Neue Förderlogik, neuer Wettbewerb: Was der Reformentwurf für Lebensversicherer bedeutet

Foto: Assekurata
Reiner Will: "Die Reform setzt die Lebensversicherer stärker unter Druck, ihre Kostenstruktur, ihr Differenzierungskonzept und ihre Beratungsstrategie anzupassen."

Der Referentenentwurf zur Reform der privaten Altersvorsorge setzt auf Vereinfachung, Kapitalmarktnähe und mehr Wechselmöglichkeiten. Für Lebensversicherer eröffnet das neue Spielräume, erhöht aber zugleich den Anpassungsdruck auf Kosten, Produkte und Beratung. Entscheidend wird sein, ob der Entwurf Versorgungssicherheit und Marktlogik in Einklang bringt.

Der Referentenentwurf zur Reform der privaten Altersvorsorge markiert einen deutlichen Systemwechsel. Staatlich geförderte Vorsorge soll einfacher, transparenter und stärker kapitalmarktorientiert werden. Damit reagiert der Gesetzgeber auf die schwindende Akzeptanz der Riester-Rente und die strukturellen Grenzen eines Systems, das lange von strikten Garantievorgaben geprägt war. Aus Sicht von Dr. Reiner Will, Geschäftsführer der Ratingagentur Assekurata, eröffnet die Reform Chancen – setzt die Lebensversicherungswirtschaft aber zugleich unter erheblichen Anpassungsdruck.

Kern des Entwurfs ist eine neue Produktarchitektur mit zwei Welten: einem reinen Altersvorsorgedepot ohne Beitragserhaltungszusage und einem Garantieprodukt mit wahlweise 100 oder 80 Prozent Kapitalgarantie zum Beginn der Auszahlungsphase. Während das Depotmodell einen klar kapitalmarktnahen Referenzrahmen schafft, soll die abgesenkte Garantievariante sicherheitsorientierten Sparern weiterhin einen Zugang ermöglichen, ohne renditeseitig zu stark zu begrenzen. Für Lebensversicherer ist das ambivalent: Der Spielraum in der Kapitalanlage wächst, zugleich entsteht im Fördermarkt ein neuer Benchmark, an dem sich versicherungsbasierte Lösungen messen lassen müssen – insbesondere beim Thema Kosten.

Grundlegender Paradigmenwechsel

Hinzu kommt ein grundlegender Paradigmenwechsel in der Leistungsphase. Die lebenslange Verrentung, bislang regulatorisch verankertes Kernelement der Lebensversicherung, wird zur Option unter mehreren. Neben lebenslangen Renten sind künftig auch Auszahlungspläne bis mindestens zum 85. Lebensjahr vorgesehen. Damit fällt der Versicherungswirtschaft die Gestaltung der Rentenphase nicht mehr automatisch zu.

Sie muss den Nutzen der lebenslangen Absicherung gegen Langlebigkeitsrisiken aktiv erklären und als Qualitätsmerkmal positionieren. Gleichzeitig steigt das Risiko, dass bei ungünstigen Kapitalmarktverläufen oder hoher Lebenserwartung Versorgungslücken entstehen – mit der Gefahr, dass am Ende erneut staatliche Sicherungssysteme einspringen müssen. Transparente Aufklärung wird damit zum entscheidenden Faktor.


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Besonders prägend ist der starke Fokus auf Standardisierung und Kostenvergleichbarkeit. Für Standarddepots ist eine Effektivkostenobergrenze von 1,5 Prozent vorgesehen, berechnet als Renditeminderung. Abschlusskosten sollen über die gesamte Laufzeit verteilt werden. Damit werden Kosten zum dominierenden Wettbewerbsparameter. Aus Assekurata-Sicht droht eine Verengung des Vergleichs auf eine einzige Kennzahl, die die komplexe Wertschöpfung der Lebensversicherung – von Risikomanagement über Bestandsführung bis zur Auszahlungsorganisation – kaum adäquat abbildet. Gleichzeitig begünstigt der Ansatz skalierbare Niedrigkostenmodelle und erleichtert neuen Akteuren wie Neobrokern oder Robo-Advisors den Markteintritt, sofern sie den administrativen Förderaufwand bewältigen können.

Der Entwurf fördert zudem eine klare Entbündelung. Zusatzabsicherungen sollen nicht mehr integriert, Hinterbliebenenschutz weitgehend auf Rentengarantiezeiten beschränkt werden. Das reduziert zwar Komplexität, kann aber aus Versorgungssicht problematisch sein, wenn Haushalte notwendige Schutzmechanismen künftig separat organisieren müssen – mit dem Risiko neuer Lücken.

Die Marktlogik verändert sich

Auch das erleichterte Wechselregime verändert die Marktlogik. Nach fünf Jahren sollen Anbieterwechsel kostenfrei möglich sein, was die Mobilität der Kunden erhöht, zugleich aber die Amortisationsmodelle der Versicherer unter Druck setzt. Bestandsführung, Servicequalität und langfristige Kommunikation werden damit zur strategischen Kernkompetenz.

Besonders kritisch sieht Will das Spannungsfeld zwischen steigendem Beratungsbedarf und engen Kostenleitplanken. Mehr Kapitalmarktnähe erfordert fundierte Beratung zu Risiko, Anlagehorizont und Auszahlungsstrategien. Wenn der Wettbewerb im Standardsegment jedoch primär über Kosten geführt wird, droht eine Verlagerung hin zu Selbstabschlüssen. Qualifizierte Beratung könnte für breite Kundengruppen wirtschaftlich schwer darstellbar werden – mit möglichen Folgen für die Qualität der Vorsorgeentscheidungen.

Assekurata erkennt zugleich klare Ansatzpunkte für Nachschärfungen. Dazu zählen eine funktionale Differenzierung des Kostendeckels nach Produktarten, eine praxistaugliche und transparente Regelung der Beratungsvergütung sowie die begrenzte Zulassung standardisierter biometrischer Zusatzbausteine wie einer Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit. Auch das Wechselregime sollte so ausgestaltet werden, dass Fehlanreize vermieden werden, etwa durch standardisierte Informationsvergleiche vor einem Anbieterwechsel. Informationspflichten wiederum sollten verständlich und nutzerorientiert umgesetzt werden – etwa durch kompakte Kerninformationen ergänzt um digitale Vertiefungen. Schließlich plädiert Will dafür, den Förderzugang für Selbstständige früher und systematischer zu öffnen, statt diese Frage auf eine Evaluierung im Jahr 2031 zu verschieben.

Das Geschäftsmodell wird neu justiert

Unterm Strich stärkt der Entwurf Transparenz, Wechselbarkeit und Kapitalmarktorientierung in der Ansparphase. Gleichzeitig zwingt er Lebensversicherer, ihr Geschäftsmodell neu zu justieren – bei Kosten, Beratung und Differenzierung. Gelingt es, Sicherheit nicht mehr als starre Garantie, sondern als strukturierte Stabilität mit effizienter Kapitalmarktanbindung zu vermitteln, kann die Reform dazu beitragen, private Altersvorsorge sowohl renditestärker als auch versorgungssicherer zu machen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Gesetzgeber an entscheidenden Stellen nachschärft und unbeabsichtigte Nebenwirkungen begrenzt.

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