist auf nachgelagerten Bewertungen durch Aktuare und spiegeln durchschnittliche Schadenentwicklungen wider. Aber in der Praxis sieht das oft anders aus. Wenn gebaut werden muss, reichen drei bis fünf Prozent Inflation nicht. Jeder kennt es: Der Handwerker kostet plötzlich 20 Prozent mehr – wegen hoher Nachfrage. Oder Kfz-Reparaturen: Laut GDV stiegen die Kosten binnen fünf Jahren um teils über 70 Prozent. Das hat wenig mit klassischer Inflation zu tun, sondern auch mit Marktmechanismen. Bezahlen muss das am Ende jemand. In der Kfz-Versicherung meist der Versicherer – der holt sich die Kosten über Beiträge zurück. Letztlich zahlt also doch der Kunde, nur breiter verteilt. Nach Corona stiegen die Frequenzen wieder, die Schäden blieben teuer – eine teure Mischung. In der Sachversicherung sehen wir durch Beitragsanpassungen aktuell etwas Entspannung. Die allgemeine Inflation liegt laut EZB bei zwei bis 2,5 Prozent, was für sinkenden Druck spricht. Aber Vorsicht: Der Warenkorb der EZB bildet vieles ab, was im Schadenfall irrelevant ist. Elektrogeräte werden günstiger, aber Handwerker oder Autos teurer. Daher greift die Logik „Inflation bei zwei Prozent, also auch Beitragserhöhung bei zwei Prozent“ zu kurz. Die Schadeninflation folgt oft ganz eigenen Regeln. Und die müssen wir in der Kalkulation berücksichtigen.

Es gibt viele Wettbewerber in dem Segment. Wie gelingt der Alte Leipziger die Differenzierung?

Neuhalfen: Im Markt tummeln sich rund 166 Kompositversicherer, vom Weltkonzern bis zum kleinen Regionalanbieter. Viele machen einen guten Job, sonst wären sie nicht mehr da. Aber wir verstehen uns als Vermittlerversicherer. Das ist ein spezielles Segment, in dem man nicht gegen alle 166 antritt. In der Praxis arbeitet die Vermittlerschaft mit wenigen Dutzend Anbietern – ein überschaubarer Markt. Gerade im Gewerbegeschäft zählt der persönliche Kontakt. Vermittler schätzen feste Ansprechpartner, am besten erreichbar, ohne digitale Hürden. Diese Nähe schafft ein Vertrauen und eine Verlässlichkeit, die heute rar geworden ist. Genau das macht den Unterschied, wenn es mal schwierig wird. Unsere Haltung ist klar: Versicherung bleibt People Business. Digitalisierung nutzen wir da, wo sie Prozesse verbessert. Aber sie ersetzt nicht den Menschen – und vor allem nicht im komplexen Gewerbegeschäft. Da muss jemand rausfahren, Risiken anschauen, bewerten, mitdenken. Das übernehmen keine Avatare, sondern erfahrene Fachleute. Darum investieren wir in Personal und nicht in Effizienz um jeden Preis. Denn Sonderrisiken lassen sich nicht in Tarifbausteinen abbilden. Dafür braucht es individuelle Lösungen. Für uns ist genau das im Gewerbebereich entscheidend.

Auf welche Branchen und Unternehmensgrößen fokussiert sich die Alte Leipziger?

Neuhalfen: Wir halten uns da bewusst etwas vage – aus gutem Grund. Die reine Unternehmensgröße ist kein verlässliches Kriterium. Ein Betrieb mit 100 Millionen Euro Umsatz kann versicherungstechnisch unproblematisch sein, etwa im Handel. Bei gleicher Umsatzgröße, aber mit komplexen Beratungsleistungen oder innovativen Produkten, sieht das Risiko ganz anders aus. Unser Fokus liegt auf dem deutschen Mittelstand – klassische Unternehmer im Inland. Wir begleiten Kunden auch ins europäische Ausland, sofern sinnvoll. Zur Orientierung: Intern sprechen wir von einer Größenordnung bis etwa eine Milliarde Euro Umsatz. Aber „Mittelstand“ ist dehnbar. Ein Ein-Mann-Unternehmen kann hochkomplexe Risiken mitbringen, ein Hidden Champion international aktiv sein – und trotzdem gut zu uns passen. Entscheidend ist nicht die Größe, sondern: Was macht das Unternehmen? Wie komplex ist das Risiko? Wie risikobewusst handelt der Kunde? Das lässt sich nicht pauschal oder digital erfassen – dafür braucht es Beratung, Einschätzung und Dialog.

