Mit Normen gegen das drohende Provisionsverbot

Foto: Defino
Klaus Möller

EU-Kommissarin Mairead McGuinness plant, Provisionen im Rahmen der Finanzberatung europaweit zu verbieten. Das könnte die Finanzbranche verhindern. Die Werkzeuge dafür liegen auf dem Tisch. Ein Kommentar von Defino-Vorstand Dr. Klaus Möller

Für hunderttausende Finanzberater und –beraterinnen ist die Ankündigung des Provisionsverbotes durch die EU-Kommission eine Schreckensnachricht. Vielleicht wiegten sich zu viele in Sicherheit, nachdem sich für das Provisionsverbot hierzulande keine politische Mehrheit organisieren ließ. Entsprechend groß ist der Protest auf Seiten der Berufsverbände und Produktanbieter, jetzt da es richtig ernst werden kann. Zwar muss das Gesetzesvorhaben noch durch zahlreiche Instanzen, aber wer die europäische Gesetzgebung in Verbraucherfragen kennt, der ahnt was da kommen mag.

Das politische Ansinnen, Provisionen zu verbieten, ist alles andere als neu und kommt nicht von ungefähr. Im Kern argumentieren die Provisionsgegner mit der Gefahr von Fehlanreizen, die von Provisionen ausgehen können, und mit möglichen Konflikten zwischen Kunden- und Beraterinteressen. Mit diesem begründeten Hinweis stoßen sie bei politischen Verbraucherschützern auf weit offene Ohren; denn tatsächlich belegen wissenschaftliche Studien, dass die regelmäßig in allen Vertrauensrankings beschämenden Platzierungen von Versicherungsvermittlern und anderen Finanzberatern darin begründet liegen, dass nur etwa ein Viertel der deutschen Bevölkerung darauf vertraut, dass bei Finanzberatung das Kundeninteresse vor dem Berater- oder Unternehmensinteresse rangiert.

Dagegen argumentieren Berufsverbände und Produktanbieter, ein Provisionsverbot zwinge alle Berater in die Honorarberatung, die jedoch kaum für den Bedarf der vielen Verbraucher mit kleineren oder mittleren Einkommen geeignet sei. Das Ziel, den Verbraucherschutz zu verbessern, würde verfehlt werden, da diese Schichten Verträge weitgehend ohne Beratung abschließen müssten. Hauptsächlich die einschlägigen Vertriebsplattformen würden profitieren. Viele Finanzberater gingen den Verbrauchern verloren, was eben gerade nicht zu einem verbesserten Verbraucherschutz beitrage.

Nicht Lobbyarbeit hilft Provisionen zu erhalten, sondern nur das Beseitigen des eigentlichen Problems

Diese Positionen der Gegner und Befürworter von Provisionen stehen seit Jahren dogmatisch und unversöhnlich gegenüber. Die eine Seite hat ein berechtigtes Ziel im Auge – Vertrauen der Bevölkerung in unabhängige Beratung –, die andere Seite verweist ebenso berechtigterweise auf die Kollateralschäden des zur Lösung vorgeschlagenen Weges. In Großbritannien ist zehn Jahre nach der Einführung eines Provisionsverbotes festzustellen, dass insbesondere vermögende Menschen in den Genuss einer professionellen Finanzberatung kommen.

Eine Annäherung der Argumente ist nicht zu erkennen und politische Lobbyarbeit ist bedauerlicherweise eher kontraproduktiv.  Denn die zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt kommunizierte Information, dass keine andere Branche mehr Geld für Lobbyarbeit ausgibt als Versicherungen und die Banken, nährt bei Verbrauchern und Politikern den Verdacht, dass der Finanzindustrie die eigenen Interessen vor Verbraucherinteressen gehen.

Wirksamer wäre, das Ziel als berechtigt anzuerkennen und Vorschläge für bessere Wege zu dessen Erreichung zu unterbreiten. Das könnte zum Beispiel sein, das Übel, sprich den Verdacht von Fehlanreizen und Interessensteuerung, an der Wurzel anzupacken – in der Beratung.  Vielleicht hilft ein Hinweis an diejenigen deutschen Politiker, die dieser Tage in Brüssel ihre Argumente gegen ein Provisionsverbot vorbringen. Der Hinweis auf einen Sachverhalt, der geeignet sein kann, ihre Argumentation weiter zu unterstützen. Und den auch Politiker, die sich für mehr Verbraucherschutz einsetzen, mittragen könnten.

