Kommentar: ESG-Irrsinn

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Foto: Anna Mutter
Stefan Löwer leitet das Cash.-Ressort Immobilien und Sachwertanlagen und ist Geschäftsführer der zu Cash. gehörenden G.U.B. Analyse Finanzresearch GmbH.

Ohne Frage ist es ein sinnvolles Ziel, privates Kapital in nachhaltige Investitionen lenken zu wollen, gerade im Bereich realer Investitionen, also Sachwertanlagen. Doch inzwischen ist aus dem einst positiv besetzen Trendthema vielfach ein riesiges Ärgernis geworden. Kommentar von Stefan Löwer, Cash.

Die EU hat in Bezug auf nachhaltige Investitionen und die Abfrage der entsprechenden Kundenpräferenzen ein umfangreiches Regelwerk geschaffen, das meistens unter dem englischen Kürzel ESG läuft und zunächst – zumindest von der Idee her – allgemein auf Wohlwollen gestoßen war.

Doch was dies in der Praxis des Finanzvertriebs bedeutet, lässt sich kaum anders als mit „Irrsinn“ bezeichnen. Das wurde unter anderem im Januar beim „Vertriebsgipfel Tegernsee 2024“ deutlich. Auch der Verband AfW forderte unlängst von der EU-Kommission einen „Neustart“ der verkorksten Vorschriften. Auf dem Fondskongress in Mannheim in der vergangenen Woche (hier die besten Bilder) verdrehten ebenfalls die meisten Gesprächspartner bei dem Thema nur noch die Augen.

Kaum fehler- und widerspruchsfrei umsetzbar

So sind die ESG-Verordnungen nicht nur hyper-kompliziert, sie greifen auch nicht ineinander, verursachen einen riesigen Aufwand und lassen sich kaum fehler- und widerspruchsfrei umsetzen. Die wenigsten Vermittler verstehen sie wahrscheinlich wirklich, erst recht kein Kunde.

Zudem besteht die Gefahr, dass durch die Fokussierung auf ESG andere Beratungspflichten verletzt werden, etwa wenn deshalb wirtschaftlich deutlich besser geeignete Anlagen unter den Tisch fallen oder die Risiken aus dem Blick geraten, nur weil ein Produkt „grün“ ist.

Schon der Begriff „grün“ kann in die Irre führen. Denn bei ESG geht es keineswegs nur um Klimaschutz, auch nicht allein um die Umwelt generell. Vielmehr umfassen die Kriterien auch die Unternehmensführung und soziale Aspekte bis hin zu Arbeitnehmerrechten und dergleichen in fernen Ländern – nach europäischen Wertvorstellungen, versteht sich. Das ist nicht nur eine ziemliche Anmaßung, sondern auch kaum noch vermittelbar.

Unerreichbares Wolkenkuckucksheim

Da wundert es nicht, dass Finanzdienstleister – soweit zu hören ist – ihre Kunden vermehrt drängen, auf die ESG-Abfrage von Vornherein zu verzichten. Nur dann darf sie entfallen. Dieser Schubs ist zwar nicht erlaubt, passiert aber natürlich trotzdem.

Das Ergebnis ist das Gegenteil von dem, was die Politiker (und wohl auch die meisten Kunden und Finanzdienstleister) eigentlich wollen: Dann ist Nachhaltigkeit komplett aus dem Rennen, jedenfalls formal. Denn “ESG-light“ gibt es in der Finanzberatung nicht.

Die EU muss die ESG-Vorschriften also dringend grundlegend überarbeiten und radikal vereinfachen, wirklich radikal. Dafür muss sie sich zuerst von ihrer unrealistischen Wunschvorstellung einer bis ins letzte Detail (und bis in den letzten Winkel!) perfekten Welt verabschieden. Auch Ideologen und Bürokraten müssen einsehen: Realistische Ziele sind allemal besser als ein schönes, aber unerreichbares Wolkenkuckucksheim. Nur dann finden die Vorschriften auch wieder Akzeptanz.

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