Die Finanzbranche spricht viel über Digitalisierung, Prozesseffizienz und Regulierung – aber zu selten über das, worum es eigentlich geht: den Kunden. Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften beschäftigen sich zunehmend mit sich selbst, statt mit der Frage, was ihre Kundinnen und Kunden wirklich verstehen. Wer heute Finanzprodukte anbietet, sollte sich ehrlich fragen: Wissen Anleger überhaupt, was sie da kaufen – und warum?
Denn Wissen ist in unsicheren Zeiten wichtiger denn je. Geopolitische Spannungen, wie der Krieg in der Ukraine, der Konflikt in Israel und Gaza oder die anhaltenden Spannungen zwischen Russland und der Nato beeinflussen Märkte weltweit. Inflation, Zinswenden und Energiepreise verunsichern Anleger zusätzlich. Gerade jetzt braucht es Berater, die Orientierung bieten, Zusammenhänge erklären und Emotionen einordnen – nicht Verkäufer, die Produkte absetzen. In Zeiten globaler Unruhe wird die Finanzberatung zur Aufklärungsarbeit.
Dass Aufklärung nötig ist, zeigen die Zahlen. Laut einer aktuellen Studie der Bafin konnten nur 21 Prozent der Befragten alle Fragen zu grundlegenden Finanzthemen richtig beantworten. Rund ein Drittel scheiterte bereits an Basiswissen. Männer schnitten etwas besser ab als Frauen, Menschen mit höherer Bildung deutlich besser als jene mit niedrigerem Schulabschluss.
Ähnlich das Bild in einer Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): 62 Prozent der Haushalte beantworteten einfache Finanzfragen korrekt – bei Personen ohne Abitur oder Ausbildung waren es nur 37 Prozent. Besonders Frauen und Ostdeutsche lagen unter dem Durchschnitt. Die Finanztip-Stiftung verdeutlichte, wie gering das Praxiswissen ist: Nur 48 Prozent ihrer mehr als 3.000 Befragten erreichten, mehr als sechs richtige Antworten von zwölf, über 20 Prozent schafften nicht einmal drei.
Diese Defizite prägen das Verhalten. Laut der Commerzbank-Studie 2024 parkt die Mehrheit ihr Geld lieber auf Tages- oder Festgeldkonten statt in Aktien oder Fonds. Die Angst vor Verlusten überwiegt – und das in einer Zeit, in der Inflation reale Vermögenswerte aufzehrt. Fast 90 Prozent der Bankkunden wünschen sich laut PwC-Umfrage mehr persönliche Beratung und verständliche Informationen. Viele geben offen zu, dass sie die angebotenen Produkte schlicht nicht verstehen. Daran ändert auch der gesetzlich vorgeschriebene „Beipackzettel“ wenig. Er ist Pflicht, aber selten hilfreich – weil er Komplexität nicht auflöst, sondern nur formal abdeckt.
Wenn Kunden falsche oder gar keine Anlageentscheidungen treffen, ist das nicht allein ihr Versagen. Es ist auch eine Bringschuld der Finanzanbieter, Zusammenhänge begreifbar zu machen. Eine Sprache, die Menschen ohne Finanzhintergrund erreicht, ist keine Schwäche, sondern Stärke. Gerade in geopolitisch turbulenten Zeiten müssen Berater erklären, wie Märkte auf politische Entwicklungen reagieren, warum Diversifikation schützt und wie langfristiges Denken Krisen übersteht. Wer das ignoriert, überlässt Kunden ihren Ängsten – und verliert Vertrauen.
Wenn Beratung wieder erklärt, statt verkauft, wenn Produkte transparent bleiben und Finanzbildung fester Teil der Kundenbeziehung wird, entsteht Vertrauen. Kunden wollen verstehen – man muss sie nur ernst nehmen. Denn Wissen ist nicht nur Schutz, sondern auch Motivation: Wer versteht, wie Rendite, Risiko und Liquidität zusammenspielen, entscheidet bewusster – und bleibt handlungsfähig, auch wenn die Weltlage wankt.
Hier liegt die eigentliche Chance: Sobald Anleger begreifen, was Kapitalmärkte leisten können, öffnen sich neue Perspektiven. Sie beschäftigen sich nicht mehr nur mit dem Sparbuch, sondern auch mit Aktien, Beteiligungen, Private Markets oder digitalen Vermögenswerten. Sie investieren nicht blind, sondern bewusst. Und genau dann – wenn Wissen, Vertrauen und Eigenverantwortung zusammenkommen – rücken Kunden wieder in den Mittelpunkt.
Tobias Eckl ist CEO und Founder der Gubbi AG.












