Die Ausreden wiederholten sich: „Die Märkte waren unberechenbar.“ „Die Fed hat falsch signalisiert.“ „Wir hatten keine Daten.“ „Wir wurden vollkommen überrascht.“ Über Jahrzehnte hinweg konnten sich Banken, Asset Manager und Fondsanbieter auf diese rhetorischen Rückzugsgebiete verlassen. Für Kunden bedeutete das: keine Klarheit, keine Kontrolle, keine Vergleichbarkeit. Vermittler mussten schlechte Ergebnisse kommunikativ auffangen – ohne Einblick in die eigentlichen Entscheidungsprozesse zu haben. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Vermögensverwaltung kippt das Machtverhältnis. Ausreden werden sichtbar. Berater stehen vor einer neuen Realität.
Insbesondere Menschen, die verstärkt auf Fonds setzen oder ihrem Vermögensverwalter blind folgen, wissen wenig bis nichts über das Portfoliomanagement. Entscheidungen werden im Fondsmanagement oder Anlageausschuss getroffen. Unwissende Relationship-Manager müssen sie dann im Kundengespräch begründen, ohne belastbare Daten vorlegen zu können.
Den klassischen Vertriebsstrukturen fehlt es an technologischen Möglichkeiten zur Echtzeitanalyse, zur fundierten Bewertung von Alternativen und zur kontinuierlichen Anpassung an die Marktentwicklungen. Selbst professionelle Vermögensverwalter arbeiteten oft mit rückblickenden Reports, pauschalen Risikoklassen und stark aggregierten Daten. Künstliche Intelligenz verändert dieses System nun radikal – durch immense Rechenleistung, analytische Tiefe und nahezu unbegrenzte Geschwindigkeit. Entscheidungen werden dadurch transparenter, vergleich- und überprüfbarer. Das Ende des Portfoliomanagements auf Vertrauensbasis ist eingeläutet. Performance ist heute objektiv nachvollziehbar.
Prof. Dr. Gunter Dueck, ehemaliger Chief Technology Officer bei IBM und kritischer Geist, gibt der Privatkundenberatung einen neuen Namen: „Flachbildschirmrückseitenberatung“.
Wie KI Entscheidungen bewertet und sichtbar macht
Moderne unabhängige Vermögensverwalter werden auf KI-gestützte Portfoliosteuerungssysteme und komplexe Datenquellen zugreifen: Makrodaten, Branchenindikatoren, Sentiment-Analysen, Volatilitätscluster, ESG-Scores, Korrelationstrends und vor allem Just-in-Time-Risikoparameter. Machine-Learning-Modelle erkennen nicht nur historische Muster, sondern trainieren mit aktuellen Marktereignissen in Echtzeit. Dabei wird nicht nur auf Kursdaten zurückgegriffen, sondern auf granulare Risikobewertungen, geopolitische Risikoindizes, Unternehmensdatenbanken und Marktimplikationen aus Zinsstrukturkurven.
Entscheidend ist: Diese Systeme treffen nicht nur Entscheidungen, sie dokumentieren sie auch. Sie zeigen, welche Handlung zum jeweiligen Zeitpunkt datenbasiert optimal gewesen wäre (inklusive Alternativszenarien) und setzen diese Signale zeitgleich an der Börse um. Das Stichwort lautet „automatisches Portfoliomanagement“. Für Berater bedeutet das: Der Kunde kann das subjektive Beratungsergebnis mit dem objektiven der Modellentscheidung vergleichen. Im besten Fall entsteht daraus ein leistungsfähiges Qualitätsargument. Im schlechtesten Fall ein Defizit, das sich nicht mehr verbergen lässt. In Zukunft müssen wir drei Fragen stellen:
Erstens: Wieso soll ein menschliches Portfoliomanagement mit einer Management- und Performance-Fee bezahlt werden, wenn die KI bessere Anlageentscheidungen trifft und diese deutlich schneller in Realtime umsetzt?
Zweitens: Wozu brauche ich einen persönlichen Berater, wenn dieser schlechter abschneidet als die KI?
Drittens: Sind Robo Advisors der neuen Generation (ab 2026 bis 2028) die bessere Alternative zum klassischen Fonds- und Portfoliomanagement?
Was die nächste Generation der Robo-Advisors leisten wird
KI-basierte Robo Advisors werden weit mehr leisten als Berater, die klassischen, regelbasierten Anlagevorschlägen folgen. Sie werden auch mehr leisten als die alte Generation der Robo Advisors, die seit ihren Anfängen – zumeist Value-at-Risk-getrieben – auf standardisierte ETF-Modellportfolios setzt.
