„Nachhaltigkeit ist eine Bringschuld des Beraters“

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Marcus Reichenberg, Geschäftsführer derGreensurance Stiftung Für Mensch und Umwelt, beschreibt die Anforderungen an eine nachhaltige bAV. Und was das Thema mit Enkeln zu tun hat.

Welche Voraussetzungen muss eine bAV aus Sicht der Greensurance Stiftung erfüllen, damit sie tatsächlich nachhaltig ist?

Reichenberg: Hier sind fünf große Themenfelder zu nennen. Erstens muss sich der Lebensversicherer zur Nachhaltigkeit bekennen und seine nachhaltige Entwicklung in einem regelmäßigen Fortschrittsbericht (Nachhaltigkeitsbericht) darlegen.

Zweitens muss er eine Strategie veröffentlichen, wie er seinen gesamten Anlagestock auf einen festgelegten Zeithorizont divestiert. Zu divestieren sind unökologisch und sozialethisch bedenkliche Anlagen, im Besonderen Kapitalanlagen, die der fossilen Branche zugeordnet werden müssen, also Unternehmen, deren Einnahmen aus Stein-/Braunkohle über einem Prozent liegen, aus Erdöl über zehn Prozent und aus Gas-Brennstoffen über 50 Prozent. Die Marke von 50 Prozent gilt auch für die Stromerzeugung, wenn dabei mehr als 100 g CO2/kWh entstehen. Diese Werte nennt der EU-Referenzwert „Paris-Aligned“, eine am Pariser Klimaabkommen angelehnte Benchmark.

Drittens muss der Versicherer die ESG (Environmental, Social, Governance)-Strategie für seinen gesamten Anlagestock veröffentlichen und seine Negativ- und Positiv-Kriterien transparent aufzeigen. Negativ-Kriterien sind beispielsweise ABC-Waffen, grüne Gentechnik, atomare Energieerzeugung und ausbeuterische Kinderarbeit. Positiv- Kriterien können unter anderem das Ja zum Investment in erneuerbare Energien sein, zu energieeffizientem und sozialem Wohnungsbau sowie die Kapitalanlage in Zukunftstechnologien.

Als vierten Punkt sollten Best-in-Class-Ansätzen weitestgehend ausgeschlossen werden. Wenn in kritische Infrastruktur investiert wird, muss das Engagement, das heißt die Verantwortlichkeit für die Transformation durch Stimmrechts- und Mitwirkungspolitik, beschrieben werden. Schließlich müssen die systematischen Verpflichtungen offengelegt werden, wie die Unterzeichnung der PRI- und PSI-Prinzipien. Relevant ist auch die Benennung von Zeithorizonten, unter anderem durch die Mitgliedschaft der UN Net-Zero Asset-Owner Alliance.

Marcus Reichenberg

Das sind viele Anforderungen. Können Versicherer diese direkt umsetzen?

Reichenberg: Es ist durchaus akzeptabel, die „Nachhaltige Entwicklung“ aufzuzeigen. Kein alteingesessener Lebensversicherer kann von heute auf morgen einen nachhaltigen Anlagestock erwirken. Das geben die Kapitalanlagevorschriften nicht her! Aber ein Lebensversicherer kann konkret zum einen nachhaltige (neue) Produktportfolios in allen drei Schichten bereitstellen und zum andern die nachhaltige Entwicklung seines Anlagestockes beschreiben.

Was ist für Sie klassisches Greenwashing?

Reichenberg: Greenwashing hat meiner Meinung nach drei Facetten. Zunächst, nur die freien Fonds auf „grün„ zu stellen und nicht den Anlagestock. Dann, sich als „nachhaltigen Lebensversicherer„ zu bezeichnen, obwohl nur eine kleine Produktpalette oder schlimmer noch, nur ein einzelnes Produkt, als nachhaltig bezeichnet werden kann. Und wenn sich der Lebensversicherer in seiner organischen und operativen Tätigkeit nicht zur Nachhaltigkeit bekennt.

Bieten grüne Anlagen Renditevorteile?

Reichenberg: Der Wachstumsmotor der Zukunft ist die Nachhaltigkeit. Der Earth Overshoot Day 2021 beispielsweise zeigt auf, dass wir seit dem 29. Juli 2021 auf Kosten zukünftiger Generationen leben. Eine gute Rendite wird deshalb langfristig für die Altersvorsorge nur dort erwirtschaftet werden können, wo nach enkeltauglichen Maßstäben gehandelt wird. Das sind die Wachstumsmärkte der Zukunft.

Werden im Umkehrschluss “nicht grüne“ Anlagen durch den Umbau in der Energiegewinnung, den Auswirkungen von Klimakatastrophen oder der mangelnden Reputation zu einem gewissen Risiko?

