Grüner beraten (müssen)

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Sarah Lemke, Netfonds

Vermittlerinnen und Vermittler sind verpflichtet, Kunden zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu befragen. Wie geht die Branche mit dieser neuen Regulierung um und auf welche praktischen Hilfen können sich Vermittelnde verlassen?

„Haben Sie sich bereits mit dem Thema Nachhaltigkeit in Zusammenhang mit Finanzprodukten beschäftigt? Möchten Sie Nachhaltigkeitsaspekte bei Ihrer Produktauswahl berücksichtigen?“ – So lauten die ersten beiden einer ganzen Reihe von Fragen, die das German Sustainability Network (GSN) in einem umfangreichen Leitfaden Vermittlern als Abfragelogik für ihre Kundenberatung vorschlägt. Denn seit 2. August 2022 gilt über den Rahmen der Transparenzverordnung (TVO) hinaus die Vorgabe, dass Versicherungsvermittlerinnen einerseits herausfinden müssen, ob und welche Nachhaltigkeitsaspekte den Kundinnen und Kunden wichtig sind und andererseits ihre Produktempfehlung speziell auf die geäußerten Einstellungen hin anpassen müssen.

Das ist sehr viel schwieriger als es sich anhört. Rund um den Umsetzungstermin haben daher zahlreiche Brancheninitiativen von Verbänden, Produktgebern und Pools Hilfsmaterialen veröffentlicht (siehe QR-Codes). Der Leitfaden des GSN etwa umfasst 59 Seiten. Weitere Fragen aus der Abfragelogik zu Nachhaltigkeitspräferenzen umfassen mögliche nachhaltige Schwerpunkte (zum Beispiel beim Thema Umwelt) und welche nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsziele man wie berücksichtigen, respektive ausschließen sollte. Wer sich diesen Leitfaden – oder ähnlich abgefasste Materialien etwa von den Verbänden Votum und AfW, dem Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) oder dem Arbeitskreis Beratungsprozesse ansieht, begreift schnell, dass hier ein umfassender Einstieg in das Thema erforderlich ist.

Denn die Nachhaltigkeitspräferenzen werden in drei Kategorien unterteilt: in ökologisch nachhaltige Investitionen im Sinne der Taxonomie-Verordnung, in nachhaltige Investitionen im Sinne der Offenlegungs-Verordnung und danach, ob bei einem Finanzinstrument die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit berücksichtigt werden sollen. Damit werden Finanzinstrumente ausgeschlossen, die gewisse negative Auswirkungen (sogenannte Principal Adverse Impact Indicators, kurz PAIs) auf die Nachhaltigkeit haben, wie etwa Menschenrechtsverletzungen und die Emission von Treibhausgasen.

Dieser regulatorische Rahmen sorgt zwar für eine gewisse Gleichförmigkeit der Ratgeber, aber „die Umsetzungen in den Beratungsstrecken fallen heterogen aus. Im Detail ergeben sich deutliche Unterschiede, insbesondere was die Formulierungen und die Detailtiefe der Abfrage angeht. Das wird sich im Laufe der Zeit sicherlich harmonisieren. Bis dahin sind Vermittler gefordert, sich auf diese Unterschiede einzustellen“, betont Volker Bohn, Nachhaltigkeitsbeauftragter der Stuttgarter Lebensversicherung a.G.. „Agieren Sie nicht nur mit geschlossenen Fragen“, rät BCA-Vorstand Rolf Schünemann zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen. „Ein ausgewogener Dialog statt kurzgehaltenem Frage-und-Antwort-Prozess sollte die Devise sein. Hierdurch erfahren Vermittler die Einstellung und den Wissensstand des Kunden zu ESG und ebenso, was dem Kunden in Bezug auf das komplexe als auch facettenreiche Fachgebiet Nachhaltigkeit wichtig ist“, so Schünemann weiter.

