EXKLUSIV

Spekulativer Leerstand: Das wahre Problem sind nicht die Wohnungen, sondern die Eigentümer

Foto: Jan Moritz Becker
Autor Jan Moritz Becker

In vielen Städten wächst die Verzweiflung. Menschen suchen bezahlbaren Wohnraum, während gleichzeitig Wohnungen über Monate oder sogar Jahre leer stehen. Die öffentliche Debatte folgt einem bekannten Muster. „Der Markt versagt“ heißt es oft. Doch der Blick auf das System führt am Kern vorbei. Gastbeitrag von Jan Moritz Becker

Das eigentliche Problem entsteht nicht durch Gebäude oder durch abstrakte Marktmechanismen. Es entsteht durch Entscheidungen, durch Haltungen und durch Eigentümer, die Leerstand bewusst in Kauf nehmen.

Spekulativer Leerstand ist kein Marktproblem. Er ist ein Eigentümerproblem. Wohnraum bleibt ungenutzt, weil sich Menschen für diesen Zustand entscheiden. Und diese Entscheidungen fallen selten aus Not, sondern häufig aus Bequemlichkeit, politischem Ärger, falschen Annahmen oder der Hoffnung auf einen einfachen Gewinn.

Die Logik hinter dem Leerstand

Leerstand entsteht nicht zufällig. Der Zustand ist gewollt. Über Jahre haben niedrige Zinsen, steigende Immobilienpreise und ein verlässlicher Markt dazu geführt, dass viele Eigentümer auf die Vermietung verzichteten. Die Rechnung schien logisch: Wenn der Wert jedes Jahr steigt, wirken Mieteinnahmen fast wie ein Bonus, nicht wie eine Notwendigkeit.


Das könnte Sie auch interessieren:

Verwaltung, Kommunikation, Instandhaltung – all das entfällt, wenn Wohnungen leer bleiben. Kein Kontakt mit Mietern, keine Reparaturen, keine Modernisierungen. Leerstand wird zur bequemsten Form des Eigentums.

Dazu kommt ein weiterer Punkt: Viele Eigentümer trauen dem Mietrecht nicht. Die Angst vor langfristigen Bindungen, vor komplizierten Verfahren oder vor einer möglichen Regulierung führt zu einer Haltung, die völlig passiv wirkt und dennoch aktiven Schaden verursacht. Leerstand ist also kein Ergebnis wirtschaftlicher Optimierung. Er ist eine Mischung aus Bequemlichkeit und Fehlanreizen.

Beispiele, die das Problem greifbar machen

In Berlin zeigten sich diese Strukturen besonders deutlich. Während der Mietendeckel galt, entschieden sich viele Eigentümer gegen eine Vermietung. Manche meldeten Wohnungen sogar als Zweitwohnsitz an, obwohl sie faktisch kaum genutzt wurden. Die Kombination aus gedeckelter Miete, politischer Unsicherheit und steigenden Preisen führte dazu, dass Wohnungen lieber leer standen, statt den angespannten Markt zu entlasten.

Ein weiteres Beispiel findet sich in Städten wie Wuppertal und im gesamten Ruhrgebiet. Dort sind große Wohnungsbestände über Jahre leer geblieben. Besonders auffällig sind Fälle, in denen ganze Gebäudereihen ungenutzt bleiben, obwohl der Wohnungsmarkt klar angespannt ist. Der Ankauf erfolgte günstig, die Substanz war solide und dennoch blieb der Wohnraum versperrt. Der Grund war eine simple Kalkulation: kein Aufwand, stabile Wertentwicklung, späterer Verkauf mit Gewinn.

Warum Eigentümer Leerstand als Option wählen

Die Motive hinter spekulativem Leerstand wiederholen sich.

Erstens: Es geht um Aufwand. Vermietung gilt als arbeitsintensiv. Wer keine Strukturen hat, vermeidet Verantwortung.

Zweitens: In der Vergangenheit sind die Immobilienpreise in vielen Städten kontinuierlich gestiegen. Unter diesen Bedingungen ging die Strategie des Leerstands für Eigentümer häufig auf, da Wertzuwächse den fehlenden Cashflow kompensierten. Ob dieses Modell angesichts veränderter Zinsen, Regulierung und Marktzyklen auch künftig tragfähig bleibt, ist jedoch offen.  

Drittens: Mietrechtliche Unsicherheiten führen zu passivem Verhalten. Manche Eigentümer empfinden Mieter als Risiko, nicht als Einnahmequelle.

Viertens: Fehlende Ansprechpartner in großen Organisationen erschweren schnelle Entscheidungen. Bei großen Portfolios bleibt das einzelne Gebäude unbedeutend, der Leerstand fällt nicht auf.

Diese Logik wirkt profitabel, ist aber in vielen Fällen sogar wirtschaftlich fragwürdig. Ein paar Monate Mieteinnahmen könnten Sanierungen ermöglichen, Risiken abfedern und den Wert stabilisieren. Doch die Angst vor Aufwand dominiert stärker als der Blick auf klare Zahlen.

Die ethische Dimension des Problems

In angespannten Märkten entsteht eine klare Verantwortung. Wohnraum ist nicht nur ein Anlageprodukt, sondern ein Grundbedürfnis. Wenn Wohnungen leer bleiben, obwohl sie sofort vermietet werden könnten, entsteht ein moralisches Spannungsfeld, das kaum zu rechtfertigen ist.

Leerstand verschärft Notlagen. Er führt zu höheren Preisen. Er reduziert die Auswahl. Er trifft Familien, Alleinerziehende, Studenten und Senioren. Das geschieht nicht durch Naturgesetze, sondern durch Entscheidungen. Die Ausrede „Vermietung ist zu kompliziert“ überzeugt nicht. Jede Hürde lässt sich beseitigen.

Befristete Mietverträge ermöglichen klare Planung. Professionelle Verwaltung übernimmt den gesamten operativen Aufwand. Digitale Systeme erleichtern Kommunikation, Dokumentation und Abrechnung. Flexible Modelle reduzieren Risiken, ohne Wohnraum ungenutzt zu lassen.

Es handelt sich also nicht um ein strukturelles Problem, sondern um ein Einstellungsproblem. Verantwortung lässt sich abgeben, Leerstand nicht.

Fazit

Spekulativer Leerstand entsteht nicht durch den Markt. Er entsteht durch Eigentümer, die Wohnraum nicht nutzen, obwohl er dringend gebraucht wird. Die Verantwortung liegt nicht im System. Sie liegt im Verhalten.

Wohnungen sind nicht das Problem. Die Haltung dahinter ist das Problem. Wer Wohnraum besitzt, sollte ihn nutzen oder nutzen lassen. Und wer keinen Aufwand möchte, kann ihn delegieren. Jede Alternative ist besser als Passivität.

Leerstand mag bequem wirken. Er ist weder wirtschaftlich klug noch gesellschaftlich vertretbar. Wohnraum braucht Verantwortung. Ohne sie bleibt die Debatte endlos und das Problem wächst weiter.

Autor Jan Moritz Becker beschreibt sich als Immobilieninvestor, öffentlich bestellter Gutachter und Influencer

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtigen bei
0 Comments
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen