Global Risk Report 2024: „Staaten und Menschen geraten an die Grenzen der Anpassungsfähigkeit“

Die Erde droht zu zerbrechen
Bildagentur PantherMedia / Oleksandrum79
Das World Economic Forum zeichnet ein düsteres Bild.

Verschiebungen in der globalen Machtdynamik, im Klima, in der Technologie und in der Demografie bringen die Anpassungsfähigkeit sowohl von Staaten als auch Einzelpersonen an ihre Grenzen. Der Global Risks Report 2024 von Zurich und Marsh McLennan zeichnet ein düsteres Bild.

Die Welt taumelt derzeit durch viele Krisen und das erzeugt Ängste. Wie groß die Befürchtungen sind, belegen die Ergebnisse des neuen Global Risks Report 2024 des World Economic Forum. Die Ergebnisse zeigen, dass die globalen Aussichten kurzfristig überwiegend negativ eingeschätzt werden und sich langfristig sogar noch weiter verschlechtern könnten. Für die kommenden beiden Jahre erwarten 30 Prozent der globalen Experten eine erhöhte Wahrscheinlichkeit globaler Katastrophen; für die nächsten zehn Jahre steigt dieser Anteil auf fast zwei Drittel. 

Der Bericht, der in Zusammenarbeit mit der Zurich Insurance Group und Marsh McLennan erstellt wurde, stützt sich auf die Perspektiven von über 1.400 globalen Risikoexperten und führenden Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, die im September 2023 befragt wurden.

Die Studie warnt vor einer globalen Risikolandschaft, in der bereits erzielte Fortschritte in der menschlichen Entwicklung zu erodieren drohen. Verschiebungen in der globalen Machtdynamik, im Klima, in der Technologie und in der Demografie brächten die Anpassungsfähigkeit sowohl von Staaten als auch Einzelpersonen an ihre Grenzen, so die Studienautoren.

Sie befürchten, dass die Kooperationsbereitschaft bei der Bewältigung drängender globaler Probleme zunehmend bröckeln könnte. Notwendig seien neue Ansätze in der Risikobewältigung. Aufhorchen lässt, dass immerhin zwei Drittel der globalen Experten befürchten, dass sich in den nächsten zehn Jahren eine multipolare oder fragmentierte Weltordnung herausbilden wird, in der Mittel- und Großmächte in Konkurrenz zueinander neue Regeln und Normen setzen – aber auch durchsetzen – werden. 

„Eine instabile Weltordnung, die von polarisierenden Narrativen und Unsicherheit gekennzeichnet ist, die sich verschärfenden Auswirkungen extremer Wetterereignisse und wirtschaftliche Unsicherheit führen dazu, dass sich Risiken – einschließlich Fehl- und Desinformationen – beschleunigen und immer weiter ausbreiten“, sagte Saadia Zahidi, Managing Director beim World Economic Forum. Zahidi fordert, ein Treffen der Führungspersonen der Welt, um kurzfristige Krisen zu bewältigen und die Grundlagen für eine widerstandsfähigere, nachhaltigere und integrativere Zukunft zu schaffen.“

Zunahme von Desinformation und Konflikten

Die Besorgnis über eine anhaltende Krise bei den Lebenshaltungskosten und die miteinander verknüpften Risiken von KI-gesteuerter Fehl- und Desinformation sowie gesellschaftlicher Polarisierung dominieren den Risikoausblick für 2024. Der Zusammenhang zwischen Falschinformationen und gesellschaftlichen Unruhen wird bei den Wahlen, die in den nächsten zwei Jahren in mehreren großen Volkswirtschaften anstehen, im Fokus sein.

Bewaffnete zwischenstaatliche Konflikte gehören zu den fünf größten Sorgen für die nächsten zwei Jahre. Mit Blick auf eine Reihe von aktuellen Konflikten führen die zugrundeliegenden geopolitischen Spannungen sowie das Risiko einer schwindenden gesellschaftlichen Resilienz dazu, dass Konflikte übergreifen können.

Wirtschaftliche Unsicherheit und rückläufige Entwicklung

Darüber hinaus zeigen sich die Experten überzeugt, dass die anhaltende wirtschaftliche Unsicherheit und eine wachsende ökonomische und technologische Kluft die kommenden Jahre prägen werden. Der Mangel an wirtschaftlichen Möglichkeiten steht in den nächsten zwei Jahren an sechster Stelle. Längerfristig könnten sich Barrieren für eine ökonomische Mobilität aufbauen, die große Teile der Bevölkerung von wirtschaftlichen Chancen ausschließen.