Technische Standards fehlen

Das Hauptproblem, vor dem die Branche steht: „Die Präferenzen zu erfragen, was dem Kunden wichtig ist und in welche Richtung seine Nachhaltigkeitspräferenzen gehen, ist mit unseren Vorgaben noch absolut erfüllbar“, sagt Norman Wirth, Vorstand des AfW. Der Rechtsanwalt hat bei mehreren der veröffentlichten Branchen-Leitfäden mitgearbeitet und bedauert, dass es nicht möglich war, sich branchenweit auf eine gemeinsame Lösung zu verständigen. Die erfragten Präferenzen aber dann mit der Produktauswahl zu kombinieren, sei jedoch speziell für Versicherungsmakler extrem schwierig.

Denn die technischen Regulierungsstandards für die Produktgeber, die sogenannten RTS, wurden seitens der EU mehrfach verschoben, wurden erst im Juli im EU-Amtsblatt veröffentlicht, traten am 14. August 2022 in Kraft und sind zum 1. Januar 2023 anzuwenden. Die Versicherer haben bei weitem noch nicht alle ihre Produktbeschreibungen nach diesen Vorgaben ausgerichtet, so dass auch für die Vermittler teilweise Unklarheit besteht. „Es war abzusehen, dass zum Start der Pflicht noch nicht alle Daten verfügbar sein werden, die der Regulator vorsieht. Das liegt vor allem daran, dass viele Unternehmen, in die beispielsweise durch Fonds investiert wird, noch gar nicht dazu verpflichtet sind, diese Daten bereitzustellen“, erklärt der Stuttgarter-Nachhaltigkeitsbeauftragte Bohn.

Dennoch können Vermittlerinnen und Vermittler nicht einfach bis Januar 2023 warten. „Die Regelungen der Änderungsverordnung zur IDD lassen wenig Spielraum. Der Zeitpunkt der Abfrage ergibt sich eindeutig aus den gesetzlichen Regelungen und auch der Inhalt der Fragen ist im Wesentlichen vorgegeben“, sagt Sarah Lemke, Syndikusrechtsanwältin der Netfonds Gruppe. Auch der Pool offeriert entsprechende Formulierungshilfen für das Beratungsgespräch. „Wir bieten Musterformulierungen, die eng an den Text der Verordnung angelehnt sind – allerdings in einer allgemeinverständlichen Sprache. Wenn ein Vermittler Vergleichsrechner nutzt, ist er jedoch darauf angewiesen, dass der Anbieter die neuen Pflichten korrekt umgesetzt hat“, so Lemke weiter.

Denn während Ausschließlichkeitsvertreterinnen über klare Vorgaben ihres Prinzipals und nur über eine stark eingeschränkte Produktauswahl verfügen, müssen Makler als Sachwalter des Kunden die gesamten Produktpalette scannen. Sie sind daher auf die Tools von Versicherern, Pools und Vergleichern angewiesen. Auch hier gab es zuletzt verstärkte Aktivitäten, von einem Branchenstandard ist man allerdings noch weit entfernt: „Aus meiner Sicht haben alle relevanten Vergleichsrechner dieses Thema in den Beratungsprozess integriert. Allerdings ist die Abfragetiefe und die Produktempfehlung noch sehr uneinheitlich“, sagt Michael Hinz, Vorsorgespezialistenmanager der Signal-Iduna-Gruppe. „Eine Vergleichbarkeit über die bewährten Rechner ist momentan nicht möglich, da kein gemeinsamer Leitfaden bei den Versicherern existiert“, betont Kevin Jürgens, IT-Vorstand von Phönix Maxpool, „daher unterstützen wir unsere Makler verstärkt bei der Produktauswahl, ganz individuell an die Wünsche seines Kunden angepasst.“

Doch noch fällt das Feedback aus dem Maklerkreis eher spärlich aus. Fonds Finanz etwa verzeichnet bis dato nur wenige Rückfragen. „Dies spricht für eine praxisnahe Umsetzung in den Vergleichs- und Angebotsrechnern. Die Mehrheit der wenigen Nachfragen richtet sich an den Prozess per se, an anderer Stelle werden Hilfestellungen zu Gesellschaften und Tarifen benötigt“, sagt Christine Schönteich, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Fonds Finanz. Sie erwartet ab 1. Januar 2023, wenn die technischen Ausführungsbestimmungen umgesetzt werden, eine Zunahme von Anfragen der Makler und dem Support-Bedarf. Fonds Finanz stellt die Beratungssoftware Softfair angebundenen Maklern kostenfrei zur Verfügung. Dort wurde im Rahmen einer Beratungsstrecke die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen im Zuge der Geeignetheitsprüfung eingebunden.

