Frank Hilbert: „Wir müssen noch stärker in den Vermittlermarkt“

Foto: VHV/Hannoversche Leben
Hannoversche Leben Vorstandsvorsitzender Frank Hilbert: "Wir haben uns entschlossen, neue Vertriebskanäle zu erschließen.“

In den vergangenen 20 Jahren agierte die Hannoversche Lebensversicherung als Direktversicherer im Markt. Nun erfolgt der Schwenk. Von einem Direktversicherer mit Schwerpunkt Risikolebensversicherung hin zu einem Biometrie-Multikanalversicherer. Cash.-Interview mit Frank Hilbert, Sprecher des Vorstands der Hannoversche Lebensversicherung, über die Neupositionierung im Vermittlermarkt, die strategischen Ziele und die Grenzen des digitalen Vertriebs.

In den vergangenen 20 Jahren agierte die Hannoversche Lebensversicherung als Direktversicherer im Markt. Nun schwenken Sie um – von einem Direktversicherer mit Schwerpunkt Risikolebensversicherung hin zu einem Biometrie-Multikanalversicherer. Woher rührt der strategische Wechsel?
Hilbert: Um dies zu erklären, muss man in die Historie der Hannoversche Lebensversicherung schauen. Bis 2005 hat die Hannoversche Lebensversicherung in der Hauptsache gemischte Lebensversicherungen und Direktversicherungen in der betrieblichen Altersversorgung verkauft. Eine Analyse nach der Fusion mit der VHV zeigte, dass wir in diesem Segment nicht mehr wirklich erfolgreich mitspielen konnten. Gründe hierfür waren der Wegfall des Steuerprivilegs ab 1. Januar 2005 und unsere gegenüber dem Markt eher niedrige Zinsüberschussbeteiligung. Vor diesem Hintergrund haben wir uns seit 2005 auf den Markt der Biometrieprodukte fokussiert. Hier haben wir uns mit der Risikolebensversicherung sehr gut etabliert. Mit einem Marktanteil zwischen 15 bis 20 Prozent sind wir mit großem Abstand Marktführer im Neugeschäft. Risikolebensversicherungen (RLV) sind allerdings zum Teil Nachfrageprodukte. Gründe für den Abschluss einer RLV sind die Absicherung der Familie und der Kinder, Hausbau oder Wohnungskauf. Aktuell sehen wir, dass die Nachfrage nach Hypothekenkrediten massiv gesunken ist. Wesentliche Ursache ist die starke Inflation und die daraus resultierende deutliche Zunahme der Hypothekenzinsen, aber auch die sinkenden Geburtenraten. So lag die Zahl der Geburten Mitte der 1960er Jahre noch bei 1,36 Millionen, seit Beginn der 2000er Jahre liegen die Zahlen nur noch bei 700.000 bis 750.000. Daher wurden 2014 in Deutschland noch rund 580.000 Risikolebensversicherungen verkauft, 2022 waren es dann nur noch etwa 360.000 Stück. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Die demografische Entwicklung macht den Vertrieb immer herausfordernder.

Sie sprachen eben von einem massiven Rückgang. Was heißt das genau?
Hilbert: Der Einbruch von Risikolebensversicherungen mit fallender Versicherungssumme ist deutlich zweistellig. Sie können das in der gesamten Versicherungswirtschaft beobachten. Der Neuzugang der Risikolebensversicherungen ist in diesem Jahr um knapp neun Prozent zurückgegangen. Gründe sind die Nachwehen der Coronapandemie, der Angriffskrieg auf die Ukraine, die wirtschaftlich unsichere Lage auf der einen Seite und die steigenden Zinsen auf der anderen Seite. Letztere sind zwar gut für die Lebensversicherer, aber eben nicht für den Vertrieb dieser Art von Produkten.

Ist das Geschäft mit Risikolebensversicherungen noch auskömmlich?
Hilbert: Ja. Man muss es nur gut machen, geeignete Vertriebswege bespielen und risikogerecht tarifieren.