Seit 2014 betreibt eine ganze Reihe an deutschen Marktteilnehmern – Unternehmen und Verbände, Verbraucherschützer und Juristen, Finanzwissenschaftler und Praktiker – breit angelegte Initiativen zur Selbstregulierung durch Normung. An inzwischen vier erfolgreich beim Deutschen Institut für Normung abgeschlossenen Normungsprojekten haben insgesamt über siebzig Organisationen teilgenommen, darunter außer den Vorgenannten große Versicherungsgesellschaften, Banken, Vertriebe, Qualifizierer, IT-Häuser, aber auch Vertreter von Ministerien und Regierungsgremien wie dem Sustainable Finance Beirat. Die zwei in dem Kontext eines möglichen Provisionsverbotes wichtigsten Normen sind die 2019 veröffentlichte DIN 77230  zur Finanzanalyse von Privathaushalten und die 2021 veröffentlichte DIN 77223 zur Risikoprofilierung.

Die DIN 77230 „Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte“ regelt, durch welche Fragen Finanzberater die Lebenssituationen ihrer Kundinnen und Kunden vollständig, also ohne Unterschlagung aus Beratersicht unwesentlicher oder uninteressanter Themen, zu erfassen. So können sie feststellen, welche Finanzthemen, finanzielle Risiken und Notwendigkeiten ganz individuell für jede/n einzelne/n Kunden/in relevant sind.

Die als relevant identifizierten Themen werden nach Norm in eine festgelegte Rangfolge gestellt, die bei korrekter Umsetzung der Norm nicht manipulierbar ist. So sehen Verbraucherinnen und Verbraucher ohne Beeinflussung durch ihre Beraterinnen und Vermittler, welche Themen für sie sehr wichtig und welche weniger wichtig sind. Jedem einzelnen Finanzthema wird ein nach Normregeln individuell errechneter quantitativer Orientierungswert zugeordnet. So ist es bei Normanwendung auch unmöglich, dass Vermittler ihren Kundinnen aus fehlgeleitetem Provisionsinteresse überzogene Versicherungssummen empfehlen und verkaufen. Damit schließt die Anwendung der DIN 77230 Fehlanreize in der Finanz- und Versicherungsberatung sehr weitgehend aus.

Das Finanzministerium hält höheren Provisionsanspruch bei Anwendung der DIN-Norm 77230 für begründet

Es ist somit wenig überraschend, dass im Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums vom 18. April 2019 für ein „Gesetz zur Deckelung der Abschlussprovision von Lebensversicherungen und Restschuldversicherungen“ auf Seite 33 zu lesen ist, dass die Anwendung der „DIN-Norm 77230 Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte (…), die branchenübergreifend Grundlage für eine hochwertige Finanzberatung ist“, als Begründung für einen erhöhten Provisionsanspruch „in Betracht“ zu ziehen sei.

Ähnlich wirkt die DIN 77223 „Risikoprofilierung für Privatanleger“ speziell bezogen auf die Anlageberatung für Kleinanleger. Sie regelt, wie Suggestion und Manipulation bei der Feststellung des Risikoprofils von Privatanlegern, also bei der Erfassung der Kenntnisse und Erfahrungen, der Risikotragfähigkeit und der Risikobereitschaft, ausgeschlossen werden können.

Eine flächendeckende Umsetzung der Normen würde jede Diskussion über Provisionen obsolet machen

Eine flächendeckende Umsetzung dieser Normen würde jede Diskussion über Provisionen obsolet machen, weil Fehlanreize und Interessensteuerung bei Beratung und Vermittlung auf ein Minimum reduziert werden könnten. Freilich sind die Normen noch zu jung, als dass sie sich in der ganzen Breite der Finanzbranche durchgesetzt haben könnten. Bei der Beschleunigung des Prozesses könnte womöglich die Politik Unterstützung leisten: Es tät gut, wenn die Branche die Regeln, die sie sich aus eigenem Interesse selbst gegeben hat und gibt, auch anwenden würde – vielleicht müsste…

Ein letztes Argument noch für Frau McGuinness, die europaweit zu denken und zu agieren hat: Die Mitglieder in den Normungsausschüssen „Finanzdienstleistungen“ sind nach umfangreichen Recherchen zu der Überzeugung gekommen, dass das Regelwerk der Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte ganz weitgehend für alle europäischen Länder adaptierbar ist. Der zuständige Ausschuss hat deshalb den Antrag für ein Projekt bei CEN gestellt, die DIN 77230 zu einer DIN EN weiterzuentwickeln. Nach Abschluss des Projektes in zwei bis drei Jahren haben alle oben genannten Überlegungen auch über Deutschland hinaus in ganz Europa ihre Berechtigung.

Diese Informationen müssten allen mit dem Thema befassten Akteuren auf der politischen Ebene dabei weiterhelfen, ihre Mission für eine Verbesserung des Verbraucherschutzes und der Beratungsqualität in der Finanzberatung voranzutreiben. Ein Provisionsverbot greift viel zu kurz, denn Beratungsqualität ist von der Vergütungsform unabhängig.

Klaus Möller ist Vorstand der Defino Institut für Finanznorm AG, Heidelberg.

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