Frau Thoma, was kann die betriebliche Altersversorgung konkret dazu beitragen, den Gender Pension Gap in Deutschland zu schließen? Und wo liegen aktuell die größten Hürden?
Thoma: Die bAV kann unheimlich viel dazu beitragen, den Gender Pension Gap zu verkleinern. Besonders betroffen sind Frauen, die in Teilzeit arbeiten – häufig mit Steuerklasse 5. Und hier greift der Hebel der Brutto-Netto-Vorteile. Eine Frau, die zum Beispiel 60 Euro netto in ihre Altersversorgung investiert, bekommt dadurch bis zu 200 Euro brutto in die bAV eingezahlt. Das ist enorm. Und genau das bietet die bAV. Die größte Hürde liegt für mich darin, dass viele Vermittler dieses Potenzial und die Zielgruppe noch nicht klar genug sehen. Auch Paragraf 100 EStG – also der Förderparagraf – wird noch zu wenig genutzt. Wir bei der Bayerischen sind da regelrecht missionarisch unterwegs und tauschen uns mit größeren bAV-Organisationen aus. Viele hatten das Thema abgehakt, als es hieß: nur ungezillmerte Tarife – wirtschaftlich uninteressant. Aber inzwischen sehen viele den Mehrwert wieder und kehren zurück. Und wir hoffen natürlich, dass die Bundesregierung beim BRSG 2.0 endlich auch den Paragrafen 100 reformiert.
Viele Frauen mit geringem Einkommen oder in Teilzeit erreichen die bAV kaum – oder umgekehrt. Was muss sich in der Produktgestaltung und Ansprache ändern, damit diese Zielgruppe besser erreicht wird?
Thoma: Beim ersten German Equal Pension Symposium, das rein mit Fachfrauen stattfand, waren wir uns schnell einig: Es braucht keine anderen Produkte für Frauen. Die Produkte gibt es schon, entscheidend ist die Ansprache. Die beginnt nicht selten schon beim Arbeitgeber. Gerade in kleineren, familiengeführten Unternehmen erleben wir eine große Verbundenheit zwischen Chef und Belegschaft. Wenn wir dort den Arbeitgebern vor Augen führen, mit welchen Renten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das Unternehmen mit aufgebaut haben, einmal in den Ruhestand gehen werden, dann entsteht Betroffenheit. Und daraus oft echte Bereitschaft, etwas zu tun.
Anfang der 2000er gab es in vielen Unternehmen noch Bedenken gegenüber der bAV. Die Vorbehalte gibt es auch noch heute. Oder hat sich das MIndset geändert?
Thoma: Definitiv. So eine Zurückhaltung wie früher erleben wir heute kaum noch. Die jüngeren Generationen – und das hat sich auch beim Symposium gezeigt – sind sich der Probleme in der Sozialversicherung sehr bewusst. Sie wissen: Wenn sie nichts tun, bleibt für sie am Ende kaum etwas übrig. Das erzeugt Offenheit, auch für betriebliche Vorsorge.
Die Bayerische positioniert sich stark im Bereich Nachhaltigkeit. Wie lassen sich ökologische und soziale ESG-Ziele mit dem Thema Rentenlücke bei Frauen verknüpfen?
Thoma: Absolut. Rund 75 Prozent unseres bAV-Geschäfts läuft über unsere nachhaltige Produktlinie Pangaea Life. Und wir haben 2023 etwas erreicht, worauf ich besonders stolz bin: Im Bestand haben wir inzwischen mehr aktive Altersvorsorgeverträge mit Frauen als mit Männern. Und das, obwohl Männer zu 90 Prozent Vollzeit arbeiten, Frauen aber nur zu etwa 35 Prozent. Das ist ein Riesenschritt. Warum das funktioniert? Weil Nachhaltigkeit viele Frauen anspricht. Das Thema „sinnvoll vorsorgen und gleichzeitig etwas Gutes tun“ wirkt – das ist ein gelungenes Match: Altersvorsorge für Frauen und Nachhaltigkeit.
Was muss sich aus Ihrer Sicht in Politik, Arbeitswelt und Beratung ändern, damit Altersvorsorge für Frauen nicht länger ein strukturelles Risiko bleibt?
Thoma: In der bAV-Welt sind sich viele einig: Ein verpflichtendes Opt-out-Modell wäre der Schlüssel. Also eine Regelung, bei der Arbeitnehmer automatisch in die bAV einbezogen werden – mit Möglichkeit zum Widerspruch. Aktuell kümmern sich laut aktuellen Befragungen nur 17 Prozent der Bürger aktiv um ihre bAV. 83 Prozent warten ab, entscheiden nichts. Das war vor 20 Jahren anders. Ein solches Opt-out – losgelöst von Tarifverträgen – würde enorm helfen. Ob das politisch umsetzbar ist? Ich fürchte, das bleibt vorerst ein Träumchen.