Für wie viele Unternehmen könnten sie realistisch Versicherungsschutz anbieten?

Neuhalfen: Ich sage mal mutig: Wir liegen deutlich im 90-Prozent-Bereich. Denn die meisten deutschen Unternehmen sind ganz „normal“ – im besten Sinne. Natürlich gibt es komplexe Branchen wie Recyclingbetriebe, aber zu sagen, wir versichern die deutsche Wirtschaft nicht, ist Unsinn. Der typische Unternehmer hat eine sehr hohe Chance, bei uns umfassend abgesichert zu werden. Auch komplexe Betriebe sind möglich – wenn das Risiko verstanden und beherrschbar ist. Kompositversicherung basiert auf Zufälligkeit und Erwartbarkeit. Wenn das fehlt oder der Betrieb schlecht gemanagt ist, funktioniert es nicht. Nach 40 Jahren Besichtigungserfahrung spürt man schnell, ob ein Unternehmen sein Risiko im Griff hat. Und dann sagen wir auch mal: „Mach weiter – aber ohne uns.“ Entscheidend sind Risiko-Verständnis und Prävention. Wer besser vorbeugt, braucht oft weniger Versicherung. Sichern vor Versichern – ein alter Slogan, aber aktueller denn je. Für das Restrisiko braucht es dann eine passende Prämie, auch bei komplexen Risiken. Wenn klar ist, was gut geschützt ist, bleibt das Restrisiko.

Und versichert die Alte Leipziger auch Risiken wie Forst- und Landwirtschaft oder Schifffahrt?

Neuhalfen: Forst- und Landwirtschaft: nein. Das ist eine bewusste strategische Entscheidung, weil uns dafür einfach die nötige Expertise fehlt. Schifffahrt hingegen: ja. Früher haben wir das nicht gemacht, heute schon. Und zwar sowohl See- als auch Binnenschifffahrt. Das ist ein spannender Bereich – auch, weil er sich ständig verändert. Es ist ein internationales Geschäft und ein klassischer Teil der Transportversicherung. Und ja, da sind wir heute mit dabei.

Nachhaltigkeit ist in aller Munde – und immer mehr Unternehmer setzen auf eigene Energiegewinnung, zum Beispiel über Solaranlagen auf dem Dach. Hat das Auswirkungen auf den Versicherungsschutz?

Neuhalfen: Absolut. Bei Photovoltaik fließt Strom. Und wo Strom fließt, gibt’s Risiken: Brände, Montagefehler, Ausfälle. Das ist versicherungstechnisches Änderungsrisiko und völlig normal. Vor 30 Jahren waren Airbags neu, heute sind sie Standard. Genau so wird’s mit PV-Anlagen laufen: Schaden bewerten, lernen, integrieren und irgendwann ist es Alltag.

Kommen wir zurück zum Thema Plattformen. Wie umfassend ist die Präsenz dort?

Neuhalfen: Wir waren schon bei Gewerbe24 dabei, heute ist es Thinksurance. Für uns war es logisch, dort mit den meisten Produkten gelistet zu sein. Im Privat- und Kfz-Bereich sind Plattformen Standard, im Gewerbe noch nicht. Daher gibt es dort nur wenige Anbieter. Thinksurance ist einer der zentralen Player. Und da wollen wir mitspielen.

Und wie sieht der digitale Fahrplan der Alte Leipziger im Gewerbebereich aus?

Neuhalfen: Wir stecken mittendrin. Die Digitalisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Gestartet sind wir mit T-A-A: Tarifierung, Angebot, Antrag. Im Privat- und Kfz-Bereich läuft das heute vollautomatisiert in Echtzeit. Jetzt übertragen wir das Prinzip auf das Gewerbegeschäft – überall dort, wo Risiken standardisierbar sind. So wird der Vertriebsprozess schneller und flexibler. Aber das ist nur der Anfang: Komplexer wird es in der Bestandsverwaltung. Vertragsänderungen sind oft individuell, doch auch hier haben wir erste Self-Service-Funktionen entwickelt. Beispiel: Ein Vermittler will wissen, was die Umstellung einer Teilkasko auf 500 Euro Selbstbeteiligung kostet. Früher musste er jemanden fragen – heute klickt er sich durch und erstellt den Nachtrag direkt. Das beschleunigt enorm. Solche Funktionen gibt es bereits in der Kfz- und Privatsparte, Gewerbe folgt. Der nächste große Schritt ist der Schadenbereich. Der ist anspruchsvoll, weil jeder Schaden anders ist. Trotzdem wollen wir Prozesse digitalisieren und transparenter machen. Vermittler sollen etwa über ein Schadentracking sehen können, was der Stand ist – wer war vor Ort, was wurde erledigt. Daran arbeiten wir.