Zudem wird befürchtet, dass konfliktgefährdete oder Länder, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind, zunehmend von Investitionen, Technologien und der damit verbundenen Schaffung von Arbeitsplätzen abgeschnitten werden. Die fehlenden Perspektiven können Menschen anfälliger für Kriminalität, Militarisierung oder Radikalisierung machen, so eine weitere Befürchtung.

Ein Planet in Gefahr

Alarmierend ist zudem, dass neben politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten die Umwelt- und Klimarisiken nicht nur nach wie vor bestehen und sich weiter verschärfen und zwar über den gesamten Prognosezeitraum. Zwei Drittel der globalen Experten sind 2024 über extreme Wetterereignisse besorgt. Extremwetter, kritische Veränderungen der Erdsysteme, der Verlust der Artenvielfalt und der Zusammenbruch von Ökosystemen, die Verknappung natürlicher Ressourcen und Umweltverschmutzung stellen fünf der zehn größten Risiken im nächsten Jahrzehnt dar.

Die befragten Experten waren sich jedoch uneinig über die Dringlichkeit der Risiken – Befragte aus dem privaten Sektor erwarten eher als Befragte aus der Zivilgesellschaft oder dem öffentlichen Sektor, dass die meisten Umweltrisiken über einen längeren Zeitraum hinweg eintreten werden. Dies deutet auf ein wachsendes Risiko hin, dass unumkehrbare Kipppunkte erreicht werden. 

Reaktion auf Risiken

Der Bericht fordert politische und wirtschaftliche Entscheider auf, Maßnahmen zur Bewältigung globaler Risiken zu evaluieren. Er empfiehlt, die globale Zusammenarbeit auf die rasche Entwicklung von Schutzmechanismen gegen die disruptivsten neuen Risiken zu konzentrieren. Der Bericht untersucht jedoch auch andere Arten von Maßnahmen, die nicht notwendigerweise auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit angewiesen sind. Dazu gehören beispielsweise digitale Aufklärungskampagnen gegen Fehl- und Desinformation, um die Widerstandsfähigkeit von Individuen und Staaten zu stärken; oder die Förderung intensiverer Forschung und Entwicklung von Klimamodellen und Technologien, um so die Energiewende zu beschleunigen. Hier seien sowohl der öffentliche als auch der private Sektor gefordert. 

„Durchbrüche bei der künstlichen Intelligenz werden die Risikoperspektiven für Unternehmen radikal verändern, da viele Unternehmen Bedrohungen, die aus Fehlinformation, Disintermediation und strategischen Fehleinschätzungen resultieren, nur schwer begegnen können. Gleichzeitig müssen Unternehmen Lieferketten managen, die aufgrund geopolitischer Gegebenheiten, des Klimawandels und der Cyber-Bedrohungen durch eine wachsende Anzahl böswilliger Akteure immer komplexer werden“, bewertet Carolina Klint, Risk Management Leader, Continental Europe, bei Marsh, die Studienergebnisse.

Es sein notwendig, sich unermüdlich darauf zu konzentrieren, die Resilienz auf organisatorischer, nationaler und internationaler Ebene zu stärken, die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor zu intensivieren. Nur so lasse sich dieser rasch verändernden Risikolandschaft begegnen.

„Die Welt durchläuft mit KI, Klimawandel, geopolitischen Verschiebungen und demografischen Veränderungen einen tiefgreifenden Strukturwandel. Deshalb äusserten sich 92 Prozent der befragten Risikoexperten über den 10-Jahres-Horizont hinweg pessimistisch“, ergänzt John Scott, Head of Sustainability Risk, Zurich Insurance Group.

Dass sich bekannte Risiken verschärfen und neue Risiken abzeichnen, biete aber auch Chancen. „Natürlich spielen gemeinsame und koordinierte, grenzüberschreitende Maßnahmen eine wichtige Rolle. Aber auch lokal ausgerichtete Strategien sind entscheidend, um die Auswirkungen globaler Risiken zu mindern. Das individuelle Handeln von Bürgern, Unternehmen und Ländern kann die globale Risikominderung vorantreiben und zu einer besseren und sichereren Welt beitragen“, resümiert Scott.  

 

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