Rund eine Billion Euro beträgt der Wert der Goldderivate – also von Schuldverschreibungen auf physisches Gold – in der Eurozone derzeit, wenn man mit einem Goldpreis von 3.200 Dollar pro Unze rechnet. Das bedeutet einen Anstieg von 58 Prozent seit November 2024, wie aus einer aktuellen Veröffentlichung der Europäischen Zentralbank (EZB) hervorgeht. Das entspricht rund 9.720 Tonnen Gold, dem Dreifachen der weltweiten Jahresproduktion. Üblicherweise werden Terminkontrakte nicht physisch ausgeliefert, sondern verlängert oder abgerechnet. Die EZB warnt jedoch jetzt davor, dass sich Investoren das über den Terminmarkt gekaufte Gold womöglich in physischer Form liefern lassen wollen – was bei der ausstehenden Menge zu Lieferausfällen mit unabsehbaren Folgen führen würde.
Das Problem: Nach der Beschlagnahmung der russischen Zentralbankreserven suchen die BRICS-Staaten nach Anlagealternativen für ihre Dollar- und Euroreserven und bauen die Goldbestände massiv aus. Sollten die Zentralbanken der BRICS-Staaten hinter dem Aufbau der Goldderivate stehen und sich das Gold ausliefern lassen wollen, droht nicht nur ein unkontrollierbarer Preisanstieg, auch Lieferengpässe, hohe Nachschussforderungen oder sogar Totalausfälle wären möglich und würden die Kontraktpartner – Banken in der Eurozone – in ihrer Existenz gefährden.
Martin Siegel, Geschäftsführer und Inhaber der Stabilitas GmbH, merkt an: „Die EZB weist auf ein wichtiges Problem hin. Sollten die Investoren auf physischer Lieferung in erheblichem Umfang bestehen, dann würde der Goldpreis sprunghaft ansteigen und die Nachfrage nach Gold könnte nicht mehr bedient werden. Die einzige Möglichkeit, einen Kollaps des Marktes und die Pleite von beteiligten Marktteilnehmern wären massive Eingriffe der Aufsichtsbehörden bis zu einer vorübergehenden Schließung der Märkte.“
Nur physisches Gold schützt vor einem Lieferungsausfall
Was bedeutet dieses Szenario für den Privatanleger? Das macht ein Blick in einen beispielhaften Verkaufsprospekt für Goldderivate mit Lieferoption deutlich: „Die Fähigkeit der Emittentin, ihre Verpflichtungen aufgrund der Schuldverschreibungen erfüllen zu können, hängt daher davon ab, dass für sämtliche Schuldverschreibungen eine Deckung vorhanden ist.“ Genau diese Fähigkeit ist in Gefahr. Das alles kann ungeahnte Folgen für die internationale Finanzmarktstabilität haben.
So bleiben nach der Warnung durch die EZB einige Fragen offen. Wäre es nicht viel früher an der Zeit gewesen, vor einer möglichen mangelnden Deckung von Goldderivaten zu warnen? Ist überhaupt noch genug physisches Gold vorhanden, um alle Derivate zu decken? Welche Rolle spielen die Zentralbanken der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) beim Kauf von physischem Gold über die Derivatemärkte?
Klar ist: Die Warnung der EZB ist ernst zu nehmen. Für Anleger sollte die Konsequenz lauten, ihre Derivate in physisches Gold zu tauschen oder direkt physisch zu kaufen, statt auf Schuldverschreibungen mit unsicherer Deckung zu setzen. Profitieren dürften davon auch die Goldminenbetreiber und all jene, die in ihre Aktien investiert haben. Die Nachfrage nach Goldminenaktien ist in den letzten Tagen sprunghaft angestiegen.