Ich hatte kürzlich ein spannendes Gespräch mit Uwe Schumacher von Domcura. Die Gesellschaft hat ihre eigene KI-Lösung „KIM“. Wo steht die Alte Leipziger da?

Neuhalfen: Domcura hat da wirklich einen mutigen und gelungenen Schritt gemacht – vielleicht auch aus der Not heraus, aber absolut richtungsweisend. Solche KI-Projekte sind komplex und brauchen externe Expertise, die viele Versicherer nicht mitbringen. Auch wir arbeiten an solchen digitalen Helfern. Denn unsere Mitarbeitenden sollen sich auf das konzentrieren, was menschliche Expertise erfordert – nicht um zwei Uhr nachts Kundenfragen klären. Für solche Fälle ist KI ideal. Aber: Es muss ein hybrides Modell bleiben. Besichtigungen sollen nicht ausschließlich von Drohnen gemacht werden. Technik ja – aber mit Augenmaß. Unsere mittlere Größe hilft uns übrigens dabei. Ob Zahnzusatz, Leben oder Kfz: KI kann überall unterstützen und bringt Skaleneffekte. Mit rund sechs Milliarden Euro Volumen sind wir als ALH-Gruppe inzwischen ein mittelgroßer Player in Deutschland. Das eröffnet uns neue Möglichkeiten. Wir müssen uns weiterentwickeln. Auch wenn wir nicht immer die Ersten sind – wir wollen es richtig machen.

Gewerbliche Risiken gelten als beratungsintensiv und komplex. Wie gelingt es, solche Produkte gleichzeitig verständlich, modular und trotzdem vertriebsfreundlich zu gestalten?

Neuhalfen: Die Gewerbeversicherung ist im Kern über 100 Jahre alt. Wenn’s brennt, dann brennt’s. Und ein Haftpflichtschaden ist auch heute noch ein Haftpflichtschaden – daran hat sich nichts geändert. Was sich aber gewandelt hat, sind die Risiken drumherum. Viele sogenannte Wordings haben sich aber kaum weiterentwickelt. Die Bedingungswerke stammen vielfach noch aus der Zeit nach Einführung des Versicherungsvertragsgesetzes, also von 1908. Im Kern sind wir eine sehr traditionelle Branche. Umso wichtiger ist es, dass wir Sprache und Inhalte zeitgemäß denken. Bedingungen müssen klarer, greifbarer, verständlicher werden. Da sind wir gefordert.

Und wie setzen Sie das konkret um?

Neuhalfen: Unser Ansatz: Standards so einfach und klar wie möglich machen, damit Berater und Vermittler mehr Zeit für die wirklich relevanten Fragen haben. Wenn ich mit einem Kunden durch seinen Betrieb gehe, wird schnell deutlich: Das Gebäude kann abbrennen. Dieses Risiko versteht jeder sofort. Aber wenn ich frage: „Wie schätzen Sie Ihr Cyber-Risiko ein?“, wird’s komplizierter. Das ist unsichtbar. Da braucht es andere Fragen und mehr Tiefe. Solche Themen gab es vor 20 Jahren kaum. Heute brauchen sie Zeit in der Beratung. In bin mir sicher: In 20 Jahren wird Cyber so selbstverständlich sein wie heute ABS im Auto. Wer’s nicht anbietet, ist raus. Neue Risiken werden nachrücken – und ja, die sind anfangs komplex. Aber man wächst hinein. Entscheidend ist: anfangen, dranbleiben, weiterentwickeln.

Wie digital lässt sich das Gewerbegeschäft spielen? Und wo liegt die Grenze zwischen Masse und Maßkonfektion?

