Überschuldung in Deutschland steigt erstmals wieder an

Schuldenfalle
Foto: PantherMedia/Zerbor
Der Weg in die Schuldenfalle trifft wieder mehr Deutsche.

5,65 Millionen Menschen in Deutschland gelten nach dem heute erschienenen SchuldnerAtlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform als überschuldet. Überschuldungsexperte Christoph Zerhusen ordnet die neuesten Zahlen ein

Laut Definition können sie kaum noch ihren täglichen Minimalbedarf finanzieren und ihre Schulden dauerhaft nicht aus Einnahmen oder Rücklagen tilgen. Dabei hatte sich die Lage seit 2019 zunächst entspannt. Mehr als eine Million Überschuldete fanden bis 2022 einen Weg aus der Überschuldungsspirale – dank guter Beratung und staatlicher Unterstützung. Auch für 2023 klingen die Zahlen des neuen SchuldnerAtlas auf den ersten Blick positiv. Christoph Zerhusen, Jurist und Überschuldungsexperte der Verbraucherzentrale NRW, hat sich die Zahlen genauer angeschaut und sieht die Lage kritisch.

Die Zahl der überschuldeten Menschen in Deutschland ist 2023 laut SchuldnerAtlas auf den ersten Blick gesunken. Wie sehen Sie das?
Tatsächlich sehen wir den Trend zu einer steigenden Überschuldung. Creditreform erläutert selbst, dass der Rückgang der Überschuldeten im diesjährigen SchuldnerAtlas nur auf eine Änderung in der statistischen Systematik zurückzuführen ist. Bliebe es bei der bisherigen Handhabung, käme auch der SchuldnerAtlas zu dem Ergebnis, dass die Zahl der Überschuldeten ansteigt. Dies deckt sich mit unseren praktischen Erfahrungen. Die vielen Krisen der jüngsten Zeit haben ihre Spuren hinterlassen. So sind die Kosten für Wohnen, Heizen und Lebensmittel seit 2022 deutlich gestiegen. Das spüren vor allem Menschen mit geringem Einkommen, die häufig von Überschuldung betroffen sind.

Die Verbraucherzentrale NRW berät Menschen bei Überschuldung sowie bei akuten Geld- und Kreditproblemen. Wie sieht dort die Entwicklung aus?
An unseren Standorten in NRW beraten wir kostenlos bei akuter Existenzgefährdung durch finanzielle Probleme. In 14 Beratungsstellen bieten wir zusätzlich eine umfassendere Schuldner- und Insolvenzberatung an. Dort war die Nachfrage bereits anhaltend hoch, nun steigt sie deutlich an, das sehen wir täglich. Betroffene benötigen vor allem schnelle Hilfe in existenzbedrohenden Lagen wie etwa bei Kontopfändungen oder drohenden Energiesperren. Auch wenn der Arbeitsmarkt recht stabil ist, geraten viele Menschen durch die hohe Inflation und steigende Wohnkosten in finanzielle Schwierigkeiten. Bei Familien, Senior:innen, Alleinerziehenden und Geringverdienern etwa kann die Lage schnell kritisch werden. Vor allem ein längerfristiges Niedrigeinkommen trägt in den vergangenen Jahren immer häufiger zur Überschuldung der Menschen bei.

Wie könnte man die Lage der Betroffenen verbessern?
Je früher geholfen wird, desto besser sind die Chancen auf finanzielle Erholung. Hierfür benötigen alle Betroffenen einen garantierten Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung. Wir fordern daher einen bedarfsgerechten Ausbau der Schuldnerberatung. Es ist fatal, dass viele Menschen in finanziellen Krisen bisher keine Möglichkeit haben, eine Schuldnerberatung in Anspruch zu nehmen. Die Kapazitäten reichen ganz klar nicht aus. In Deutschland haben aktuell nur Empfänger:innen bestimmter Sozialleistungen verlässlichen Zugang zu einer unabhängigen, spezialisierten Schuldnerberatung. Das fordern wir auch für andere von Überschuldung betroffene Personengruppen, z.B. Erwerbstätige, Rentner:innen, Kleinselbständige und Studierende – und zwar kostenfrei. Nach neuen Vorgaben der Europäischen Union müssten zudem auch schon Menschen mit größeren Zahlungsschwierigkeiten eine Schuldnerberatung nutzen können. Das unterstützen wir.

Was können Betroffene tun, wenn ihnen die Schulden über den Kopf wachsen?
Sie sollten sich möglichst frühzeitig bei einer amtlich anerkannten Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle kostenlos Hilfe holen, etwa bei den Wohlfahrtsverbänden, Kommunen oder den Verbraucherzentralen. Denn meist schafft man den Weg aus den Schulden nicht alleine.

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