Nachhaltige Finanzberatung: „Orientierungslos und ohne Plan“

Fotos: PMA
Bernward Maasjost

Dr. Bernward Maasjost, Geschäftsführer des Münsteraner Finanzvertriebs PMA, Prof. Dr. Hans-Wilhelm Zeidler, Aufsichtsratsvorsitzender der PMA-Muttergesellschaft MuC, und Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski von der Humboldt-Universität Berlin über Nachhaltigkeit im Finanzvertrieb

Künftig müssen Makler ihre Kunden auch zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen befragen. Ist das Thema schon hinreichend bei den Maklern angekommen oder wird der dadurch entstehende zusätzliche Beratungsaufwand noch unterschätzt?

Maasjost: Die gesetzliche Aufgabenstellung ist klar formuliert. Doch erneut wird in der gesetzlichen Regulierungswut nicht festgelegt, wie dieses Vorhaben in der Praxis umgesetzt werden soll. Der Berater muss nun nicht nur die Präferenz zu Produkten abfragen, er muss künftig auch über die Nachhaltigkeitsfaktoren der Produkte berichten. Konkret bedeutet das: Finanzmarktteilnehmer, von Banken über Vermögensverwalter und Finanzvertriebe bis hin zu Versicherungsvermittlern, sind ab März verpflichtet, den Verbrauchern Informationen über die Auswirkungen von möglichen Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren zugänglich zu machen. Diese Informationspflicht gilt insbesondere bezogen auf ökologisch nachhaltige Investitionen und solche Finanzprodukte, die mit dem Hinweis auf ökologische Merkmale beworben werden. Wie sie an belastbare Informationen gelangen sollen, ist noch völlig unklar. Zudem fehlen sowohl die technischen Regulierungsstandards, die Details zur Umsetzung enthalten, als auch eine Anpassung der Delegierten Verordnung zum Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten. Beides sollte uns aber nicht davon abhalten, sich mit der Offenlegungsverordnung zu befassen und erste Entscheidungen zu treffen.

Zeidler: Meine Erfahrungen zeigen, dass Makler – anders als ihre Interessenverbände, Pools etc. – sich wenig in die branchenpolitische Diskussion bei angekündigten Neuregelungen einbringen und stattdessen die Ergebnisse abwarten. Nach Einführung der neuen Regelungen wird dann sondiert, wie mit diesen Regeln umzugehen ist und wer einen bei der Umsetzung unterstützen kann. Ich denke, das ist nicht zuletzt eine Ermüdungserscheinung nach den Fluten neuer Vorgaben, mit denen in das Tagesgeschehen hineinregiert wird.

Schwintowski: Ich vermute, dass den Maklern völlig unklar ist, worum es in Zukunft gehen muss. Ich weise jedoch darauf hin, dass die Informationspflichten schon ab 10. März gelten.

Wie bereiten Sie die Makler darauf vor? Bieten Sie entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen an?

Zeidler: Im Moment ist es noch sehr schwer, unseren Maklern Unterstützung anzubieten, da viele Details noch nicht bekannt sind und vieles im Ungenauen liegt. Im Markt formieren sich aber aktuell Anbieter, die den Anforderungen Struktur geben möchten, wenn sie genauer wissen, was von der Legislative als Ergebnis erwartet wird. Einzelne Anbieter ermitteln bereits Nachhaltigkeitsbewertungen bei Versicherungen und bald auch bei Banken. Am Ende aller Tage der Unklarheitsbeseitigung wird entschieden sein, auf welche Art die Anforderungen erfüllt werden können – und dann wird es auch entsprechende Schulungen und Unterstützungen für die Makler geben.

Maasjost: Die Finanzdienstleister werden auf die Informationen zurückgreifen müssen, die von der Restwirtschaft geliefert und von den Produktgebern wie Banken, Versicherungs- oder Kapitalanlagegesellschaften sowie Pools – und für die Antragsstrecken auch von den Produktvergleichern und Ratingagenturen – zusammengetragen werden können. Uns ist bewusst, dass unsere Makler dafür Orientierung und Unterstützung benötigen – durch die Standardisierung von Datenströmen und -formaten sowie Schnittstellen, durch die Standardisierung der Intervalle, in denen Finanzdienstleistern die durch Kursschwankungen sich ändernde Nachhaltigkeitsfaktoren in Mischprodukten wie Investmentfonds mitgeteilt werden müssen, und durch eine Standardisierung der Diktion in der Deklaration von Nachhaltigkeitsfaktoren, mithin durch ein standardisiertes Nachhaltigkeitszertifikat.

Hans-Wilhelm Zeidler

Sind ESG-Produkte grundsätzlich eine Möglichkeit für Makler, ihr Geschäft auszubauen und engere Beziehungen zu ihren Kunden zu knüpfen?

Maasjost: ESG-Produkte sind zunächst einmal eine andere Produkt-Gruppe, die ins Portfolio der Finanzdienstleistung aufgenommen werden muss. Damit haben entsprechende Beratungen auch einen anderen Inhalt. Es kommen damit neue und zusätzliche Aufgaben auf den Berater zu. Leider sind diese Aufgaben und Verantwortungen mal wieder mangels klarer Regelungen aktuell kaum zu lösen, was die Vertriebe in zusätzliche Schwierigkeiten bringen wird.

