Wer geglaubt hatte, mit der Verabschiedung des umstrittenen Rentengesetzes durch den Bundestag am vergangenen Freitag kehre beim Thema Rente erstmal wieder Ruhe ein – zumindest vor den Feiertagen – sah sich schon am folgenden Wochenende mächtig getäuscht. Die Diskussionen gingen munter weiter. So bekundete Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) Sympathie für die Idee, den Renteneintritt nicht mehr an das Alter zu koppeln – sondern an die Zahl von Beitragsjahren. Bas sagte im ARD-„Bericht aus Berlin“: „Ich finde die Idee grundsätzlich ganz gut.“ Es gebe zwei unterschiedliche Modelle. Zum einen könne man das Renteneintrittsalter nach der Lebenserwartung formulieren oder danach, wer eine bestimmte „Strecke“ eingezahlt habe.
Bas nannte ein Beispiel: Wenn jemand mit 16 schon angefangen habe mit einer Ausbildung und dann eine gewisse Strecke in die Sozialversicherungssysteme einbezahle, der könne dann auch früher aussteigen. „Und wer später anfängt, vielleicht erst ein Studium macht und dann später erst in die Kassen einzahlt, der muss dann auch länger arbeiten.“
Seitdem hält die Diskussion über einen flexibleren Rentenbeginn an – auch in Fachkreisen. Dort reagiert man auf die Gedankenspiele der Arbeitsministerin eher zurückhaltend. „Es gibt Aussagen, die gehören zur Kategorie ‚Klingt gut, ist es aber nicht!‘ Die Forderung, die Beamten in das System der gesetzlichen Renten zu integrieren und der Vorschlag, den Rentenbeginn von einer gewissen Beitragszeit abhängig zu machen, gehören sicherlich dazu“, meint Prof. Michael Hauer, Geschäftsführer des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP). Betrachte man die zweite Idee näher, merke man schnell, dass dieser Vorschlag ganz entscheidend von der zu betrachtenden Beitragszeit abhängt. „Beginnt ein Arbeitnehmer mit zum Beispiel 16 Jahren seine Ausbildung und bleibt für 45 Jahre in seiner Tätigkeit, dann dürfte er mit 61 in Rente gehen, falls man 45 Jahre Berufstätigkeit als Voraussetzung definiert. Damit wäre der Renteneintritt früher als bei der aktuellen Regelung – dies ist aufgrund der steigenden Lebenserwartung und dem Renteneintritt der Babyboomer-Generation auf jeden Fall keine umsetzbare Lösung. Setzt man den Zeitraum hingegen für alle fix auf 50 Jahre, so müsste ein Akademiker, der zum Beispiel bis zum 25. Lebensjahr studiert, bis zum 75. Lebensjahr arbeiten. Dies ist ebenfalls unrealistisch.“
Ein intelligentes Renteneintrittsmodell, das sowohl Früheinsteiger als auch ältere Berufsstarter berücksichtigt, könnte laut Hauer wie folgt aussehen: „Das abschlagsfreie Renteneintrittsalter könnte zwischen dem 63. und 70. Lebensjahr liegen und zwar mit folgenden Voraussetzungen: 40 Jahre Beitragszeit und die persönliche Nettorente aus der gesetzlichen Rente entspricht mindestens 45 Prozent vom letzten Nettoeinkommen vor Rentenbeginn. Ist eine der Bedingungen nicht erfüllt, so ist der abschlagsfreie Renteneintritt noch nicht möglich.“ Statt der persönlichen Nettorente aus der gesetzlichen Rente könnte man laut Hauer auch die gemäß Koalitionsvertrag neu zu definierende Kennzahl für ein Gesamtversorgungsniveau über alle drei Säulen nutzen, also inklusive betrieblicher und privater Altersversorgung. „Mit diesem flexiblen Renteneintrittsmodell hätte man alle Fälle, also sowohl diejenigen, die bereits in jungen Jahren zu arbeiten beginnen, als auch diejenigen, die erst nach dem Studium in das Berufsleben einsteigen, abgebildet“, so Hauer.
Auch Prof. Dr. Michael Heuser, wissenschaftlicher Direktor des Diva (Deutsches Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung) ist mit Blick auf den Vorschlag von Bas skeptisch: „Es ist keineswegs ausgemacht, dass eine Kopplung des Renteneintritts an die Zahl der Beitragsjahre eine Entlastung brächte. Denn wer einzahlt, erwirbt Rentenpunkte. Wer länger arbeitet, zahlt länger ein und erwirbt also einen Anspruch auf höhere Rente. Ob das unterm Strich zu einer finanziellen Entspannung der Rentenversicherung beiträgt, ist zumindest fraglich. Im Gegenteil könnte es sogar zu zusätzlichen Belastungen führen.“ Er verweist auch auf die Rentensystematik: „Derzeit gilt für alle Beitragszahler dieselbe Messlatte. Danach bestimmt sich die persönliche Rentenhöhe grundsätzlich durch die im Laufe des Berufslebens erzielten Einkommen. Dabei spielt keine Rolle, ob man seine Rentenpunkte in einem etwas kürzeren Zeitraum mit jährlich etwas höheren Einkommen oder in einem etwas längeren Zeitraum mit jährlich etwas niedrigeren Einkommen erarbeitet hat. Mit einer zusätzlichen Kopplung an die Beitragsjahre beginnt man, ‚Rentengruppen‘ jenseits erworbener Rentenpunkte zu differenzieren. In Konsequenz ließen sich leicht weitere Differenzierungskriterien finden – wie Lebenserwartung oder Lebensstil.“
Tatsächlich könnten nach Heusers Einschätzung aber auch taktische Aspekte im Hinblick auf die anstehende Rentenkommission eine Rolle spielen: „Sie soll in den nächsten Monaten eine grundlegende Reform des Rentensystems in Deutschland erarbeiten. ‚Keine Denkverbote‘, ‚alle Modelle sind diskutabel‘. Ohne unlauteren Wettbewerb in der Koalition unterstellen zu wollen, kann es hilfreich sein, beizeiten Verhandlungsoptionen aufzubauen. Der Vorschlag kommt aus dem Umfeld von Lars Klingbeil (SPD) und wurde von Bärbel Bas (SPD) aufgegriffen. Das Tandem Klingbeil/Bas sollte man ernstnehmen. Es hat seine Durchsetzungsstärke bereits unter Beweis gestellt.“ Was das für das Thema Renteneintritt bedeutet, werden die kommenden Monate zeigen.
