Neuhalfen: Technisch betrachtet gibt’s eigentlich keine echte Grenze mehr. Die Rechenleistung ist heute theoretisch unbegrenzt skalierbar. Was früher als „nicht vergleichbar“ galt, weil Gewerbeversicherungen so individuell sind, lässt sich inzwischen zunehmend standardisieren – durch Daten, Technologie und eben auch KI. Das, was heute möglich ist, konnte man sich vor 30 Jahren schon denken. Aber damals fehlte schlicht die Rechenpower. Heute ist sie da – und plötzlich funktioniert es. Was im Kfz-Bereich längst Standard ist – Tarifierung, Vergleichbarkeit, Automatisierung – wird jetzt im Privatbereich zur Norm und kommt allmählich auch im Gewerbegeschäft an. Gerade bei Themen wie Risikozonen für Überschwemmung oder Starkregen analysieren wir riesige Datenmengen, das ist heute technisch kein Problem mehr. Die Frage ist nicht, ob sondern wie man es klug macht. Solange die Systeme mit intelligenten Algorithmen gefüttert werden, können sie auch komplexe Risiken technisch lösen. Dabei bleibt eines entscheidend: Das Vertrauen. Ich persönlich hätte noch kein gutes Gefühl dabei, meine individuellen Risiken komplett einer Maschine zu überlassen. Aber das wird sich entwickeln.

Welche Rolle spielt das Thema Embedded Insurance in der Gewerbeversicherung?

Neuhalfen: Da sehen wir erste Entwicklungen. Embedded Insurance heißt: Der Schutz ist direkt ins Produkt integriert. Im Gewerbebereich sehen wir das z. B. bei Maschinenversicherungen. Der Kunde kauft eine Maschine, und der Versicherungsschutz für zwei Jahre ist ab Werk enthalten – ähnlich einer Garantieverlängerung. Vertragspartner ist dann der Hersteller, nicht der Endkunde. Für dessen Makler heißt das: Er verliert dieses Geschäft. Aber es entstehen neue Volumina – für Makler, die den Hersteller betreuen. Der Rahmenvertrag würde dann für alle verkauften Maschinen gelten. Ähnlich im Bau: Beim Hauskauf ist die Wohngebäudeversicherung oft schon dabei. Früher hieß das „produktakzessorische Lösung“, heute Embedded Insurance. Neu ist das Prinzip nicht, aber es wird im Gewerbe wiederentdeckt. Vieles läuft im Hintergrund, weil es ein strategischer Vorteil sein kann: Hersteller A bietet es an, B nicht. Das wird schnell zum Differenzierungsmerkmal. Da ist noch viel Raum für Ideen und für Vermittler, die kreativ mitdenken.

KI verändert die Bedrohungslage in der Cyberversicherung. Allein im letzten Jahr sollen laut Bitkom Schäden von 178 Milliarden Euro entstanden sein, mit steigender Tendenz. Besonders im Fokus: kleine Betriebe, also die ALH-Kundengruppe. Welche Anforderungen stellen Sie an ihre Kunden in Sachen IT-Sicherheit und Prävention?

Neuhalfen: Sie haben recht – leider passiert noch viel zu wenig. Ein kleiner Kiosk wird nicht gezielt gehackt. Aber genau das ist das Problem: Viele Attacken sind Zufallstreffer, wie ein Eimer Wasser, der irgendwo ausgeschüttet wird. Wenn dann die Tür offensteht, läuft das Wasser rein. Übertragen heißt das: Wer eine Einbruchversicherung abschließt, braucht auch eine Tür mit Schloss – und der Schlüssel sollte nicht außen stecken. Im digitalen Raum ist das genauso: Datensicherung, Updates, sichere Passwörter sind Basismaßnahmen. Jeder weiß das, aber viele machen es nicht. Das ist unser Dilemma als Versicherer: Wir mahnen. Und das ist nicht populär. Prävention soll verhindern, dass etwas passiert. Und wenn doch, hilft die Versicherung. Auch bei Cyber gilt: Wir stellen nur ein paar einfache Fragen. Wer die verneint, sagt letztlich: Ich trage das Risiko selbst. Das ist okay, aber dann können wir eben nicht helfen.

Was siehen Sie aktuell als größte vertriebliche Herausforderung im Bereich Cyberversicherung?