Auch für die Versicherer ist Datenerhebung in Bezug auf die Punkte EU-Taxonomie und ESG-Reporting äußerst anspruchsvoll und herausfordernd. Der Beratungs- und Auswahlprozess ist komplex. „Aus diesem Grund stellen wir unseren Partnern die Vergleichsrechner von Franke und Bornberg zur Verfügung. Mittels Filter profitieren Vermittler unter anderem von den Daten des ESG-Unternehmensratings und des ESG-Reports. So erhalten Vermittler eine bedarfsgerechte Unterstützung und erfahren auf effiziente Weise, ob ein Versicherungsprodukt in Bezug auf die Nachhaltigkeitspräferenzen zum Kunden passt“, erläutert BCA-Vorstandschef Schünemann.

Was bieten Versicherer an?

Und wie gehen Versicherer konkret mit den neuen Pflichten um? Die Gesellschaften haben sich sehr vielseitig aufgestellt und Vermittler können hier auf ein umfassendes Angebot zugreifen: „Dieses reicht von eigenen Nachhaltigkeits-Landingpages, Informationsbroschüren, Vergleichstools bis hin zu Nachhaltigkeits-Zertifizierungen. Eine Vergleichbarkeit der Gesellschaften, deren Nachhaltigkeitseinstufung sowie Angebote lässt sich leider kaum erstellen, da die Transparenz zu den jeweiligen Tarifen recht unterschiedlich ist. Nachhaltigkeitszertifikate können dabei aber eine Hilfe sein“, blickt Fonds-Finanz-Geschäftsleitungsmitglied Schönteich differenziert auf den Markt.

Die Stuttgarter Versicherung gilt als ein Pionier in Sachen Nachhaltigkeit in der Assekuranz und legt Vermittlern die Durchführung der vom Regulator vorgesehenen dreistufigen Abfrage der Präferenzen nahe. „Zunächst wird abgefragt, ob der Kunde im Rahmen seines Versicherungsanlageprodukts einen Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Investitionen gemäß der EU-Taxonomie tätigen möchte und damit beispielsweise den Klimaschutz fördern möchte. Im Anschluss wird die Abfrage nach einem Mindestanteil in ökologisch und sozial nachhaltige Investitionen gemäß der Offenlegungsverordnung vorgenommen“, erläutert Stuttgarter-Nachhaltigkeitsexperte Bohn. Dazu zählen etwa Investitionen in erneuerbare Energien oder die Bekämpfung von Ungleichheit. „In der dritten Stufe geht es dann um negative Auswirkungen auf die Umwelt oder Gesellschaft, zum Beispiel durch die Emission von Treibhausgasen und genauer um die Frage, inwiefern sie verhindert oder reduziert werden sollen“, so Bohn weiter. Die ersten beiden Abfragen nach einem Mindestanteil zielen also darauf ab „Gutes zu tun“, während die dritte Abfrage „Schlechtes vermeiden“ will. Das sind zwei sehr unterschiedliche Ansätze, die es in der Beratung zu berücksichtigen gilt. Dementsprechend hat die Stuttgarter ihre Produkte eingestuft. „Das gilt sowohl für unser Sicherungsvermögen als auch die von uns angebotenen Fonds, für die wir die aktuell verfügbaren Daten von den Fondsgesellschaften zugeliefert bekommen“, stellt Bohn klar.