Zeidler: Doch zweifelsfrei ist das Einbeziehen der Nachhaltigkeit von Finanzprodukten ein sinnvoller Baustein der Beratung der für diese Fragen immer sensibler werdenden Endkunden. Ich bin der Überzeugung, dass mit dem Nachhaltigkeitsmerkmal in der Beratung ein Beratungsbedürfnis von vielen Endkunden getroffen wird. Das wird einen positiven Effekt auf die Beratungsqualität im Hinblick auf die Bindung zwischen Endkunden und Makler haben. In der Summe aller Akquisitionen wird meines Erachtens jedoch nicht wesentlich mehr Neugeschäft geschrieben.

Wie geht der Vermittler das Thema in der Praxis an, ohne den Kunden zu überfrachten?

Maasjost: Zurzeit? Orientierungslos und ohne Plan. Der Berater weiß nicht konkret, welche Informationen er woher bekommt, was bedeutet, dass er kein Beratungsgespräch vorbereiten kann. Auch die Produktgeber stellen noch nicht ausreichende Informationen zur Verfügung – denn keiner weiß wirklich, was gefragt ist. Es ist ein übersichtliches Chaos. Was beim Kunden ankommt: Kopfschütteln und Durcheinander.

Hans-Peter Schwintowski

Vermittler müssen wachsam bleiben und hinterfragen: Ist das Investment wirklich nachhaltig oder hat es nur einen „grünen Anstrich“ bekommen? Wie können sie dieser anspruchsvollen Aufgabe gerecht werden?

Zeidler: Das sogenannte „Green-Washing“ ist als Umgehung der ernsten Nachhaltigkeits-Inhalte in der Branche bereits bekannt. Der Makler jedoch kann eine Eigenanalyse der Produkte und der Anbieter nicht leisten, wenn es sich nicht um ein sehr großes Maklerhaus mit entsprechenden Ressourcen handelt. Selbst Pools könnten damit überfordert sein. Man wird also auf Dienstleister zurückgreifen müssen, die eine Bewertung zur Nachhaltigkeit anbieten. Dann bleibt beim Makler die Aufgabe, sich für einen Anbieter mit einem seriösen Verfahren zu entscheiden.

Schwintowski: Das ist schon darum wichtig, weil ein Vermittler von Finanzdienstleistungsprodukten offenlegen muss, ob er die Nachhaltigkeit der Produkte, die er anbietet, überprüft hat. Richtig ist auch, dass der Vermittler bei Ungereimtheiten oder Widersprüchen beim Produktanbieter nachhaken muss. Grundsätzlich ist aber festzuhalten, dass Vermittler kaum eine Chance haben herauszufinden, ob ein Unternehmen tatsächlich „grün“ ist oder nur so tut. In der Konsequenz bedeutet das, der Vermittler legt offen, dass er im Grunde nur Daten weitergibt, die ihm von den Unternehmen übermittelt wurden, oder aber er beruft sich auf eine Art Prüfstelle, die die Fragen, die der Vermittler vielleicht stellen müsste, an seiner Stelle stellt, so dass der Vermittler auf diese geprüfte/zertifizierte/nominierte Information hinweisen könnte.

Maasjost: Wir haben die Vielschichtigkeit und die großen Herausforderungen der neuen Richtlinien frühzeitig erkannt. Darum sind wir Gründungsmitglied des „Arbeitskreis Finanzvermittlung und Nachhaltigkeitsfaktoren“. Unser Ziel ist es, eine branchenübergreifende DIN-Norm zu erarbeiten, die Aussagen über Nachhaltigkeitsfaktoren vergleichbar machen soll. Durch unsere Initiative werden wir einen Standard definieren, der dem Berater einen Überblick ermöglicht und hilft, Transparenz herbeizuführen, um so eine Basis für eine angemessene Beratung unter diesen gesetzlichen Regelungen zu schaffen.

Wie kann die DIN-Norm im Beratungsprozess helfen?

Zeidler: Der Arbeitskreis kann auf den Erfahrungen aufbauen, die bei der Erarbeitung der ersten Finanzdienstleistung-Norm gemacht worden sind. Wir haben im vergangenen Jahr erlebt, wie hilfreich und qualitätssteigernd die DIN-Norm in den Beratungsprozessen war. Das Erarbeiten einer Norm, was gemeinsam mit dem Defino Institut für Finanznormen für die Norm 77230 erfolgreich gelungen ist, ist ein Prozess, der Zeit braucht.

Schwintowski: Ich bin überzeugt, dass die Daten normgerecht dem Beratungsprozess im Einzelfall zu Grunde gelegt werden können. Die Norm steht dafür, dass die Vermittler die Kunden nach gleichen Standards, sachgerecht, ehrlich, professionell und im bestmöglichen Interesse über die Nachhaltigkeitsfaktoren informieren. Sie erfüllen damit auch die Anforderungen, die Paragraf 1a Versicherungsvertragsgesetz (VVG) heute an sie stellt.

Maasjost: Wir haben uns eine riesige Aufgabe mit der Entwicklung dieser Norm gestellt, aber ich sehe keine andere Möglichkeit, unseren Weg der Glaubhaftigkeit und Seriosität weiter gehen zu können. Ich mache das für unsere PMA-Partner, aber natürlich wird die angestrebte Norm der ganzen Branche weiterhelfen. 




Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.

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