Neuhalfen: Cyber ist eine kleine, erklärungsbedürftige Sparte – neu, komplex, wenig populär. Viele schrecken davor zurück. Ich plädiere für einen Perspektivwechsel: Statt auf Probleme zu schauen, sollten wir die Chancen sehen. Denn: Das Risiko ist real und anerkannt, die Marktdurchdringung aber gering. In der klassischen Kompositwelt herrscht Verdrängungswettbewerb: Das Neugeschäft ist meist das Storno des anderen. Bei Cyber ist es anders. In Deutschland gibt es mehrere Millionen Betriebe – aber wahrscheinlich nur ein paar hunderttausend Cyberpolicen. Das heißt: Die allermeisten sind nicht abgesichert. Das ist eine echte Chance für Vermittler. Wer Cyber nicht anspricht, riskiert, dass ein anderer das tut – und der holt womöglich das ganze Mandat. Deshalb gehört Cyberberatung zum Ethos guter Beratung. Sie zeigt Verantwortung – und sichert den Bestand. Der Kunde kann Nein sagen. Aber er muss es gehört haben. Schlimm wird es nur, wenn der Schaden da ist – und der Kunde fragt: „Warum hat mich keiner gewarnt?“ und wenn sie passieren, dann meist still. Weil sie oft peinlich sind. Die Fälle, die publik werden, sind meist die besonders unangenehmen. Und das ist nur ein weiterer Grund, warum Prävention und Beratung hier so wichtig sind.

Sie hatten gerade das Bild vom „Wasser vor der Haustür“ verwendet – und da sind wir beim Thema Elementargefahren. Wie groß ist die Risikowahrnehmung bei gewerblichen Kunden?

Neuhalfen: Das Thema beschäftigt uns sehr. Die Risikosensibilität bei Unternehmenskunden ist deutlich gestiegen, spätestens seit der Flut im Ahrtal 2021. Damals wurde klar: Elementarschäden treffen nicht nur Wohnhäuser, sondern auch Praxen, Hallen, Maschinen. Und die stellt man nicht einfach auf Paletten, wenn 20 cm Wasser in der Halle stehen. Was viele nicht wussten: Moderne Gewerbepolicen – sogenannte Extended-Coverage-Konzepte – beinhalten Überschwemmungsschutz seit Jahrzehnten. Nur wurde das lange kaum aktiv verkauft. Heute schauen Kunden genauer hin. Die Abschlussquoten steigen, besonders in gefährdeten Lagen. Aber klar ist: In stark gefährdeten Regionen wird eine Versicherung irgendwann unmöglich. Dann braucht es staatliche Lösungen. Entscheidend ist: Wie wird es ausgestaltet? Denn nicht alle Modelle funktionieren. Die zentrale Frage bleibt: Bekommt der Versicherer eine faire Prämie? Und wer zahlt sie? Der Kunde oder der Steuerzahler? Letzteres wäre nur eine Verlagerung des Problems.

Im Gespräch ist auch eine Opt-out-Lösung. Aber was passiert, wenn ein Kunde ablehnt, das volle Risiko eingeht und am Ende trotzdem auf staatliche Hilfe hofft? Das konterkariert doch den Ansatz?

Neuhalfen: Wir arbeiten längst mit Opt-out-Modellen in der privaten Wohngebäude- und Hausratversicherung. Unsere Philosophie: Der Schutz ist da, wer ihn nicht will, muss aktiv widersprechen. Nur wo das Risiko faktisch schon unter Wasser steht, bieten wir keinen Schutz – denn nicht jedes Risiko ist versicherbar. Punkt. Genau dort muss der Staat eine Antwort finden. Problematisch wird es bei Neubauten. Viele Baugebiete liegen auf ehemaligen Ried- oder Moorflächen – „Am Ried“ klingt schön, aber dass dort Wasser steht, überrascht nicht. Die Frage ist: Hat die öffentliche Hand den Mut, dort Nein zu sagen? Oder schafft sie es, konsequent in Schutzmaßnahmen wie Deiche, Rückhalteflächen, Entwässerung zu investieren? Realistisch dauert das Jahrzehnte. Wir als Versicherer stehen am Ende der Kette. Wenn also eine Pflichtversicherung kommt, muss vorher klar sein, wie sie ausgestaltet wird. Einfach zu sagen „alle zahlen gleich“ wäre sicher keine gute Lösung.

Nachhaltigkeit wird auch im Gewerbesegment immer wichtiger. Berücksichtigt die Alte Leipziger ESG-Aspekte inzwischen bei der Produktgestaltung, der Risikoprüfung oder der Schadenregulierung?

