Zeitenwende in der Vermögensverwaltung

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Um nachhaltig erfolgreich zu sein, müssen sich Vermögensverwalter auf den kommenden Wandel der Kundenanforderungen vorbereiten, die Kundengruppe der Affluents stärker in den Fokus nehmen und über alle Segmente hinweg digitale Lösungen anbieten.

In der jüngsten Vergangenheit wird geopolitisch häufig von einer „Zeitenwende“ gesprochen. Die vergangenen 24 Monate scheinen auch in der Finanzindustrie eine Zeitenwende eingeleitet zu haben. Über ein Jahrzehnt konnten Vermögensverwalter in Europa in einem vorhersehbaren und stabilen Umfeld agieren. Das hat sich verändert. Gastbeitrag von Yvonne Quint und Felix Hauber, Accenture

Die letzten zwei Jahre haben die Finanzindustrie vor große Herausforderungen gestellt. In diesen Zeiten der Unsicherheit und Volatilität fragen sich Vermögensverwalter immer mehr, welche Segmente und Märkte die lukrativsten sind und welche Strategien für die Zukunft richtig sind. Diesen und weiteren Fragen ist das Beratungsunternehmen Accenture zusammen mit der Personal Investment Management & Financial Advice Association (Pimfa) in ihrer aktuellen Wealth-Management-Studie auf den Grund gegangen.

Hochrechnungen zeigen, dass europäische Haushalte schätzungsweise 14 Billionen Euro an nicht investiertem Vermögen halten. Deutschland ist dabei im europäischen Vergleich einer der Spitzenreiter. Wären diese Gelder in Vermögensverwaltungs- oder Anlageberatungsmandaten angelegt, würden sie potenziell höhere Renditen für Endkundinnen und Endkunden erzeugen und für Vermögensverwalter zu zusätzlichen Beratungsdienstleistungen und Mehreinnahmen durch Gebühren führen.

Doch dieses beträchtliche unerschlossene Vermögen potenzieller Anlegerinnen und Anleger für sich zu gewinnen ist für Vermögensverwalter eine große Herausforderung. Insbesondere in Zeiten steigender Zinsen, geopolitischer Unsicherheiten und einer hohen Marktvolatilität sind Anleger eher gehemmt, ihr Vermögen anzulegen. Gleichzeitig könnte die Sorge über die steigende Inflation sowie die Tatsache, dass sich die Gesellschaft immer bewusster um Nachhaltigkeitsthemen kümmert, die Nachfrage nach passenden Anlagelösungen ankurbeln. Vermögensverwalter brauchen daher konkrete Handlungsoptionen, um diese Kundinnen und Kunden und deren Vermögen für sich zu gewinnen. Da jedes Kundensegment andere Ansprüche an Bankdienstleistungen hat, ist es essenziell und erfolgsentscheidend, die strategischen Handlungsmöglichkeiten auf die Bedürfnisse des jeweiligen Segments abzustimmen.

Traditionell werden die Segmente im Wealth Management in Affluent (250.000 Euro bis eine Million Euro), High Net Worth (HNW; eine Million Euro bis fünf Millionen Euro plus) und Ultra High Net Worth (UHNW; 30 Millionen Euro plus) eingeteilt. Absolut gesehen halten europäischen Kunden im Affluent-Segment das größte Vermögen, investieren dieses jedoch im Gegensatz zu den (U)HNW-Kunden nur sehr eingeschränkt.

Das Affluent-Segment bietet daher rein volumentechnisch die größten Chancen, Neugelder zu akquirieren. Doch wie soll dies gelingen? Unsere Studie zeigt, dass vor allem im Affluent-Segment digitale Lösungen (noch) mehr gefragt sind als in den höheren Segmenten. Demnach werden Dienstleistungsmodelle, bei denen zum Beispiel die Interaktion zwischen Kunden und Vermögensverwaltern mehrheitlich digital (sogenanntes „Hybrid-Modell“) oder ganz digital stattfindet, in diesem Segment besonders nachgefragt. Dies lässt sich unter anderem durch demografische Faktoren erklären: So sind Kunden in den höheren Segmenten oft älter als Affluent-Kunden. Jedoch sollten auch diejenigen Finanzinstitute, die traditionell die höheren Segmente bedienen, digital gewappnet sein. Dies ist aufgrund des anstehenden Vermögentransfers der älteren Generation auf die jüngere Generation wichtig. Die Jüngeren nutzen in den meisten Bereichen des Lebens bereits digitale Lösungen und erwarten dasselbe auch von ihrem Finanzdienstleister.

Yvonne Quint (Foto: Accenture)

Ein weiteres Themenfeld, das ebenfalls Wachstumsmöglichkeiten bietet, sind ESG-Investments – das heißt Finanzprodukte und Dienstleistungen, welche die Faktoren Environmental, Social und Governance (zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) berücksichtigen. Kunden in allen Segmenten sind daran interessiert, dass bei ihren Investitionen nebst den klassischen Risiko- und Ertragskennzahlen auch der Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft berücksichtigt wird. Es gibt dabei diverse Ansätze, um ESG-Faktoren in die Anlageentscheidung einzubeziehen. Dazu gehören zum Beispiel Ausschlüsse gewisser Sektoren, Best-in-Class-Ansätze, thematische oder Impact Investitionen.

