Das Ziel ist klar formuliert: Die große Netto-Null, eine emissionsfreie EU bis zum Jahr 2050. Doch um den Green Deal zu verwirklichen, braucht es neben Agenden vor allem eines: Geld. Der Bau von Solar- und Windparks, Subventionen für die Elektromobilität, der Ausbau der Ladeinfrastruktur: Den Weg in ein Zeitalter ohne CO2-Emissionen können wir nur mithilfe von Technologie bewältigen. Und diese Technologie ist teuer. Daher kann die Bedeutung des Finanzsektors für die Transformation unserer Gesellschaft gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: Das Kapital, das Banken den Unternehmen (und dem Staat) hierfür zur Verfügung stellen, ist entscheidend für das Gelingen dieses so wichtigen Projekts.
Noch besser als durch Kredite finanzieren Unternehmen ihre eigene Transformation durch die Akquise von Kapital – in Gestalt von Anteilsverkäufen. Je größer die Nachfrage nach „grünen“ Assets, je höher der eigene Aktienkurs, desto mehr Kapital steht potenziell für die Transformation zur Verfügung. Auch in dieser Hinsicht verfügt der Finanzmarkt also über den Schlüssel zum Gelingen der Energiewende.
Daher hat die EU in den vergangenen Monaten ihr Augenmerk auf nachhaltige Geldanlageprodukte gerichtet: Die Offenlegungsverordnung verpflichtet Finanzdienstleister, Informationen über die Nachhaltigkeit dieser Produkte zu veröffentlichen, die EU-Taxonomie hält Kategorien bereit, anhand derer der Grad der Nachhaltigkeit einer Investition ermittelt werden kann. Die Namensrichtlinie schließlich stellt sicher, dass als nachhaltig bezeichnete Fonds auch entsprechend hohe Quoten aufweisen. Das alles ist mehr als die Herstellung von Transparenz zugunsten der Verbraucher: Es ging und geht auch darum, die Voraussetzungen für den Boom der „Grünanlage“ zu schaffen – und damit die Energiewende entscheidend voranzubringen.
Die schlechte Nachricht: Die Energiepolitik der aktuellen US-Regierung und der Ausstieg der größten US-Vermögensverwalter aus den Klimaallianzen NZAMI und NZBA haben der Grünanlage einen gewaltigen Imageschaden zugefügt. Die zweite schlechte Nachricht: Durch die bevorstehende EU-Omnibus-Reform müssen Asset Manager künftig deutlich mehr Aufwand betreiben, um an die Daten zu gelangen, auf deren Grundlage sie die Nachhaltigkeit ihrer Portfolios überhaupt beurteilen können.
Mehr zu tun, mehr Potenzial
Doch nun kommen die guten Neuigkeiten: Erstens sind die globalen Schäden durch den Klimawandel mittel- bis langfristig einfach zu groß, als dass sie dauerhaft vernachlässigt werden könnten. Die Öl- und Gasreserven des Planeten sind endlich, die vom Klimawandel verursachten Kosten steigen jedes Jahr. Zum Umstieg auf eine emissionsfreie Energiegewinnung gibt es daher keine Alternative. Und davon werden Grüne Investments früher oder später profitieren.
Zweitens bedeutet die Zurücknahme der CSRD-Pflicht für rund 40.000 Unternehmen nicht, dass es für die Nachhaltigkeit dieser Firmen keine klaren Indikatoren gibt. Doch wird deren Erhebung nicht verpflichtend sein, worunter Umfang und Strukturiertheit dieser Daten leiden werden. Asset Manager werden daher mehr Eigeninitiative an den Tag legen und in die Datenakquise investieren müssen, um das Informationsdefizit zu kompensieren. Mit Webcrawlern, entsprechenden Dienstleistern, KI-gestützter Berichtsanalyse sowie durch persönlichen Kontakt und selbstständige Evaluierung stehen aber die geeigneten Strategien und Technologien zur Verfügung, mit denen diese Lücke geschlossen werden kann.
Der wichtigste Faktor aber ist – drittens – das Potenzial, das sich aus der geplanten Liberalisierung ergibt. Denn die Kriterien zur Beurteilung der Nachhaltigkeit jener Unternehmen, die bald aus der Berichtspflicht fallen, waren bisher starr: Energieintensität, absolute CO2-Emissionen, verursachter Abfall, Geschlechterparität etc. Sie sind nicht falsch, zeichnen in der Summe aber nur das Bild des Status quo eines Unternehmens. Ein zugespitztes Beispiel: Würde eine Firma mit ausschließlich männlicher, europäischstämmiger Belegschaft, das seine gesamte Energie aus Braunkohle bezieht, heute vielversprechend am Fusionsreaktor forschen – es fiele derzeit in Sachen Nachhaltigkeit in allen Kategorien durch. Obwohl es verspräche, in einigen Jahren die Welt zu retten und alle Energie- und Emissionsprobleme des Planeten zu lösen.
Wettbewerb um KPIs
Durch die Abschaffung der Berichtspflicht für einen Großteil der Firmen erhalten Asset Manager die Möglichkeit, deren Nachhaltigkeit und Transformationspotential anhand ihrer eigenen Kriterien zu beurteilen. Natürlich dürfen diese nicht aus der Luft gegriffen sein. Doch haben sie einerseits die Möglichkeit, ausgewählte Faktoren wie den Fusionsreaktor als besonders relevant und damit als privilegiert einzustufen. Andererseits können sie zum Beispiel den zu erwartenden Nachhaltigkeitsimpact eines Unternehmens in der Zukunft stärker gewichten als in der aktuellen Kategorisierung der EU.
Ganz nebenbei dürfte die Konstellation zusätzlich den Wettbewerb zwischen den Fondsverwaltern befeuern: Wer entwickelt den besten Kriterienkatalog? Wer identifiziert die entscheidenden KPIs? Wer sagt die Wertsteigerung Grüner Investments präzise vorher? Dieses Unterfangen ist kein Selbstläufer. Es erfordert Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit, Investitionen und einen gewissen Pioniergeist. Doch am Ende wird sich Qualität durchsetzen.
Sol lucet omnibus, heißt es auf Latein: Die Sonne scheint für alle. Das hat sich seit der Antike nicht geändert. Doch heute haben wir die Technologie, mit der wir die Kraft der Sonne in saubere Energie für alle umwandeln können. Der Finanzmarkt kann entscheidend dazu beitragen, dass uns das bald gelingt.
Kevin Naumann ist Partner im Bereich Financial Services bei KPMG und leitet das Consulting Geschäft im Asset Management.