Neuhalfen: Ehrlich gesagt: bislang nur nachgelagert. ESG ist ein schwieriges, oft emotionales Thema. Ich denke an die Debatte um Waffenhersteller: Früher gesellschaftlich geächtet, heute gelten sie – wegen der veränderten Weltlage – als Teil der Sicherheitsarchitektur. Das zeigt, wie ambivalent ESG sein kann. Ähnlich bei der Dekarbonisierung: In den 1980ern war Kohle das Rückgrat der Industrie – heute sind die Bergwerke geflutet, die Maschinen stehen in China. Die Politik fordert neue Technologien, aber: Der Staat will Wandel, Versicherer sind bei experimentellen Risiken vorsichtig, Banken zögern mit Finanzierungen – und die Unternehmen stehen dazwischen. Das hat mehr mit technologischem Reifegrad zu tun als mit ESG-Ratings. Im Underwriting achten wir auf Dinge wie Entsorgung oder Stromversorgung – etwa bei PV-Anlagen. Entscheidend ist, ob sie fachgerecht verbaut und gewartet sind – aus Brandschutzgründen. Rabatte für nachhaltige Ausstattung gibt es derzeit nicht – es fehlt der versicherungstechnisch belastbare Zusammenhang. Vielleicht kommt das noch. Aktuell ist der Markt bei ESG eher zurückhaltend. Und wir sind da keine Ausnahme.

Welchen Rat geben Sie Vermittlern, die ins Gewerbegeschäft einsteigen wollen?

Neuhalfen: Die Gewerbeversicherung ist kein Schreckgespenst. Im Gegenteil: Sie wird immer wichtiger, wenn Vermittler langfristig erfolgreich bleiben wollen. Das einfache Privatkundengeschäft wird zunehmend digitalisiert, klassische Vertriebsmodelle verlieren an Bedeutung. Strategisch lohnt es sich, ein zweites Standbein im Gewerbebereich aufzubauen. Gerade im regionalen Mittelstand gibt es viele inhabergeführte Betriebe mit Beratungsbedarf. Das ist People Business. Wer dort mit Expertise und Nähe überzeugt, schafft Bindung und Vertrauen. Hinzu kommt: Mit steigenden Prämien steigen auch die Courtagen. Man könnte auch sagen: Es ist eine eingebaute Gehaltserhöhung für engagierte Vermittler.

Herr Neuhalfen, welchen Stellenwert hat die Gewerbeversicherung für die Alte Leipziger?

Neuhalfen: Die Gewerbeversicherung – also das Nicht-Privatkundengeschäft im Kompositbereich – ist für uns ein strategisches Schwerpunktthema. Das zeigt auch unser Claim: „#Gewerbeversteher“. Dahinter steckt mehr als ein Wortspiel. Wir wollen die Realität der Gewerbekunden verstehen – und ebenso die der Vermittler, die meist Makler oder Mehrfachagenten sind. Sie haben eigene Herausforderungen, die wir ernst nehmen. Deshalb unterstützen wir gezielt, fachlich und im Vertriebsalltag. Denn Gewerbeversicherung ist kein Selbstläufer – sie ist komplex und beratungsintensiv. Gleichzeitig ist die Sparte ein Gegengewicht zum wachsenden Privatkundengeschäft. Unser Ziel: beide Bereiche strategisch und ausgewogen weiterentwickeln.

Sie hatten vor drei Jahren im Interview mit unserem Magazin gesagt: „Wir wollen Vermittlers erste Wahl im Gewerbe- und mittleren Industriesegment sein.“ Wo stehen Sie 2025?

Neuhalfen: In einigen Segmenten gehören wir inzwischen sicher zu den Top 3. Ob nun Top 5 oder Top 3 ist am Ende nicht entscheidend. Wichtiger ist die Frage: Sind wir relevant? Für uns heißt das: Wenn ein Makler nachts um vier gefragt wird „Wen rufe ich an, wenn’s kompliziert wird?“, dann wollen wir auf dieser Liste stehen. Und ich glaube, das gelingt uns zunehmend. Allerdings wächst mit steigender Relevanz die Herausforderung, das Mengenwachstum sauber zu bewältigen. Letztlich geht es um eine gesunde Entwicklung mit Ertrag und Qualität. Was wir spüren: Unsere Branche stößt an strukturelle Grenzen. Viele Prozesse laufen noch manuell, die Digitalisierung ist längst nicht abgeschlossen. Es gibt zu viele Workarounds, die man mit smarter Technik – und da muss es nicht mal KI sein – effizienter und sicherer lösen könnte. Klar ist aber auch: Die Menschen bleiben zentral. Digitalisierung ersetzt sie nicht, sie verändert ihre Aufgaben. Und genau das ist die Chance.