Die steigende Popularität von ESG-Investments zeigt sich daran, dass 93 Prozent der von Accenture befragten Entscheidungsträger bei Vermögensverwaltern künftig einen klaren Fokus auf ihr Angebot an ESG-Finanzprodukten legen möchten. Zudem wollen 85 Prozent der privaten Investorinnen und Investoren ESG-Themen (zum Beispiel Reduktion von Plastik, Klimawandel, Kreislaufwirtschaft) in ihren Anlagen berücksichtigt haben. Bei der Kundengruppe der Millennials (geboren zwischen 1981 und 1996) zeigen gar 95 Prozent Interesse an ESG-Investments. Wie erwähnt ist es essenziell, dass die Bedürfnisse dieser Kundengruppe ausreichend bedient werden, um deren Vermögen nach dem anstehenden Vermögenstransfer halten zu können.

Die starke Nachfrage der Kunden zeigt sich auch in den stetig wachsenden Vermögenswerten, welche nach ESG-Kriterien in einem Fonds oder diskretionären Mandat verwaltet werden. Dies resultiert aus den Kundenpräferenzen, die sich insbesondere nach der Pandemie verändert haben: 80 Prozent der befragten Industrieexperten erwarten, dass es für Kunden im Jahr 2025 eine der höchsten Prioritäten hat, dass das verwaltete Vermögen nach ESG-Kriterien investiert wird.

Um der wachsenden Nachfrage nach ESG-Investments gerecht zu werden, haben Finanzdienstleister in den vergangenen Jahren das Angebot an ESG-Finanzprodukten kontinuierlich ausgebaut und integrieren ESG mehr und mehr in ihre Beratungs- und Investmentprozesse. Dabei sind regulatorische Vorgaben der EU zu beachten. Diese zielen auf verbesserte Transparenz ab und sollen Investitionen in die Richtung einer nachhaltigeren Wirtschaft lenken.

Gemäß den Analysen von Accenture wird die Digitalisierung als zentraler Impuls angesehen, der es den Vermögensverwalter nicht nur erlaubt effizienter zu arbeiten, sondern ihnen auch dabei hilft, ihre Kunden besser zu verstehen und zu betreuen.

Felix Hauber (Foto: Accenture)

In der Wealth-Management-Studie von Accenture wurden Vermögensverwalter nach ihrer digitalen Reife gefragt. Die meisten Firmen gaben an, zu erkennen, dass besonders im Bereich der Digitalisierung Verbesserungspotenzial besteht. Hervorgehoben wurden die Bereiche des Kunden-Onboardings, die Skalierbarkeit von effizienter und effektiver Kundenberatung sowie das Verständnis, welche Kunden über welchen Kanal angesprochen werden möchten. Zudem sind sich Finanzdienstleister bewusst, dass Kunden besser über potenzielle Ineffizienzen in ihrem Portfolio und entsprechende Verbesserungsmöglichkeiten informiert werden möchten. Mithilfe von Modernisierungsstrategien und dem Einsatz von End-to-End-Technologien und der digitalen Transformation von Front-, Middle- und Back-Office können die oben genannten Bereiche adressiert werden.

Traditionelle Bankhäuser werden vermehrt durch neue sogenannte digitale Challenger herausgefordert. Diese haben den klaren Vorteil, dass sie ihr Betriebsmodell von Grund auf mit einer „digital-first“-Strategie aufbauen können. Die klassischen Unternehmen hingegen kämpfen bei größeren Transformationsprojekten oft gegen eine veraltete Technologieinfrastruktur an.

Allzu häufig wird auch festgestellt, dass Firmen sich zwar digitalisieren möchten, sie jedoch keine holistische Herangehensweise formuliert haben. So wird zum Beispiel viel zu oft vernachlässigt, dass eine Implementierung neuer Software auch immer eine Veränderung des Operationellen und teilweise auch des Geschäftsmodells nach sich zieht. Hinzu kommt, dass digitale Änderungen auch die Arbeitskultur beeinflussen. Bei derartigen Digitalisierungsbestrebungen ist es demnach wichtig, ein entsprechendes Change-Management-Programm aufzusetzen, um effektive Kommunikation zu ermöglichen und den Weg für die Transformation zu ebnen.

Um nachhaltig erfolgreich zu sein, müssen sich Vermögensverwalter auf den kommenden Wandel der Kundenanforderungen vorbereiten, die Kundengruppe der Affluents stärker in den Fokus nehmen und über alle Segmente hinweg digitale Lösungen anbieten. Ein wesentlicher Pfeiler einer erfolgreichen digitalen Transformation, die zukünftig stärker als bisher auf Data-Analytics fußt, sind agile Organisationstrukturen. Diese spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht auf die verändernden Wünsche der Kunden schnell und effizient zu reagieren und die Services anzubieten, welche die Anleger nachfragen.

Yvonne Quint ist Managing Director und Leiterin des Bereichs Capital Markets bei Accenture in der DACH-Region, Felix Hauber ist dort Principal Director und Leiter des Bereichs Wealth Management.

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