Welche Erwartungen haben Sie an den strategischen Schwenk?
Hilbert: Wir haben einen hohen Marktanteil in einem gesättigten Markt. Aus dieser Position heraus wird es immer schwieriger, den Marktanteil weiter auszubauen. Wir haben uns daher entschlossen, unser Produktangebot im Biometriegeschäft weiterzuentwickeln und dabei neue Vertriebskanäle zu erschließen. Die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) und die BUZ gehörten stets zum Portfolio der Hannoversche Lebensversicherung. Allerdings bislang nur im Direktvertrieb, in dem wir ebenfalls Marktführer sind.

Aber rein digital lässt sich eine BU längst nicht so einfach beraten wie die RLV.
Hilbert: Das ist richtig. Die Berufsunfähigkeits- und Invaliditätsabsicherung sind komplexe und vor allem beratungsintensive Produkte. Deswegen ist der Direktvertrieb für solche Produkte nur bedingt geeignet und nur ein Bruchteil des Geschäfts wird über diesen Vertriebskanal abgeschlossen. Der Großteil des BU-Geschäfts wird im vermittelten Kanal geschrieben.

Wieso kommt der Schwenk jetzt?
Hilbert: Wir haben bislang mit einem Verwaltungssystem gearbeitet, das aus den 1970er Jahren stammt und seit 2017 grundlegend erneuert wurde. Eine entsprechende IT-Umgebung ist Voraussetzung für diese Transformation in Richtung Vermittlermarkt. Das ist uns in den vergangenen Jahren, insbesondere in den anspruchsvollen Pandemiejahren, gelungen. Damit sind wir jetzt noch besser in der Lage, den Bedürfnissen der Vermittler Rechnung zu tragen. Seit Mitte des Jahres 2022 können wir moderne und marktadäquate Prozesse auch in der BU anbieten – und das ist unsere Chance, mit dem Thema Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitsversicherung in den Markt der Pools, Finanzdienstleister und Makler zu gehen. Mittlerweile verarbeiten wir 95 Prozent unseres Neugeschäftes in dem neuen System, seit dem letzten Jahr auch alle BU-Versicherungen.

Sie haben gerade erst eine Berufsunfähigkeitsversicherung auf den Maklermarkt gebracht.
Hilbert: Das Produkt ist seit Anfang Juli auf dem Markt und meines Erachtens preislich sehr attraktiv, flexibel und vor allem leistungsstark. In der Berufsunfähigkeitsabsicherung erhalten wir aktuell Risikovoranfragen in dreistelligem Umfang pro Tag. Wir haben hierfür ein ganzes Team und zusätzlich neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, um die Risikovoranfragen professionell zu beantworten. Wir nehmen den Einstieg in das Segment des Vermittlermarktes sehr ernst. Wir wissen, dass wir noch nicht perfekt sind – uns aber in die richtige Richtung bewegen. Das bestätigt auch eine Analyse der Prozess- und Servicefähigkeit von einem großen, hannoverschen Finanzdienstleister: Vor rund zwei Jahren hatten wir bei den Service-Anforderungen eine Erfüllungsquote von ca. 30 Prozent. Inzwischen liegen wir bei guten 90 Prozent. Wir haben das Feedback der Vermittler ernst genommen und deutlich aufgeholt, auch weil das IT-System uns jetzt dazu in die Lage versetzt. Wir haben inzwischen beispielsweise BiPro-Schnittstellen, nutzen Online-Risikoprüfungstools wie Versdiagnose und versuchen stets, den Anforderungen der Makler, Pools und Finanzdienstleister gerecht zu werden. Jetzt können wir sie nicht nur in der Risikolebensversicherung, sondern auch in der BU professionell bedienen.