Wie kommt es, dass die Alte Leipziger auch im Gewerbesegment überzeugt? 

Neuhalfen: Die Wahrheit ist: Hinter unserem Erfolg steckt viel Arbeit. Dass wir in der Lebensversicherung etwa in der bAV oder Biometrie heute zu den Marktführern zählen, ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis einer langfristigen, konsequenten Strategie: starke Produkte, Marktverständnis, enge Vermittlerbetreuung. So ist es auch in der Kompositversicherung. Vor etwa sechs Jahren haben wir uns intensiv gefragt: Wie schaffen wir echte Relevanz beim Vermittler? Die Antwort ist klar: Ein klares Profil und verlässliche Antworten auf zentrale Fragen. Nur so wird man als Partner wahrgenommen. Und: Man muss den Mut haben, auch Nein zu sagen. Dort, wo wir nicht stark sein können oder wollen, steigen wir bewusst nicht ein. Diese strategische Klarheit hat sich ausgezahlt. Unser Ansatz ist die gezielte Positionierung in definierten Segmenten. So lassen sich Marktanteile gewinnen. Und diesen Weg gehen wir weiter.

Es gibt viele Wettbewerber in dem Segment. Wie gelingt der Alte Leipziger die Differenzierung?

Neuhalfen: Im Markt tummeln sich rund 166 Kompositversicherer, vom Weltkonzern bis zum kleinen Regionalanbieter. Viele machen einen guten Job, sonst wären sie nicht mehr da. Aber wir verstehen uns als Vermittlerversicherer. Das ist ein spezielles Segment, in dem man nicht gegen alle 166 antritt. In der Praxis arbeitet die Vermittlerschaft mit wenigen Dutzend Anbietern – ein überschaubarer Markt. Gerade im Gewerbegeschäft zählt der persönliche Kontakt. Vermittler schätzen feste Ansprechpartner, am besten erreichbar, ohne digitale Hürden. Diese Nähe schafft ein Vertrauen und eine Verlässlichkeit, die heute rar geworden ist. Genau das macht den Unterschied, wenn es mal schwierig wird. Unsere Haltung ist klar: Versicherung bleibt People Business. Digitalisierung nutzen wir da, wo sie Prozesse verbessert. Aber sie ersetzt nicht den Menschen – und vor allem nicht im komplexeren Gewerbegeschäft. Da muss jemand rausfahren, Risiken anschauen, bewerten, mitdenken. Das übernehmen keine Avatare, sondern erfahrene Fachleute. Darum investieren wir in Personal und nicht in Effizienz um jeden Preis. Denn Sonderrisiken lassen sich nicht in Tarifbausteinen abbilden. Dafür braucht es individuelle Lösungen. Für uns ist genau das im Gewerbebereich entscheidend.

Wie digital lässt sich das Gewerbegeschäft spielen? Und wo liegt die Grenze zwischen Masse und Maßkonfektion?

Neuhalfen: Technisch betrachtet gibt’s eigentlich keine echte Grenze mehr. Die Rechenleistung ist heute theoretisch unbegrenzt skalierbar. Was früher als „nicht vergleichbar“ galt, weil Gewerbeversicherungen so individuell sind, lässt sich inzwischen zunehmend standardisieren – durch Daten, Technologie und eben auch KI. Das, was heute möglich ist, konnte man sich vor 30 Jahren schon denken. Aber damals fehlte schlicht die Rechenpower. Heute ist sie da – und plötzlich funktioniert es. Was im Kfz-Bereich längst Standard ist – Tarifierung, Vergleichbarkeit, Automatisierung – wird jetzt im Privatbereich zur Norm und kommt allmählich auch im Gewerbegeschäft an. Gerade bei Themen wie Risikozonen für Überschwemmung oder Starkregen analysieren wir riesige Datenmengen, das ist heute technisch kein Problem mehr. Die Frage ist nicht ob, sondern wie man es klug macht. Solange die Systeme mit intelligenten Algorithmen gefüttert werden, können sie auch komplexe Risiken technisch lösen. Dabei bleibt eines entscheidend: Das Vertrauen. Ich persönlich hätte noch kein gutes Gefühl dabei, meine individuellen Risiken komplett einer Maschine zu überlassen. Aber das wird sich entwickeln. 

