Globale Finanzen: Bringt die Zoll- auch eine Marktwende?

Weltkugel aus Glas auf einer Kurve
Foto: PantherMedia/dpcrestock (Konstantin Kirillov)
Wohin sich die Kapitalmärkte entwickeln könnten.

Vincent Mortier, Group CIO Amundi und Monica Defend, Head of Amundi Investment Institute, haben die Situation an den Finanzmärkten analysiert.

Die Kunst der Politikgestaltung besteht zu einem großen Teil darin, Erwartungen festzulegen, an denen alle künftigen Entscheidungen gemessen werden. Als Präsident Trump am „Liberation Day“ seine extremen Zölle einführte, waren die Märkte verständlicherweise beunruhigt. Seitdem haben jedoch die Widerstandsfähigkeit des US-Arbeitsmarktes, über den Erwartungen liegende Unternehmensgewinne und eine Deeskalation des Handelskriegs die Stimmung verbessert. Risikobehaftete Anlagen haben sich erholt und die Anleiherenditen sind gestiegen.


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Ob diese Erholung von Dauer ist, hängt von der Konjunkturentwicklung und der Klarheit der Handelspolitik ab. Bei Anleihen wird der Druck am langen Ende der Zinskurve aufgrund der fiskalischen Probleme und der hohen Verschuldung – nicht zuletzt durch Trumps Steuerreform – insbesondere in den USA und Japan anhalten. Vorerst heben wir unsere Wachstumsprognosen für die USA, die Eurozone und China an, während wir die Inflationsprognose für die USA senken.
Konkret bedeutet dies:

  • Die Wachstumsprognosen für die USA und die Eurozone wurden angehoben. Die Senkung der Zölle hat uns dazu veranlasst, unsere Prognosen für das Wirtschaftswachstum in den USA (reales BIP, im Jahresvergleich) sowohl für dieses Jahr als auch für 2026 leicht von 1,3% auf 1,6% anzuheben. Dies ist jedoch immer noch eine Verlangsamung gegenüber dem Vorjahr, und wir gehen davon aus, dass das Wachstum aufgrund des schwachen Konsums unter seinem Potenzial bleiben wird. In der Eurozone wurden die Wachstumsprognosen für dieses Jahr auf 0,8% angehoben, wobei es jedoch erhebliche Unterschiede zwischen Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland gibt.
  • Die Reaktion der Fed und der EZB auf jegliche Konjunkturschwäche ist für die Märkte von entscheidender Bedeutung. Wie aus ihrer jüngsten Entscheidung hervorgeht, wird die Fed nur reaktiv handeln. Obwohl die Märkte ihre Erwartungen hinsichtlich Zinssenkungen durch die Fed und die EZB zurückgeschraubt haben, bleibt unsere Einschätzung zur Anzahl der Zinssenkungen durch die beiden Institutionen in diesem Jahr unverändert.
  • Die Verbraucherstimmung und die Inflationserwartungen sind wichtig für den US-Konsum. Wir haben unsere Prognose für den US-Verbraucherpreisindex für dieses Jahr auf rund 3% gesenkt, da die Auswirkungen der Zölle geringer sind als erwartet. Der Konsum könnte jedoch weiterhin durch eine Erhöhung der Handelszölle und mögliche Ausgabenkürzungen der US-Regierung beeinträchtigt werden, sowie durch Inflationserwartungen, die sich ebenfalls auf das Konsumverhalten auswirken könnten.
  • Die langfristige Entkopplung zwischen den USA und China wird unserer Ansicht nach anhalten, auch wenn beide Seiten versuchen dürften, diesen Abwärtstrend in den Beziehungen und den wirtschaftlichen Verflechtungen zu „managen“. Was das Wachstum angeht, haben wir unsere BIP-Prognosen für 2025 von 3,9% auf 4,3% nach oben korrigiert. Auch wenn es den Anschein haben mag, dass sich die Aussichten fast vollständig erholt haben, betonen wir, dass einige Schäden irreversibel sind. Die Unsicherheit hinsichtlich der Handelspolitik bleibt hoch und dürfte das Vertrauen des privaten Sektors weiterhin belasten.

Diese Aspekte in Bezug auf Konsum, Wachstum und Inflation zeichnen ein komplexeres Bild als von den Märkten erwartet. So scheint beispielsweise der Inflationsdruck in den USA zwar nachzulassen, doch wird der Ausgang langfristiger handelspolitischer Entscheidungen den allgemeinen Inflationstrend bestimmen.
Darüber hinaus haben die Unternehmen sowohl in den USA als auch in Europa in der jüngsten Berichtssaison die Erwartungen übertroffen, was auf bessere Aussichten für risikobehaftete Anlagen in naher Zukunft hindeuten könnte. Das heißt jedoch nicht, dass wir eine strukturelle Neubewertung der Risiken für angebracht halten.
Vor diesem Hintergrund sind unsere Einschätzungen zu den Anlageklassen wie folgt:

  • Anleihen: Die erneuten fiskalischen Herausforderungen und Probleme mit den Staatsverschuldungen werden sich weltweit auf die Anleihemärkte auswirken, auch in Japan. Wir nehmen eine nahezu neutrale Haltung gegenüber der US-Duration ein – Duration ist eine Maßzahl für die Zinssensitivität von Anleihen – und beobachten aufmerksam die Volatilität der Renditen, die durch hohe Inflationserwartungen, Unsicherheiten hinsichtlich der Zölle und das Anleiheangebot verursacht wird. Wir bleiben gegenüber der EU und Großbritannien positiv gestimmt, sind jedoch gegenüber Japan vorsichtiger als zuvor. Bei Unternehmensanleihen bevorzugen wir hochwertige, kurzfristige Titel und die EU gegenüber den USA.
  • Aktien: Wir nehmen bei Aktien eine ausgewogene Haltung ein, mit einer Tendenz zu den globalen Märkten. Nach den jüngsten Kursgewinnen haben sich die US-Aktienmärkte erholt und liegen nun über ihren langfristigen Durchschnittswerten. Regional bevorzugen wir Europa und das Vereinigte Königreich, während sich Wachstumswerte in den USA sehr stark von der Marktstimmung abhängig zeigen.
  • Schwellenländer: Die Abschwächung der Handelskonflikte sollte den Schwellenländern zugutekommen, doch bleibt die Situation hinsichtlich der Zölle nach der 90-tägigen Pause unklar. Insgesamt zeichnen die Disinflationstendenzen in den USA, die Lockerung der Geldpolitik durch die US-Notenbank und der schwächere Dollar ein positives Bild für Schwellenländeranlagen.
  • Anlageklassen-übergreifend: Wir halten eine taktische Neugewichtung und eine Verstärkung der Absicherungen in Multi-Asset-Portfolios für sinnvoll. Die Konjunkturaussichten sind zwar nicht sehr berauschend, aber dennoch solide. Das Gewinnwachstum ist zwar schwächer als zuvor, bleibt aber positiv. Daher behalten wir unseren positiven Ausblick für risikobehaftete Anlagen in Form von Aktien bei, wobei wir die USA kurzfristig etwas optimistischer einschätzen.

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