Wie alt sind ihre Kunden im Schnitt?
Hilbert: Unser Durchschnittskunde ist unter 30 Jahre alt. Daher haben wir im Tarif viele Optionen eingebaut, um auf Veränderungen beispielsweise im Laufe des Berufslebens reagieren zu können. Und wir sind in der Lage, den Tarif mit guten Services zu begleiten. Darauf legen wir großen Wert. Der Preis ist eben nicht alles. Daher stellen wir auch fest, dass die Makler, Pools und Finanzdienstleister gänzlich andere Anforderungen an uns haben, als der Direktvertrieb. Diese wollen wir natürlich vollumfänglich bedienen. Das Gesamtpaket aus einem fairen Preis, einem guten Bedingungswerk und gutem Service macht aus unserer Sicht den Erfolg aus. Darüber hinaus sind die Zuverlässigkeit bei Risikovoranfragen, eine schnelle Policierung bei glatten Anträgen, ein vernünftiger Umgang bei medizinischen Rückfragen und eine professionelle Provisionsabrechnung unabdingbar. Unser Konzept geht auf: In einem schwierigen Umfeld konnten wir uns besser als der Markt entwickeln. Wir haben im letzten Jahr mit der BU im Hinblick auf Stückzahl und Beiträge ein Wachstum von 40 Prozent erreicht. Mit den neuen Produkten wollen wir jetzt noch weitere Endkunden und Vermittler überzeugen.

Sie bieten aktuell keine Grundfähigkeitsversicherungen an. Denken Sie über die Ausweitung des Produktangebots in diese Richtung nach?
Hilbert: Ja. Wir planen, mit einem Produkt an den Markt zu gehen. Allerdings liegt der aktuelle Fokus auf der BU. Wir haben in unserer neuen BU aber bereits Grundfähigkeitselemente integriert.
Entscheidende Kriterien für eine BU sind neben der Qualität der Tarife die Finanzstärke des Anbieters und die Beitragsstabilität. Wie finanzstark und beitragsstabil ist die Hannoversche Lebensversicherung?
Hilbert: Vor zwei Jahren haben die Negativzinsen vielen Lebensversicherern geschadet. Einige Versicherer befanden sich zu diesem Zeitpunkt unter Aufsicht der BaFin. Unsere Solvenzquoten lagen auch zu dieser Zeit zwischen 300 und 400 Prozent – ohne jede Art von Hilfsmaßnahmen, weil unsere Bilanz eine sehr gut austarierte Aktiv- und Passivseite aufweist. Darauf legen wir seit 2005 großen Wert. Nach der Lehmann-Pleite haben wir unsere Bemühungen nochmals intensiviert. Mit Erfolg: Assekurata bewertet uns seit über zehn Jahren in allen Kategorien mit „exzellent“, Standard & Poor’s bewertet die VHV Allgemeine und die Hannoversche Lebensversicherung mit A+. Auf diese Finanzstärke sind wir stolz und sie ist wichtig für unsere Kunden. Denn eine BU-Versicherung begleitet sie durchaus 40 Jahre – dafür ist ein finanzstarker und verlässlicher Partner im Leistungsfall unerlässlich.