KI verändert die Bedrohungslage in der Cyberversicherung. Allein im letzten Jahr sollen laut Bitkom Schäden von 178 Milliarden Euro entstanden sein, mit steigender Tendenz. Besonders im Fokus: kleine Betriebe, also die ALH-Kundengruppe. Welche Anforderungen stellen Sie an ihre Kunden in Sachen IT-Sicherheit und Prävention?

Neuhalfen: Sie haben recht – leider passiert in den Bereichen IT-Sicherheit und IT-Prävention noch viel zu wenig. Ein kleiner Kiosk wird vielleicht nicht gezielt gehackt. Aber genau das ist das Problem: Viele Attacken sind Zufallstreffer, wie ein Eimer Wasser, der irgendwo ausgeschüttet wird. Wenn dann die Tür offensteht, läuft das Wasser rein. Übertragen heißt das: Wer eine Einbruchversicherung abschließt, braucht auch eine Tür mit Schloss – und der Schlüssel sollte nicht außen stecken. Im digitalen Raum ist das genauso: Datensicherung, Updates, sichere Passwörter sind Basismaßnahmen. Jeder weiß das, aber viele machen es nicht. Das ist unser Dilemma als Versicherer: Wir mahnen. Und das ist nicht populär. Prävention soll verhindern, dass etwas passiert. Und wenn doch, hilft die Versicherung. Auch bei Cyber gilt: Wir stellen nur ein paar einfache Fragen. Wer die verneint, sagt letztlich: Ich trage das Risiko selbst. Das ist okay, aber dann können wir eben nicht helfen.

Sie hatten gerade das Bild vom „Wasser vor der Haustür“ verwendet – und da sind wir beim Thema Elementargefahren. Wie groß ist die Risikowahrnehmung bei gewerblichen Kunden? 

Neuhalfen: Das Thema beschäftigt uns sehr. Die Risikosensibilität bei Unternehmenskunden ist deutlich gestiegen, spätestens seit der Flut im Ahrtal 2021. Damals wurde klar: Elementarschäden treffen nicht nur Wohnhäuser, sondern auch Praxen, Hallen, Maschinen. Und die stellt man nicht einfach auf Paletten, wenn 20 cm Wasser in der Halle stehen. Was viele nicht wussten: Moderne Gewerbepolicen – sogenannte Extended-Coverage-Konzepte – beinhalten Überschwemmungsschutz seit Jahrzehnten. Nur wurde das lange kaum aktiv verkauft. Heute schauen Kunden genauer hin. Die Abschlussquoten steigen, besonders in gefährdeten Lagen. Aber klar ist: In stark gefährdeten Regionen wird eine Versicherung irgendwann unmöglich. Dann braucht es staatliche Lösungen. Entscheidend ist: Wie wird es ausgestaltet? Denn nicht alle Modelle funktionieren. Die zentrale Frage bleibt: Bekommt der Versicherer eine faire Prämie? Und wer zahlt sie? Der Kunde oder der Steuerzahler? Letzteres wäre nur eine Verlagerung des Problems.

Welchen Rat geben Sie Vermittlern, die ins Gewerbegeschäft einsteigen wollen? 

Neuhalfen: Die Gewerbeversicherung ist kein Schreckgespenst. Im Gegenteil: Sie wird immer wichtiger, wenn Vermittler langfristig erfolgreich bleiben wollen. Das einfache Privatkundengeschäft wird zunehmend digitalisiert, klassische Vertriebsmodelle verlieren an Bedeutung. Strategisch lohnt es sich, ein zweites Standbein im Gewerbebereich aufzubauen. Gerade im regionalen Mittelstand gibt es viele inhabergeführte Betriebe mit Beratungsbedarf. Das ist People Business. Wer dort mit Expertise und Nähe überzeugt, schafft Bindung und Vertrauen. Hinzu kommt: Mit steigenden Prämien steigen zudem auch die Courtagen. Man könnte auch sagen: Es ist eine eingebaute Gehaltserhöhung für engagierte Vermittler. 

Dieser Artikel ist Teil des EXKLUSIV ALH Gruppe. Alle Artikel des EXKLUSIV finden Sie hier.

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