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Finfluencer im Faktencheck: Wie man seriöse von unseriösen Anbietern unterscheidet

Celine Nadolny
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Celine Nadolny

Wir brauchen keine neue Finanzpolizei für die sozialen Medien. Wir brauchen Menschen, die fähig sind, Inhalte selbständig einzuordnen. Gastbeitrag von Celine Nadolny, Book of Finance

Wenn irgendwo ein Finfluencer in einen Skandal verwickelt ist, dauert es nicht lange, bis die üblichen Stimmen laut werden. Dann fordern Versicherungsvertreter, Finanzberater und Journalisten wieder einmal: „Wir brauchen endlich eine Regulierung!“ Und ja, auf den ersten Blick klingt das logisch. Schließlich geht es bei Finanzen um Vertrauen, um Verantwortung – und oft um sehr viel Geld.

Aber auf den zweiten Blick offenbart sich dahinter ein ganz anderes Problem. Denn es geht in der Debatte nicht wirklich um Verbraucherschutz. Es geht nicht um Aufklärung oder Verantwortung. Es geht um Macht, Einfluss und darum, wer am lautesten schreien darf – oder besser: am meisten Reichweite hat.

Ich habe in den letzten Jahren selbst erlebt, wie sich diese Szene entwickelt hat. Wie Menschen, die keine Ahnung von ETFs, Diversifikation oder Rendite-Risiko-Verhältnissen haben, plötzlich Online-Kurse launchen, Buchempfehlungen geben oder ganze Communities leiten. Gleichzeitig aber auch, wie dieselbe Szene Menschen erreicht, die vorher noch nie über Geld, Investieren oder Altersvorsorge nachgedacht haben – und das ist im Kern erst einmal gut.


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Wer sind eigentlich die lautesten Kritiker? In der Regel handelt es sich um klassische Finanzberater, Versicherungsvermittler oder Finanzjournalisten – also Menschen, die sich jahrelang auf ihre berufliche Ausbildung oder Expertise berufen konnten und in dieser Rolle auch öffentliches Vertrauen genossen haben. Nun aber drängen immer mehr neue Stimmen in die Öffentlichkeit. Stimmen, die nicht aus etablierten Medienhäusern oder Versicherungsgesellschaften stammen, sondern von Instagram, TikTok, YouTube oder Blogs. Und diese Stimmen stellen das bisherige Machtgefüge in Frage.

Viele dieser neuen Player sind nicht reguliert. Sie haben keinen IHK-Nachweis, kein Wirtschaftsstudium, keine Lizenz der Bafin. Und trotzdem – oder gerade deshalb – erreichen sie Millionen Menschen. Die etablierten Kräfte fühlen sich dadurch bedroht. Verständlich. Denn wo früher ein Artikel in einem Wirtschaftsmagazin oder eine Bankberatung der Standard war, sind es heute Storys, Reels und Threads, die das Informationsverhalten der Menschen prägen.

Die Kritik an Finfluencern ist oft berechtigt – aber sie ist meist auch scheinheilig. Denn während man ihnen vorwirft, mit lauten Phrasen zu arbeiten, machen Finanzmagazine seit Jahrzehnten nichts anderes. „5 Aktien für 2025“ oder „Die besten ETFs des Jahres“ – diese reißerischen Titel kennen wir alle. Warum also ist es bei Finfluencern plötzlich verwerflich?

Sind IHK-Zertifikate die Lösung? Spoiler: Nein

Immer wieder wird gefordert, dass Finfluencer einen Nachweis ihrer Qualifikation erbringen sollen – am besten in Form eines IHK-Zertifikats, eines abgeschlossenen Wirtschaftsstudiums oder ähnlichem. Das klingt im ersten Moment sinnvoll. Aber bringt es wirklich etwas?

Meine klare Antwort: Nein. Denn Kompetenz ist nicht automatisch das Resultat eines Abschlusses. Ich habe selbst hunderte Finanzbücher gelesen – viele davon von Journalisten mit vermeintlicher Expertise. Und ganz ehrlich: Ein Großteil davon war inhaltlich schwach, teilweise sogar gefährlich irreführend. Bücher, die in bekannten Verlagen erscheinen, tragen oft mehr zum Mythos der Finanzbranche bei als zur Aufklärung.

Ein Abschluss garantiert keine Qualität. Und er garantiert erst recht nicht, dass jemand im Sinne der Verbraucher handelt. Gerade in der Versicherungsbranche erleben wir tagtäglich, wie Beratungsgespräche geführt werden, die in erster Linie Verkaufsveranstaltungen sind. Formal ist dabei oft, wenn auch nicht immer, alles korrekt – doch was nützt es, wenn die Produkte entweder nur 1B-Produkte einer bestimmten Gesellschaft sein dürfen oder zwar auf die Bedürfnisse, vor allem die Ängste der Kunden angepasst werden, selbst wenn diese irrational und auf fehlende finanzielle Bildung zurückzuführen sind?