Die Berufsunfähigkeitsversicherung gehört zu den wenigen Produkten, das der Kunde oder die Kundin bestenfalls 45 Jahre im Bestand hat. Welche Bausteine haben Sie integriert, damit der Tarif den beruflichen Steps folgen kann?
Hilbert: Bei der Entwicklung haben wir großen Wert darauf gelegt, dass sich der Versicherungsschutz flexibel den sich ändernden Absicherungserfordernissen im Laufe des Lebens anpasst, etwa bei Veränderungen des Berufes. Wenn es eine bessere Klassifizierung gibt, folgen wir dieser und passen den Tarif preislich an. Weitere Optionen gibt es zum Beispiel bei Heirat, Geburt eines Kindes oder dem Hausbau. Die meisten Vertragsanpassungen erfolgen ohne Gesundheitsprüfung. Für Studenten oder junge Menschen bieten wir eine Starter-BU, die bei rund 40 bis 50 Prozent des Preises startet und ab dem 30. Lebensjahr sukzessive im Beitrag steigt.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der BU? Wie schnell geht es bei Ihnen vom Antrag über die Prüfung bis zum Vertrag?
Hilbert: Wenn Sie als Endkunde den direkten Abschluss wählen, bekommen Sie, wenn es keine gesundheitlichen Einwände gibt, von uns eine direkte Leistungszusage. Wir haben hierfür mit unserem Rückversicherer ein Risikoprüfungstool entwickelt und werden demnächst auch dunkel policieren können. Dann erhalten unsere Kunden die Police schon am nächsten Tag. Auch Vermittler bekommen diese Tools von uns zur Verfügung gestellt, so dass sie dieses im Beratungsgespräch nutzen können. Unser Anspruch ist, die Technik, die wir bei Endkunden nutzen, auch Vermittlern zur Verfügung zu stellen. Wir arbeiten hier mit diversen namhaften Pools und Finanzdienstleistern zusammen. Ziel ist es, uns breiter aufzustellen und in die Segmente hineinzugehen, in denen sich unsere Schwester, die VHV Allgemeine, bereits bewegt. Es geht also auch um die Zusammenarbeit mit mittelgroßen und kleineren Maklern.

Die Digitalisierung erfordert massive Investitionen. Wie hoch sind die bei Ihnen?
Hilbert: Wir sprechen hier von einem Investitionsvolumen von über 100 Millionen Euro für die Hannoversche Lebensversicherung. Wir haben uns für ein komplett neues System entschieden. Dieses umfasst unter anderem das Bestandsführungssystem, das Maklersystem, das Provisionssystem sowie In- und Exkasso. Das neue System macht uns unter anderem auch flexibler, Änderungen an Tarifen lassen sich so deutlich schneller umsetzen.

Vor diesem Hintergrund: Wie viel Mensch braucht es ihrer Ansicht nach für eine fundierte Beratung bei der Invaliditätsabsicherung?
Hilbert: Ich denke, man braucht hier eine Menge Mensch. Eine professionelle, individuelle und vor allem bedarfsgerechte Beratung ist insbesondere bei der Berufsunfähigkeitsversicherung unabdingbar. Dieser Faktor Mensch ist im Vermittlermarkt garantiert. Die Überlegung, dass wir uns dem Vermittlermarkt öffnen wollen, gibt es seit vielen Jahren. Durch die Umstellung der EDV-Technik haben wir seit dem vergangenen Jahr nun endlich die Möglichkeit dazu und der bisherige Erfolg gibt uns recht.

Sie bieten neben den biometrischen auch Altersvorsorgeprodukte an. Werden auch diese künftig über den Maklermarkt angeboten?
Hilbert: Wenn wir auf die laufenden Beiträge schauen, stammen weniger als fünf Prozent aus der Altersvorsorge und mehr als 70 Prozent aus der Risiko- und Hinterbliebenenvorsorge. Der Rest stammt aus der Einkommensabsicherung. Wir haben 2005 gesagt, dass wir uns auf den Biometriemarkt konzentrieren wollen. Das war gut so. Sich zu fokussieren und erfolgreich zu sein, gilt im Übrigen für die gesamte VHV Gruppe. In der Lebensversicherung sind wir führend in der Risikolebensversicherung und im BU-Direktvertrieb. Wenn wir im Bereich der Lebensversicherung weiterwachsen wollen, haben wir zunächst klar die Biometrie im Fokus. Daher konzentrieren wir uns auf das Thema Invaliditätsabsicherung im Vermittlermarkt. Unser Anspruch ist, dass unsere Vertriebspartner an das, was wir machen, glauben und uns vertrauen. Dafür haben wir viel Geld in die Hand genommen und unsere Teams und Prozesse entsprechend aufgestellt. Wichtig ist uns aber eine klare Fokussierung und Priorisierung. Wir wollen zunächst den ersten Schritt erfolgreich zu Ende gehen, bevor wir den nächsten machen.

Das Interview führte Jörg Droste, Cash. Redakteur und Ressortleiter Versicherungen.

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