Auch Signal Iduna bekräftigt, Vermittler in der Kundenberatung umfassend und rechtlich sicher zu begleiten. „So haben wir einen mehrstufigen Abfragebaum im SI-Beratungsprogramm (PDC) bei der Beratung von Versicherungsanlageprodukten aufgebaut. Diese Abfrage wie auch der allgemeine VAP-Prozess – die Geeignetheitsprüfung bei Versicherungsanlageprodukten – ist allerdings nur für Mehrfachagenten verpflichtend, aber auch für Makler möglich“, erläutert Signal-Iduna-Vorsorgespezialistenmanager Hinz. Der Einstieg in den Fragebaum beginnt hier mit der Frage, ob der Kunde über die Möglichkeiten nachhaltiger Investments informiert wurde. Anschließend erfolgt dann eine tiefergehende Abfrage seiner Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechend der regulatorischen Vorgaben. „Neben der Berücksichtigung von Ausschlusskriterien (PAI) wird nach dem Wunsch ökologisch ­­­nachhaltiger Investments nach der Taxonomieverordnung und/oder nachhaltiger ESG-Investments nach der Offenlegungsverordnung gefragt. Für beide Bereiche können auch Mindestgrenzen festgelegt werden“, erklärt Hinz weiter. Erst im Anschluss wird eine Produktempfehlung ausgesprochen.

Schulungen und Webinare, auch im Umgang mit den veränderten Beratungsstrecken, bieten viele Versicherer, Pools und Bildungsinstitute an. Es empfiehlt sich in jedem Fall, tiefer in das Thema einzusteigen. „Das Thema ‚Nachhaltigkeit‘ hat als neuer, wesentlicher Bestandteil Eingang in die Beratung zu Kapitalanlagen gefunden. Wir empfehlen, jeden Kunden zunächst ausführlich aufzuklären. Manche Kunden haben sich noch gar nicht mit dem Thema beschäftigt und andere haben bereits in der Vergangenheit einen Fokus auf ihnen wichtige Nachhaltigkeitsthemen gelegt. Jeder Kunde muss individuell abgeholt werden“, rät Netfonds-Syndikusrechtsanwältin Lemke.

Vermittler sollten engagiert fragen

Das findet auch Norman Wirth. Dazu gehört seiner Ansicht nach auch, dass man, falls ein Kunde die Nachhaltigkeits-Eingangsfragen mit „nein“ beantworten sollte, eben nicht sofort das Thema beendet. „Bei einem ersten ‚Nein‘ erwartet der Gesetzgeber, dass der Berater nachhakt, ob der Kunde wirklich weiß, was Nachhaltigkeit bedeutet. ESG ist ja viel mehr als Klimaschutz oder das Wahlprogramm der Grünen. Sie müssen aber den Kunden nicht von Nachhaltigkeit überzeugen!“, klärt der AfW-Vorstand auf.

Drohen Strafen und Sanktionen, falls es Vermittler nicht der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen nicht so genau nehmen, sie gar nicht erst stellen oder nicht dokumentieren? Gewerberechtlich verfügt der DIHK über keine Sanktionsmöglichkeiten, die Nichtbeachtung ist keine Ordnungswidrigkeit. Allerdings können Wettbewerber abmahnen lassen, wenn sie nachweisen können, dass die Abfrage nicht erfolgt. „Auch zivilrechtlich ist eine Schadenersatzforderung des Kunden gegenüber dem Vermittler denkbar. Das erscheint derzeit allerdings recht theoretisch, denn dazu müsste ein konkreter finanzieller Schaden beim Kunden dadurch entstanden sein, dass seine Nachhaltigkeitspräferenzen nicht oder nicht richtig berücksichtigt wurden. Völlig auszuschließen wäre es aber nicht“, ergänzt AfW-Vorstand Wirth.

Aber: Falls der Kunde auf Rückabwicklung klagt, weil er bei richtiger Aufklärung ein anderes Produkt gewählt hätte, werden die Versicherer wohl keine Verantwortung übernehmen, schließlich wäre es ja nicht ihr Fehler gewesen. Jedenfalls soweit es sich um einen Kunden handelt, der von einem Makler beraten wurde. Norman Wirth abschließend: „Die Verantwortung liegt in allererster Linie bei den Vermittlern, insbesondere beim Makler, daher kann ich nur immer wiederholen: Beschäftigen Sie sich mit dem Thema jetzt und nutzen Sie die zahlreichen Weiterbildungsmöglichkeiten in der Branche.“

Autor Oliver Lepold ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und freier Journalist.

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