Zukünftig wird es robuste Einzeltitelportfolios geben, die klassischen Anlagestrategien folgen, aber rein durch die KI gesteuert und ohne irrationale menschliche Entscheidungen in Echtzeit umgesetzt werden (zum Beispiel Total oder Absolute Return, Multi-Asset, benchmark-orientiert oder long only). Zudem werden KI-Robo-Advisors individuelle Lebensumstände erkennen und diese den statischen Risikoprofilen vorziehen. Sie werden veränderte finanzielle Ziele und sogar emotionale Muster der Kunden erkennen. Entscheidungen werden nicht mehr pauschal, sondern hochpersonalisiert getroffen – basierend auf lernenden Algorithmen, die mit jedem Nutzerkontakt präziser werden. Sie geben nicht nur Empfehlungen, sondern begründen diese mit objektiven Daten. Der Robo-Advisor der Zukunft wird zum digitalen Finanzcoach: proaktiv, adaptiv, empathisch – und vor allem: schneller, konsistenter und faktenbasierter als jeder Mensch es je sein könnte. Und das nicht nur in der Vermögensverwaltung. Die Automatisierung wird den gesamten Produktvertrieb erfassen.
Inno Invest betrachtet KI nicht als eigenständiges Tool, sondern als integralen Bestandteil der eigenen Wealthtech- und Vermögensverwaltungsplattform. Das Unternehmen setzt auf kombinierte Aktien- und ETF-Strategien. Seit 2022 bietet der Vermögensverwalter neben klassischen Strategieportfolios eine rein KI-gesteuerte Vermögensverwaltung an, die als integraler Bestandteil der eigenen Wealthtech-Plattform läuft – ganz ohne menschlichen Input. Die KI arbeitet rein datenbasiert und regelgesteuert. Ihre Aktivitäten sind vollständig transparent. Für Kunden entsteht so ein nachvollziehbarer Anlageprozess, ohne dass dies zu Lasten der Individualisierung geht. Irrationale Entscheidungen werden vollständig eliminiert.
Die Rolle des Beraters verändert sich radikal
Wer heute noch auf statische Risikoprofile und standardisierte Produktvorschläge aus den Vertriebsvorgaben setzt und nach Schema F berät, läuft Gefahr, durch technologiegestützte Lösungen verdrängt zu werden. Gleichzeitig entsteht für qualifizierte Berater eine neue Chance: Anstatt wertpapierfokussierten Produktvertriebs entlang eines macdonaldisierten Beratungskonzepts leistet die neue Generation von Relationship-Managern etwas, das für die KI unmöglich: Sie bringt die menschliche Komponente ins Spiel. Moderne Wertpapierberater können KI-Ergebnisse interpretieren, strategisch einordnen und psychologisch vermitteln. Denn: Während KI rationale Entscheidungen trifft, bleibt das emotionale Vertrauen eine menschliche Domäne. Konkret heißt das:
- Transparenz wird zum Verkaufsargument: Wer Entscheidungen begründen kann, überzeugt glaubwürdig.
- Der Beratungsprozess wird dokumentiert: Das schützt rechtlich und wirkt vertrauensbildend.
- Kundenbindung wird neu definiert: Nicht durch Produkte, sondern durch begleitende Kompetenz.
Beratungsqualität = Technologie + Persönlichkeit
Die hybride Beratung „Mensch + Maschine“ ist keine Zukunftsvision, sondern Realität. Vermittler, die sich dieser Realität verschließen, erleben derzeit, wie ihre Kunden zu Plattformanbietern und Neobanken abwandern. Die Beratungsqualität bemisst sich künftig an zwei Kriterien: technologischer Souveränität und menschliche Anschlussfähigkeit.
Fazit: Wer heute nicht liefert, wird ersetzt
Die Branche steht vor einer radikalen Konsolidierung. Und die wird nicht regulatorisch erzwungen, sondern technologisch. Wer weder Performance noch Mehrwert bringt, wird nicht ernst genommen. Wer keine Beratungsqualität nachweist, verliert Vertrauen. Wer Prozesse nicht digital abbildet, verliert Effizienz und damit Marge. Doch der Ausweg ist klar: Wer KI als Unterstützung begreift, stärkt seine Position. Die Schonzeit ist vorbei. Aber das ist keine Drohung – es ist der Beginn echter Beratungsqualität.
Stefan Schmitt ist Geschäftsführer von Inno Invest.