Lebensversicherung unter Druck: Experten fordern radikale Transformation

Beim zweiten Life Insurance Innovation Circle diskutierten Experten im Klartext über die Zukunft der Altersvorsorge und setzten neue Impulse für die Lebensversicherung.
Foto: BearingPoint GmbH
Täglich zahlen Lebensversicherer rund 135 Millionen Euro an Kundengeldern aus – mehr, als durch Einmalanlagen neu hereinkommt.

Beim zweiten Life Insurance Innovation Circle diskutierten Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verbänden über die Zukunft der Altersvorsorge. Das Fazit: Ohne radikale Reformen in Vertrieb, Produktgestaltung und IT drohen Lebensversicherern weitere Marktverluste. Doch welche Wege stehen offen?

Beim zweiten Life Insurance Innovation Circle von Bearing Point, HBA-Consulting, Mypension, Oddo BHF und Vanguard stand die Zukunft der Altersvorsorge im Mittelpunkt. Vertreter aus Forschung, Wirtschaft und Verbänden zeichneten ein klares Bild: Lebensversicherer müssen ihr Geschäftsmodell grundlegend erneuern, um nicht weiter Marktanteile an neue Wettbewerber wie Neo-Broker oder digitale Vermögensverwalter zu verlieren.

Die Herausforderungen sind beträchtlich. Seit Jahren stagnieren die Neugeschäftszahlen, während der Kundenbestand demografisch bedingt schrumpft. Ausbleibende Produktinnovationen und eine zögerliche digitale Transformation verschärfen die Lage. So konnte Trade Republic im Jahr 2024 rund 2,8 Millionen Neukunden gewinnen – mehr als die gesamte Versicherungsbranche mit insgesamt 2,4 Millionen.

Konkurrenz durch neue Anbieter

Das Podium war bewusst vielfältig besetzt, um unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen. Thomas Soltau, CEO von Smartbroker+, stellte die Vorteile der Neo-Broker heraus: kostengünstig, transparent, renditeorientiert und digital überlegen. Moritz Schumann vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hielt dagegen, dass modernisierte Rentenversicherungen mit reduzierter Garantie vielen deutschen Sparern überhaupt erst den Zugang zu kapitalmarktbasierten Lösungen eröffnen.


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Georg Kornmayer, Geschäftsführer des Maklerpools Fondsnet, warnte, dass große Teile der Branche auf den verschärften Wettbewerb nicht vorbereitet seien. Stefan Weinert von der Deutschen Bank betonte die Rolle der Beratung, die auch in einem digitalisierten Vorsorgemarkt unverzichtbar bleibe.

Debatte um Frühstart-Rente

Einigkeit herrschte in der Diskussion um die sogenannte Frühstart-Rente. Diese dürfe nicht als isolierte Produktlösung eingeführt werden, so der Tenor. Wichtiger sei eine Reform der Riester-Rente, um insbesondere die heute 30- bis 50-Jährigen mit einer geförderten Altersvorsorge zu erreichen. Cvetelina Todorova vom Fondsverband BVI warnte davor, die Frühstart-Rente als politisches Ablenkungsmanöver zu nutzen und damit dringend notwendige Strukturreformen aufzuschieben.

Vertrieb und Produkte unter Druck

Wie groß der Reformbedarf ist, verdeutlichte Dr. Reiner Will von Assekurata mit der aktuellen Wiederanlagestudie: Täglich zahlen Lebensversicherer rund 135 Millionen Euro an Kundengeldern aus – mehr, als durch Einmalanlagen neu hereinkommt. Auch in der Rentenphase fehlt es an innovativen Produkten. Frank Genheimer von New Insurance Business und Alberto del Pozo von myPension warnten, dass Fondsgesellschaften und digitale Anbieter bald mit neuen Auszahlplänen zusätzlichen Druck aufbauen.

Sascha Ahmadi von HBA-Consulting skizzierte notwendige Weiterentwicklungen klassischer Produkte, um bezahlbare Altersvorsorge zu sichern. Prof. Dr. Alexander Kling vom ifa Ulm zeigte, wie Glättungsverfahren Schwankungen kapitalmarktorientierter Produkte abfedern können. Julian Hosse von Vanguard verwies auf Erkenntnisse aus den USA, wo Modellportfolios eine zunehmend wichtige Rolle spielen.

Digitalisierung als Schlüssel

Auch technologische Lösungen standen im Fokus. Prof. Dr. Andreas Hackethal von der Goethe-Universität präsentierte die Seasn-App, mit der sich besonders die Generation Z gezielt ansprechen lasse. Maxim Pertl stellte die cloud-native Plattform von Clearwater Analytics vor, die Prozesse im Fondgebundenen-Lebensversicherungsgeschäft mit KI optimiert.

Ralf Reisinger und Georg Knümann von Bearing Point zeigten, dass die digitale Transformation der Kernsysteme noch weit hinter den Möglichkeiten zurückliegt – während KI-gestützte Anwendungen wie GenAI künftig erhebliche Effizienzgewinne ermöglichen könnten.

Aufbruch oder Rückzug

Zum Abschluss wurde deutlich: Die Lebensversicherung hat Zukunft – allerdings nur, wenn die Branche entschlossen in Vertrieb, Produktgestaltung und IT-Infrastruktur investiert. Ohne tiefgreifende Veränderungen droht die Konkurrenz aus der digitalen Finanzwelt den Markt entscheidend zu übernehmen.

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