Reichenberg: Das sind sie doch schon heute. An den Beispielen „deepwater horizon 2010„ und „fukushima 2011„ lässt sich das wunderbar erkennen. Die Aktienkurse von BP und Tepco haben sich seit den Katastrophen niemals erholt. Niemand sollte mehr in die Carbon Bubble (Kohlenstoffblase) oder in andere nicht nachhaltige Branchen investieren oder investiert bleiben. Die fossilen Rohstoffe werden zukünftig immer mehr geächtet, vielleicht auch vollständig verboten werden. Das Verbot des Abbaus fossiler Kohle ist erst der Anfang. Warten wir noch ein paar viel zu heiße Sommer, Dürren mit Ernteausfällen und Wassermangel, Überschwemmungen durch Abschmelzung der Pole und Stürme ab, wird sich das Meinungsbild weiter pro Klimaschutz verstärken. Das Potenzial der Renditeminderung durch physische Risiken wird durch die transitorischen Risiken, wie politische Restriktionen, veränderte Präferenzen der Gesellschaft und die gesellschaftliche Erwartungshaltung deutlich verstärkt werden. Darüber hinaus fürchten Lebensversicherer das Reputationsrisiko sehr. Kein Versicherer wird sich zukünftig ein Nichthandeln vorwerfen lassen wollen.

Welche Durchführungswege der bAV sind bei Greensurance möglich?

Reichenberg: Die Greensurance Stiftung berät Lebensversicherer zur nachhaltigen Transformation. Um die Arbeit der Greensurance Stiftung zu gewährleisten, wird die Greensurance Stiftung durch den Versicherungsmakler Greensurance Für Mensch und Umwelt unterstützt. Indirekt finanzieren somit die Versicherungsnehmer von Greensurance die Arbeit der Greensurance Stiftung. Greensurance selbst hat sich auf den Durchführungsweg der Direktversicherung (https://www.gruene-direktversicherung.de/) im Rahmen unserer Aktion: „Grüne Rente„ der Stuttgarter, unter anderem (www.grüne-rente.de) spezialisiert. Auch die Direktzusage ist nachhaltig möglich.

Wo sehen Sie die Zielgruppe für Ihre bAV?

Reichenberg: Nachhaltigkeit geht uns alle an! Und da nur nachhaltige Altersvorsorgeprodukte eine Chance auf eine langfristig stabile und hohe Rentenauszahlung haben, wenden wir uns an alle Kunden, die wir bedienen. Nachhaltigkeit ist unseres Erachtens keine Holschuld des Kunden, also dem Versicherungsnehmer, sondern eine Bringschuld des Beraters, also dem Makler oder Versicherer. Wir leben die Bringschuld und bringen keine konventionellen Lebensversicherungsprodukte zum Abschluss.

Wie bewerten Sie das derzeitige Fondsangebot für grüne Anlagen? Wie trennen Sie hier „greenwashing“ von tatsächlich grünen Angeboten?

Reichenberg: Das Fondsangebot für grüne Anlagen ist groß, das Angebot von „Grünen Renten“ ist klein. Unserer Meinung nach sollte mit der Altersvorsorge nicht vollständig spekuliert werden, deshalb sollte immer ein Mindestanteil an Garantieguthaben in der Altersvorsorge hinterlegt sein. In der betrieblichen Altersversorgung ist bis heute eine Kapitalgarantie von 80 Prozent verpflichtend. Deshalb reicht es nicht aus, sein Augenmerk nur auf das nachhaltige Fondsangebot zu richten, sondern insbesondere den Anlagestock des Sicherungsvermögens zu betrachten. Dieser muss nachhaltig und damit grün sein. Greenwashing ist für uns, wie schon erwähnt, wenn nur die freien Fonds eine Nachhaltigkeitssprache sprechen.

Warum sollen sich Arbeitgeber für Ihre bAV entscheiden?

Reichenberg: (lacht) weil unsere Beratung auf Nachhaltigkeit basiert und wir ausschließlich Produkte im Sinne der Nachhaltigkeit anbieten und das, wo möglich, als ungezillmerte Tarife.

Warum sollen sich Arbeitnehmer – sofern angeboten – für Ihre bAV entscheiden?

Reichenberg: Weil zur Nachhaltigkeit auch ungezillmerte Tarife gehören und im Rahmen des Durchführungsweges Direktversicherung eine Mitnahme der betrieblichen Altersvorsorge in der Regel problemlos möglich ist.

Welche Werte und Überzeugungen leiten Ihr Haus?

Reichenberg: Enkeltauglichkeit aller Handlungen!

Das Gespräch führte Silvia Fischer, Diplom-Betriebswirtin und Journalistin (FJS).

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