Das Problem ist nicht fehlende Regulierung. Das Problem ist fehlende Transparenz und fehlendes Finanzwissen bei der Zielgruppe.

Finanzielle Bildung als Schlüssel

Und genau hier liegt der eigentliche Kern: Solange die Menschen da draußen keine solide finanzielle Bildung haben, können sie gute von schlechten Finfluencern nicht unterscheiden. Sie können nicht bewerten, ob ein Tipp fundiert ist oder nicht, ob ein Kurs seriös oder reine Abzocke ist. Sie orientieren sich an Followerzahlen, Kommentaren und Hochglanz-Content – nicht an Inhalten.

Finfluencer schreiben sich selbst Jahrzehnte an Börsenerfahrung in ihre Bio, behaupten, Ex-Banker zu sein, zeigen Depot-Screenshots und posieren in Luxusumgebungen. Alles wirkt professionell – aber was dahinter steckt, bleibt im Dunkeln. Ohne Grundkenntnisse kann niemand beurteilen, ob das alles Hand und Fuß hat.

Deshalb ist nicht mehr Regulierung die Antwort. Sondern mehr Bildung. Nur wer weiß, wie eine Aktie funktioniert, was ein ETF ist, wie man Risiken bewertet und was ein realistisches Renditeziel ist, kann Finanz-Content kritisch einordnen.

Warum die Szene sich nicht selbst reguliert

Viele hoffen darauf, dass sich die Szene selbst bereinigt. Dass unlautere Akteure irgendwann auffliegen und verschwinden. Das ist naiv. Denn es gibt keine natürliche Selektion, wenn der Markt auf Aufmerksamkeit statt auf Qualität basiert.

Im Gegenteil: Besonders dreiste Akteure florieren – weil sie genau das sagen, was die Leute hören wollen. Weil sie einfache Antworten liefern auf komplexe Fragen. Und weil sie mit emotionalen Geschichten, Erfolgsversprechen und Fear-of-Missing-Out-Strategien arbeiten, die jeder klassische Finanzberater auch aus dem Werkzeugkasten der letzten „Vertriebsschulung“ kennt.

Diese Dynamik kennt keine Ethik – nur Algorithmen. Was sich gut klickt, wird ausgespielt. Und was sich gut verkauft, wird gemacht. Die moralische Grenze ist da oft sehr flexibel. Aber es wäre naiv zu denken, dass das ein exklusives Problem der Finfluencer und kein Spiegelbild der gesamten Branche ist.

Der unterschätzte Einfluss der Medien

Was in der Debatte meist komplett fehlt, ist der Blick auf die klassischen Medien. Auch sie haben ein Interesse daran, sich von Finfluencern abzugrenzen – ihre Reichweite für sich zu nutzen oder sie gezielt anzugreifen. Denn sie verlieren nicht nur Leser, sondern auch Reichweite, Werbebudgets und Relevanz.

Und genau deshalb wird in Artikeln über dubiose Finfluencer gerne mit dem Finger gezeigt, während dieselbe Plattform an anderer Stelle einen Beitrag mit „Die besten Krypto-Investments 2025“ veröffentlicht. Doppelmoral? Aber hallo.

Auch Journalisten schützen sich gegenseitig. Sie loben sich gegenseitig, schreiben Vorworte für die Bücher der Kollegen, halten diese ungelesen in die Kamera, geben sich Interviews und zitieren sich gegenseitig. Die Blase schützt sich selbst – das habe ich nach über fünf Jahren in der Branche immer wieder erlebt. Wer einmal miteinander auf einer der zahlreichen Netzwerkveranstaltungen angestoßen hat, kritisiert sich nur, wenn die andere Person zum Abschuss freigegeben wurde – was so gut wie nie passiert.

Mein Fazit: Bildung vor Regulierung

Wir brauchen keine neue Finanzpolizei für die sozialen Medien – wobei ich äußerst interessiert wäre zu erfahren, wer sich als solche aufspielen würde. Wir brauchen Menschen, die fähig sind, Inhalte selbständig einzuordnen. Menschen, die nicht jedem Trend hinterherlaufen, nicht jede Empfehlung blind befolgen, nicht jede Zahl glauben, nur weil sie gut aussieht.

Das geht aber nur, wenn wir endlich ernsthaft über finanzielle Bildung sprechen. Wenn wir beginnen, Kindern in der Schule beizubringen, was Geld eigentlich ist. Wie man spart, investiert, Verträge liest und Risiken einschätzt. Wenn wir Erwachsene motivieren, sich mit ihren Finanzen auseinanderzusetzen, statt sie in die Hände vermeintlicher Experten zu legen – egal ob analog oder digital.

Solange wir diese Baustelle nicht lösen, wird es immer schwarze Schafe geben. Und leider auch immer Menschen, die auf sie hereinfallen.

Celine Nadolny ist Gründerin und Geschäftsführerin von Book of Finance.

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